Fragen und Antworten

Wie funktioniert die Schuldenbremse und könnte sie abgeschafft werden?

Vera Rosigkeit07. August 2023
Die Schuldenbremse gibt es in Deutschland seit 2011. Sie soll die Staatsverschuldung begrenzen
Die Schuldenbremse gibt es in Deutschland seit 2011. Sie soll die Staatsverschuldung begrenzen
Deutschlands Wirtschaft stagniert. Kürzungen im Haushalt seien nun besonders schädlich, sagen viele. Besonders in der Kritik: die Einhaltung der Schuldenbremse.

Nicht gut steht es um Deutschlands Wirtschaft und der angespannte Wohnungsmarkt fordert vor allem eines: Investitionen. Dass diese derzeit wichtiger seien als die Einhaltung der Schuldenbremse, schreibt Ökonom Gustav Horn in einem vorwärts-Meinungsbeitrag, in dem er dringenden Handlungsbedarf anmahnt. Damit weiß er andere Wirtschaftsexpert*innen und Politier*innen an seiner Seite. Doch worum geht es überhaupt bei der Schuldenbremse?

Seit wann gibt es die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse gibt es in Deutschland seit 2011. Sie ist in Artikel 109 Absatz 3 im Grundgesetz verankert.

Was regelt die Schuldenbremse?
Sie ist ein Instrument zu Begrenzung der Staatsverschuldung. Danach müssen die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden. Die jährliche Kreditaufnahme des Bundes ist eingeschränkt: das Limit liegt bei 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung bzw. des Bruttosozialprodukts (BIP).

Was hat die Schuldenbremse mit Europa zu tun?
Der Grundsatz des (strukturell) ausgeglichenen Haushalts orientiert sich am Grundprinzip des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Fiskalvertrags, wonach die Haushalte der Mitgliedstaaten als mittelfristiges Haushaltsziel „annähernd ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen“ sollen.

Welche Ausnahmen sind möglich?
Es ist eine Ausnahmeregelung „für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, vorgesehen. Das heißt, in außergewöhnlichen Notsituationen kann die Obergrenze von 0,35 % des BIP überschritten werden, dazu bedarf es eines Mehrheitsbeschlusses der Abgeordneten des Deutschen Bundestages (Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 GG). Die Regierung muss dabei einen verbindlichen Plan zum Abzahlen dieser Mehrausgaben vorlegen.

Gibt es Beispiele für Ausnahmeregelungen in Notsituationen?
Ja, hier einige Beispiele:

Corona-Rettungsschirm
Als Teil des „staatlichen Schutzschildes“ gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wurde im März 2020 ein Nachtragshaushalt mit zusätzlichen Krediten in Höhe von 156 Milliarden Euro als Rettungsschirm für die Wirtschaft bewilligt, um die Folgen der Krise zu bewältigen.

Corona-Wirtschaftsstabilisierungsfonds
Gleichzeitig wurde ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds als Sondervermögen mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro beschlossen und einige Monate später von der Europäischen Kommission genehmigt. Der WSF war zunächst bis zum 31. Dezember 2021 befristet und wurde aufgrund der Entwicklung der Pandemie bis zum 30. Juni 2022 verlängert und das Volumen des Fonds auf 250 Milliarden Euro reduziert.

Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Gas- und Strompreisbremse
Ende 2022 wurde der Wirtschaftsplan für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds von der Bundesregierung konkretisiert. Aus dem Sondervermögen sollen bis Mitte 2024 Maßnahmen gegen die Energiekrise wie etwa die Gas- und Strompreisbremse finanziert werden. Dabei sind für 2023 Ausgaben in Höhe von 116,75 Milliarden Euro für Zuschüsse, Zuweisungen und Investitionen geplant.

Sondervermögen Bundeswehr
Im Juni 2022 haben sich Bundesregierung und Unionsfraktion auf das Sondervermögen für die Bundewehr in Höhe von 100 Milliarden Euro geeinigt. Damit soll, wie bei einem Sondervermögen üblich, ein bestimmtes Vorhaben des Staates finanziert werden. Die Summe eines Sondervermögens wird nicht auf die Vorgaben der Schuldenbremse angerechnet. Auch eine mögliche Haushaltssperre würde für das Sondervermögen nicht greifen.

Insgesamt existieren bereits ca. 25 Sonderfonds, die im Bundeshaushalt zu finden sind: das wohl bekannteste – wenn auch nicht unter seinem Namen – ist das „Bundeseisenbahnvermögen“. Es ist Dienstherr für die Beschäftigten der Bahn und verwaltet auch deren Liegenschaften. Das älteste Sondervermögen wurde mit dem „Energie- und Klimafonds“ im Dezember 2010 geschaffen. Aus ihm werden Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Energieeffizienz finanziert.

Kann die Schuldenbremse auch abgeschafft werden?
Seit Jahren schwelt der Streit, die Schuldenbremse abzuschaffen. Grundsätzlich bedarf es dazu aber einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag.

Welche Kritik an der Schuldenbremse gibt es?
Der Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien weist daraufhin, dass die Schuldenbremse viele Möglichkeiten erlaubt – etwa über staatseigene Unternehmen oder auch über Investitionsfonds – Kredite aufzunehmen und Investitionen zu tätigen. Grundsätzlich hält er wie viele andere auch die Schuldenbremse für eine Fehlkonstruktion, „weil sie das Ziel, einen handlungsfähigen Staat zu erhalten, nur begrenzt erfüllt.“

Die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner würde die Schuldenbremse so anpassen, dass man für produktive Ausgaben mehr Spielraum bekommt. „Denn wenn wir mehr Geld für Kinderbetreuung ausgeben, schaffen wir mehr wirtschaftliches Potenzial und sollten dann auch mehr ausgeben können. Das käme vor allem Investitionen wie Bildung und Erziehung entgegen.“

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Kommentare

ja , die Änderung der Verfassung, wenn es denn damit getan wäre.

Ist es aber nicht. Klimaziele - um mal diesen Sammelbegriff zu bemühen, hat das BVG mit Blick auf die Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen mit Verfassungsrang ausgestattet- ohne dass dies im Grundgesetzt selber expressis verbis nachzulesen wäre. der dem zugrundeliegenden Rechtsgedanke trägt auch die Schuldenbremse- wenn wir sie formal abschaffen, wäre sie also faktisch immer noch da. leider, besser wäre es, man können ohne Blick auf Dinge, die zukünftig sein können oder vermutlich sein werden, schalten und walten. Das aber dürfen wir, dem BVG wegen, leider nicht, und müssen auf angenommene Interessen zukünftiger Generationen Rücksicht nehmen. Generationen, von denen wir nichts wissen, nicht einmal ihre Existenz kann als sicher gelten, und doch müssen wir Rücksicht nehmen, meint das BVG. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass sich zukünftige Generationen ganz oder doch wenigstens mehrheitlich in vollkommen anderen Wertvorstellungen zuhause fühlen werden, als wir sie heute hier für zutreffend ansehen- diesen Einwand könnte man vortragen- das BVG lässt ihn indes nicht gelten. Nun haben wir den Salat- und müssen unsere Kosten durch Einnahmen decken

Zur Kritik an der Schuldenbremse

müsste zunächst von der SPD eingeräumt werden, dass es ein gravierender strategischer Fehler war, ihr seinerzeit überhaupt zuzustimmen. Entgegen vielstimmigen Warnungen unter anderem aus den Gewerkschaften hat sich seinerzeit die SPD von der CDU und der FDP diese Debatte und die Zustimmung zur Verfassungsänderung aufdrücken lassen. Mit von der Partie war von Anfang an auch Olaf Scholz.

Klar war und ist heute umso mehr, dass durch die Schuldenbremse nicht die profittächtigen privaten Projekte wie Rüstung oder Impfstoffbeschaffungen ausgebremst werden. Es trifft zwangsläufig die vermeintlich "freiwilligen Aufgaben", also Sozialpolitik, Ausbau und Erneuerung der Infrastruktur in der Breite etc. Die Schuldenbremse dient systemisch dem Interesse der Vermögenden und schädigt den vorsorgenden Sozialstaat.

Ohne ein solches kritisches Eingeständnis der SPD kann es keine echte Befreiung von dieser Geißel geben. Die Nutzung der Ausnahmeregelungen kann kurzfristig helfen, wird aber absehbar nur dazu führen, dass die Verfassung ad absurdum geführt wird. Weil eigentlich ist immer Ausnahme angesagt.

Ist eine Kursändrung der SPD zu erwarten? Eher nein. Scholz wird keinen Fehler einräumen