Geschichte

Erich Ollenhauer: Die sozialdemokratische Integrationsfigur

„Er hat das Zeug zu führen“, sagte Otto Wels über ihn. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Erich Ollenhauer zweimal als Kanzlerkandidat der SPD an. Seine großen Verdienste hat er jedoch an anderer Stelle.

von Lothar Pollähne · 14. Dezember 2023
Ein Foto mit Seltenheitswert: Erich Ollenhauer und Hildegard Knef beim Bundespresseball 1957

Ein Foto mit Seltenheitswert: Erich Ollenhauer und Hildegard Knef beim Bundespresseball 1957

Dieses Foto hat Seltenheitswert. Es zeigt eine nicht gerade große US-Schauspielerin und einen noch kleineren, untersetzten Mann mit charakteristischer Hornbrille beim gemeinsamen Walzertanz während des Bundespresseballs in Bad Neuenahr am 9. November 1957. Beide genießen den gemeinsamen Auftritt sichtlich. Die Schauspielerin nennt sich seit 1950 Hildegard Neff und gilt in der prüden Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Nacktauftritt in dem Film „Die Sünderin“ als „umstritten“. Auch ihr Tanzpartner sieht sich vielseitigen Anfeindungen ausgesetzt, wird er doch in nationalkonservativen Kreisen als verabscheuenswürdiger Repräsentant der „Fünften Kolonne Moskaus“ betrachtet.

Besonders perfide zeigte sich in diesem Umfeld die teilweise noch braun durchwirkte FDP, die ihren Bundestagswahlkampf 1953 mit einem Plakat geführt und bewusst beleidigend erklärt hatte: „Wo Ollenhauer pflügt, sät Moskau“. Das war die personifizierte Zuspitzung eines CDU-Plakates, welches „Alle Wege des Marxismus“ nach Moskau führen sah. Viele Wege hat Erich Ollenhauer in seinem Leben  beschritten; nicht alle freiwillig, aber der „Irrweg“ nach Moskau war nicht darunter.

Hineingeboren in die Sozialdemokratie

Erich Ollenhauers Lebensweg beginnt am 27. März 1901 in Magdeburg. Der Vater ist Maurer, die Mutter Lohnbüglerin. Beide gehören zur ersten Generation Magdeburger Sozialdemokrat*innen — und so wächst Erich in die Sozialdemokratie hinein. Seine jüngere Schwester Hilde erinnert sich rückblickend: „Dem Erich ist der Sozialismus wie die Margarine aufs tägliche Brot gestrichen worden.“ Der Junge ist begabt und möchte gerne Lehrer werden, aber das lassen die finanziellen Verhältnisse der Familie nicht zu.

Nach Abschluss der Volksschule beginnt er eine kaufmännische Lehre in einer Druckerei und schließt sich dem Arbeiterjugend-Verein an, bei dem er den sozialistischen Stallgeruch der Familie wieder aufnimmt. 1918 wird Erich Ollenhauer Mitglied der SPD und beginnt seine einzigartige Parteikarriere, die ihn im Jahr darauf zunächst als Volontär in die Redaktion der sozialdemokratischen „Volksstimme“ in Magdeburg führt. 1920 wird er zum Redakteur bestellt. Politisch aktiv bleibt er an führender Stelle in der Arbeiterjugend. 

Aus der Arbeiterjugend aufs internationale Parkett

Während der ersten Reichskonferenz des Verbandes der Arbeiterjugend-Vereine (VAJV) in Weimar wird Erich Ollenhauer gemeinsam mit Max Westphal am 30. August 1920 in den Hauptvorstand des Verbandes gewählt. Beide verbindet ihr Organisationstalent und die Fähigkeit, die unterschiedlichen Strömungen im VAJV zum gemeinsamen Handeln zu bewegen. Anfang Dezember des Jahres übernimmt Ollenhauer die Stelle als zweiter Sekretär beim Hauptvorstand des Verbandes und arbeitet als Redakteur der Zeitschrift „Arbeiter-Jugend“. 1921 betritt Erich Ollenhauer zum ersten Mal internationales Terrain und wird Sekretär der „Sozialistischen Jugendinternationale“. Das ermöglicht dem umtriebigen jungen Mann, ein freundschaftliches Netzwerk aufzubauen, welches für die SPD nach der Machtübertragung an die Nazis von unschätzbarem Wert sein wird. 

Nach der Vereinigung der SPD mit Resten der USPD schließen sich am 29. Oktober 1922 die Jugendorganisationen beider Parteien zur Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) zusammen. Max Westphal übernimmt den Vorsitz und Erich Ollenhauer wird Sekretär, bis er 1928 selbst zum Vorsitzenden der SAJ gewählt wird. Unter seiner Leitung positioniert sich die SAJ als loyale Jugendorganisation der SPD mit ausgeprägter internationaler Ausrichtung. Nach Ollenhauers Auffassung lebt die internationale Idee „am stärksten in den Herzen und Hirnen der Besten der jungen Generation der Arbeiterklassen“ und wird zu einem „Bollwerk gegen Chauvinismus“ und „Antrieb in der ununterbrochenen Arbeit für Sozialismus und Völkerfrieden“. 

Wichtigster Mitarbeiter von Otto Wels

Nach der Machtübertragung an die Nazis wird Erich Ollenhauer am 26. April 1933 in den Parteivorstand der SPD gewählt. Noch hoffen große Teile der Partei, dass der Nazi-Spuk bald vorbei sein werde. Das erweist sich spätestens nach der Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai des Jahres als Illusion. Gemeinsam mit den Parteiführern Otto Wels und Hans Vogel flüchtet Erich Ollenhauer am 6. Mai 1933 über die grüne Grenze nach Prag, wo sich der Exilvorstand als „SoPaDe“ etabliert.

In der tschechischen Hauptstadt profitiert Erich Ollenhauer von seinen langgepflegten internationalen Kontakten. Mit Siegfried Taub, dem Zentralsekretär der Deutschen Sozialistischen Arbeiter-Partei in Böhmen, baut er ein Unterstützungsnetzwerk für geflüchtete Sozialdemokrat*innen auf. In Prag avanciert Erich Ollenhauer wegen seiner organisatorischen Fähigkeiten zum wichtigsten Mitarbeiter von Otto Wels. Beide sehen sich fast täglich, und so entwickelt sich ein Vater-Sohn-Verhältnis, das auch im weiteren Verlauf des Exils für die Geschicke der SPD von Bedeutung ist.

1935 entziehen die Nazis Erich Ollenhauer die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber mit seinen Kontakten ist es ihm möglich, einen tschechischen Fremdenpass zu erwerben, der ihm ein gewisses Maß an Reisefreiheit gewährt. Als „Mann des Vertrauens“ erhält er sogar einen Waffenschein, ausgestellt für eine „Pistole für mehrere Schüsse“. Dass Erich Ollenhauer jemals davon Gebrauch gemacht hat, ist nicht überliefert.

„Er hat das Zeug zu führen.“  

Noch vor der Annexion der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland verlegt die SoPaDe-Führung 1938 ihren Sitz nach Paris. Auch in Frankreich erweisen sich Ollenhauers organisatorisches Geschick und seine internationalen Kontakte als hilfreich. Mehr und mehr wird er zum wichtigsten Mann der SoPaDe neben dem schwerkranken Otto Wels, der sich Ollenhauer als Nachfolger vorstellen kann, weil dieser ein Kind der Arbeiterklasse ist. Wels stellt jedoch eine Bedingung: „Der Junge muss aber noch viel lernen, viel lesen — und weniger Skatspielen. Aber er hat das Zeug zu führen.“  

Im Mai 1940 wird Erich Ollenhauer verhaftet und interniert, aber kurze Zeit später nach einer Intervention des ehemaligen sozialistischen Ministerpräsidenten Léon Blum frei gelassen. Ollenhauer wird klar, dass seine Zeit in Frankreich abläuft. Über Spanien und Portugal, die zwar faschistisch, aber kriegsneutral sind, flieht Erich Ollenhauer vor den anrückenden Nazi-Armeen nach England. Das Exil als Lebensform ist ihm mittlerweile so vertraut, dass er auch in London schnell Fuß fassen kann. Als rechte Hand des nach dem Tod von Otto Wels zum Parteivorsitzenden aufgerückten Hans Vogel wird Erich Ollenhauer zur treibenden Kraft bei der schrittweisen Annäherung der unterschiedlichen deutschen sozialistischen Exilgruppen mit Ausnahme  der Kommunisten.

Am 19. März 1941 bildet sich die „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“, die fortan in der Überzeugung handelt, „dass die militärische Niederlage und der Sturz des Hitler-Regimes (…) unerlässliche Voraussetzungen bilden für einen dauerhaften Frieden, den Wiederaufbau Europas und eine demokratische und sozialistische Zukunft Deutschlands.“ Damit beginnt noch im Exil der Weg in eine Nachkriegs-SPD, die mit der Verabschiedung des „Godesberger Programms“ 1959 ihren Neufang beendet.

Der zweite Mann an der Seite Kurt Schumachers

Die Zerschlagung der Nazi-Diktatur durch die alliierten Streitkräfte erlebt Erich Ollenhauer in London. Kurzzeitig darf er vom 5. bis zum 7. Oktober ins besetzte Deutschland reisen, um als Gast an der Reichskonferenz der SPD in Wennigsen teilzunehmen. Dort erfährt er vom Tod seines Freundes Hans Vogel. Im Frühjahr 1946 darf Ollenhauer endgültig zurückkehren. Wieder wird er der „zweite Mann“, diesmal an der Seite Kurt Schumachers, in dessen Büro er die ihm auf den Leib geschriebene Rolle übernimmt  — als Leiter der Organisationsabteilung. Der erste Nachkriegs-Parteitag bestätigt diese Position im Mai 1946 und wählt Erich Ollenhauer zum 1. stellvertretenden Vorsitzenden der SPD. Als Mitglied des „Parlamentarischen Rates“ nimmt er maßgeblichen Einfluss auf die Schlussredaktion des Grundgesetzes.

1949 wird Erich Ollenhauer im Wahlkreis 118 (Bochum) direkt in den Bundestag gewählt, dem er bis zu seinem Tod ununterbrochen angehört. Nach Schumachers Tod, dessen Hannoverschen Wahlkreis er 1953 erbt, wird der „geborene zweite Mann“ schließlich im Oktober 1952 Parteivorsitzender und kurz darauf Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Damit fällt ihm die Rolle des Gegenspielers von Konrad Adenauer zu. Dieser Aufgabe ist Erich Ollenhauer trotz seiner Redlichkeit nicht gewachsen. Ihm fehlen das rhetorische Talent und der unbedingte Durchsetzungswille. Zwei Mal tritt Ollenhauer als Kanzlerkandidat der SPD an — und die verliert deutlich. Es wäre nicht fair, ihm dieses Scheitern allein zuzuschreiben, denn auch der charismatische Kurt Schumacher war bei der ersten Bundestagswahl deutlich unterlegen.

Großes Renommee  als Außenpolitiker

Im Bundestag macht sich Erich Ollenhauer einen Namen als Außenpolitiker. Er reist in die USA, trifft Harry S. Truman und Dwight D. Eisenhower, und wird als einer der ersten deutschen Politiker in Israel empfangen. Sogar seine antikommunistischen Aversionen überwindet Ollenhauer und trifft sich 1959 in Berlin mit Nikita S. Chrutschtschow.    

Erich Ollenhauers Meisterstück ist die Moderation beim Zustandekommen des „Godesberger Programms“, dessen Grundzüge er schon in London skizziert hatte. Als er im November 1960 in wohl abgewogener Einsicht zugunsten von Willy Brandt auf eine weitere Kanzlerkandidatur verzichtet, wird Erich Ollenhauer endgültig zu einem „großen Sozialdemokraten“. Sein letzter politischer Weg führt ihn am 9. September 1963 zum Vorsitz der „Sozialistischen Internationale“. Da ist er bereits von Krankheit gezeichnet. Die sozialdemokratische Integrationsfigur Erich Ollenhauer stirbt am 14. Dezember 1963 in Bonn.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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2 Kommentare

Gespeichert von Friedhelm Juli… (nicht überprüft) am Fr., 15.12.2023 - 12:28

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Der Weg der Exil- SPD mit Erich Ollenhauer nach Frankreich führte nicht nach Paris sondern nach Chatenay-Malabry. Dort ist übrigens auch das Grab von Otto Wels. Der damalige für Finanzen der Exil-SPD zuständige Siegfried Crummenerl, stürzte sich beim Einmarsch der Deutschen Wehrmacht aus dem Fenster eines Hauses und wurde ebenfalls in Chatenay-Malabry begraben. Die Grabstätte ist allerdings inzwischen aufgegeben

Gespeichert von Kai Doering am Fr., 15.12.2023 - 15:52

Antwort auf von Friedhelm Juli… (nicht überprüft)

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Wir sind der Sache nochmal nachgegangen, können das aber nicht bestätigen. Auch bei der FES findet sich Paris als Exil-Ort der SoPaDe: https://erinnerungsorte.fes.de/exil/