Geschichte

„Aktion Gitter“ vor 80 Jahren: Als die Nazis gegen Demokraten zurückschlugen

Das NS-Terrorregime ging skrupellos gegen politische Gegner vor. Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 starteten die Nazis eine regelrechte Säuberungswelle. Das traf auch die Arbeiterbewegung.

von Klaus Wettig · 22. August 2024
Arbeit macht frei - Schriftzug an einem Tor im ehemaligen KZ Sachsenhausen

Arbeit macht frei - Schriftzug an einem Tor im ehemaligen KZ Sachsenhausen

Als die meisten Militärs und ihre zivilen Unterstützer nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 inhaftiert, verurteilt oder hingerichtet waren, startete das NS-Regime eine Massenverhaftung unter dem Namen „Aktion Gitter“. In manchen Quellen ist auch von „Aktion Gewitter“ die Rede. Zwischen dem 22. und 23. August 1944 wurden ehemalige Mandatsträger*innen und Funktionäre der Parteien der Weimarer Republik verhaftet. Überwiegend waren es Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen, aber auch Liberale, Zentrumsleute und Mitglieder der Bayerischen Volkspartei, die gegen das NS-System waren.

Schätzungen gehen von etwa 5000 Verhafteten aus, die in zwei Wellen in den frühen Morgenstunden durch die Gestapo und Polizei in Gewahrsam genommen wurden. Eingeliefert wurden sie danach in fünf Konzentrationslager: die Verhafteten im Norden Deutschlands in das KZ Neuengamme bei Hamburg, im Raum um Berlin in das KZ Sachsenhausen, im Zentrum ins KZ Buchenwald, Menschen aus Süddeutschland kamen nach Dachau. Die Frauen wurden nach Ravensbrück gebracht.

Verhaftungen lösten Unmut aus

Systematische Verhaftungsaktionen hatte das NS-System wiederholt organisiert, dabei wurden nach vorbereiteten Listen potenzielle NS-Gegner*innen festgenommen. Verdächtig waren ihnen stets die demokratischen Politiker*innen der Weimarer Republik. Die ,,Aktion Gitter‘‘ übertraf in ihrem Umfang jedoch vorhergehende Aktionen. Die bekannten SPD-Politiker Paul Löbe und Kurt Schumacher kamen dabei zum wiederholten Mal in Haft, außerdem die Zentrumspolitiker Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und Karl Arnold.

Das willkürliche Vorgehen der Gestapo, die auch Alte und Kranke verhaftete, löste breiten Unmut aus. Unter anderem drängte die Deutsche Bischofskonferenz auf die Freilassung ehemaliger Zentrumspolitiker. Die NS-Führung musste reagieren. Am 30. August wurde daher überprüft, wer glaubhaft in Haft gehalten werden konnte. Bis November 1944 entließ die Führung zwar die Mehrzahl der Verhafteten, aber tausende Häftlinge blieben im KZ. Für sie begannen im April 1945 die ,,Todesmärsche‘‘, mit denen die SS die Konzentrationslager leeren wollte, um die Spuren des Terrorsystems vor den heranrückenden Truppen der Alliierten zu verwischen. Bei einem ,Todesmarsch‘‘ wurden Häftlinge, die zu entkräftet waren, um das Marschtempo einzuhalten, von den SS-Wachmännern erschossen.

Bis heute wenig erforscht

Die ,,Aktion Gitter‘‘ gehört immer noch zu einem wenig erforschten Teil des NS-Terrorsystems. Eine größere Zahl von sozialdemokratischen und kommunistischen Politiker*innen überlebte die KZ-Haft nicht oder starb bald darauf an den Folgen. Am bekanntesten aus dieser Gruppe sind die ehemaligen SPD-Reichstagsabgeordneten Johanna Tisch, Heinrich Jasper und Friedrich Puchta. Das „Gedenkbuch der Sozialdemokratie“ nennt 48 Namen von Politiker*innen, die bei der ,,Aktion Gitter‘‘ ums Leben kamen. Besonders tragisch ist das Schicksal der Häftlinge, die aus Neuengamme kommend auf die Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ getrieben wurden. Am 3. Mai 1945 wurden beide Schiffe von einem britischen Tiefflieger versenkt. Tausende starben in der Ostsee.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 23.08.2024 - 11:47

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Auch schon inhaftierte wurden in der Folgezeit ermordet. z.B. Dietrich Bonhöfer oder Ernst Thälmann.