
Am 30. Januar 1933 laufen in den Mainzer Kinos u. a. die Filme „Der große Bluff“ und „Das Glück kommt nur einmal“. Beide Titel mögen von vielen mit dem in Verbindung gebracht werden, was sich gleichzeitig in Berlin abspielte: die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Für viele war es ein Bluff, anderen erschien es als einmaliges Glück. Beides kommt aber nicht im Entferntesten der späteren Realität nahe.
Endkampf um die Weimarer Republik
1930 begann der Endkampf um die Republik mit den Präsidialkabinetten, als Regierungen sich nicht auf das Parlament, sondern auf den machtvollen Reichspräsidenten stützten. Dieses Amt bekleidete der 1925 vom Volk gewählte Paul von Hindenburg, dem die Republik wahrlich keine Herzenssache war.
Unter ihm vollzog sich die Entdemokratisierung. Er ermächtigte Reichskanzler Franz von Papen, die demokratische Bastion Preußen zu schleifen: Die Regierung des Sozialdemokraten Otto Braun wurde am 20. Juli 1932 widerrechtlich abgesetzt – ohne Gegenwehr der zu diesem Zeitpunkt schon geschwächten republikanischen Kräfte. Die antidemokratische Rechte nutzte den Staatsstreich, um die Ämter von missliebigen (Sozial-)Demokraten zu „säubern“.
Als Papen mit dem Versuch scheiterte, die NSDAP über eine Einbindung in die Regierung zu „zähmen“, und auch sein Nachfolger Kurt von Schleicher nach einem achtwöchigen Intermezzo ebenfalls die Segel streichen musste, setzte die Kamarilla um Hindenburg voll auf Hitler. Auch führende Industrielle forderten den altersschwachen Reichspräsidenten auf, nun endlich den Mann aus Braunau zu berufen. So geschah es.
Auf den Schultern der Demokratiegegner
Am 30. Januar 1933 bekam Adolf Hitler die Reichskanzlerschaft in den Schoß gelegt. Die Londoner Satirezeitschrift „Punch“, die den Abgang des Eisernen Kanzlers Bismarck 1890 mit der berühmten Zeichnung des vom Bord gehenden Lotsen karikiert hatte, brachte ein Bild vom neuen Kanzler auf den Schultern von Hindenburg und Papen. In der Tat war es keine „Machtergreifung“, kein, wie es das Wort suggeriert, aktiver Staatsstreich der Nationalsozialisten, womit all die, die ihre Finger im Spiel hatten, leicht weißgewaschen werden konnten.
Im Gegenteil: die Ereignisse bewegten sich im Rahmen der vorherigen Regierungsbildungen; es gab die Verteiler der Herrschaft und einen Empfänger. Schuldig waren die, die an den Schalthebeln der Macht ihr antidemokratisches Süppchen kochten. Es war die bereitwillige Auslieferung der Macht an einen, der dieses verhasste System der „Novemberbrecher“ beseitigen wollte und auf eine Diktatur zusteuerte. Diese sollte er in unvorstellbarer Skrupellosigkeit und Brutalität bald errichten.
Für viele Nationalsozialisten wie dem späteren Volksgerichtshofpräsidenten Roland Freisler, dem obersten Henker der Diktatur, ging die „tausendjährige Sehnsucht der deutschen Jugend“ in Erfüllung. Die Machtübernahme wurde von den neuen Machthabern mit Fackelzügen gefeiert, von der Arbeiterbewegung mit Protestversammlungen unter der Parole „Nieder mit Hitler“ quittiert, wo die meisten Redner mahnten, sich nicht provozieren zu lassen und Disziplin zu üben. Dabei mochte der ein oder andere auch kampfbereit sein, um den Angriff auf die Republik abzuwehren. Doch die organisierte Arbeiterbewegung konnte den Zug der NSDAP zur totalen Macht nicht mehr aufhalten. In Etappen wurde das Reich im Sinne der neuen Herren „gleichgeschaltet“, erfolgte die sukzessive Demontage der Demokratie. Woran lag es? Damit einher geht die Frage: Kann sich so etwas aktuell wiederholen?
Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode
Weimar wurde Opfer einer zu allem entschlossenen antirepublikanischen Kampfbewegung, denen jene die Verfassung missbrauchende antidemokratischen Kräfte in die Hände spielten. Das von den Nationalsozialisten im populistischen Crescendo geforderte Todesurteil fällte eine allzu bereitwillige antidemokratische Machtelite. Die Exekution fand in Anwesenheit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Schaulustigen statt: Unwissende Claqueure standen neben anfeuernden Antirepublikanern. Es gab auch die, die von Abscheu beseelt waren, die aber den Überlebenskampf der Republik mit Untätigkeit bis hin zum völligen Gesichtsverlust beiwohnten. Sie versagten – aus Lethargie, Furcht oder Anpassungsdruck.
Weimar kam nach langem Siechtum zu Tode. Zuvor war der auf dem Krankenbett liegenden Republik keine bzw. – bewusst oder unbewusst – die falsche Hilfe zu Teil geworden. Demokratische Mittel wurden ihr nicht verabreicht. Viele machten sich der unterlassenen Hilfeleistung, andere der fahrlässigen Tötung schuldig.
Es stellte sich als Verhängnis heraus, dass in dem Moment, als die Demokratie unter wirtschaftlichen Druck geriet, der die Desintegration förderte, und die inneren Feinde mit populistischem Halali zum Angriff bliesen, die Republikaner bereits aus den Schaltzentralen der Macht verbannt und ihre Kräfte im permanenten Abwehrkampf erlahmt waren.
Geschichte wiederholt sich nicht
Und heute? Von einem Ermüdungszustand der freiheitlichen Demokratie sind wir weit entfernt trotz aller Krisen und trotz populistischer Querdenker. Daran ändern auch die Krakeeler nichts, die die Demokraten niederzubrüllen versuchen, und auch nicht das Häuflein der Militanten, die Waffen horten und Machtergreifungsszenarien durchspielen. Trotz dieser bedenklichen Ausfallerscheinungen: Das Regierungssystem funktioniert, es gibt einen breiten demokratischen Konsens über Parteien und Milieus hinweg, getragen, so zeigt die jüngste Vergangenheit, vom entschiedenen Willen, den Gegnern mit den Mitteln des Rechtsstaates zu begegnen.
All dies fehlte in Weimar, so dass es für die Antirepublikaner nahezu ein leichtes Spiel war, die Demokratie aus den Angeln zu heben und Hitler in das Amt zu hieven. Von daher verbieten sich Vergleiche mit heute – Geschichte wiederholt sich nicht, aber ein Blick zurück schärft die Sinne für Gefahren und förderte die Bereitschaft zum entschlossenen Handeln. Wehrhafte Demokratie ist das Stichwort.
Unter dem Titel „Im Rückspiegel“ beleuchten wechselnde Autor*innen des Geschichtsforums historische Ereignisse, die für die SPD bedeutend sind. Im Rückspiegel eines Autos sieht man bekanntlich nach hinten, aber wenn man ihn etwas kippt bzw. dreht, sieht man sich selbst. Um Vergangenheit und Gegenwart soll es in der Kolumne gehen.Kolumne des SPD-Geschichtsforums