Wie wir Finanzpolitik sozial gerechter gestalten können
Dirk Bleicker; dirkbleicker.de
Ihr Ziel ist eine sozial gestaltete Finanzpolitik. Wie sieht die aus?
Finanzpolitik sollte umzusetzen, was wir uns als Gesellschaft vornehmen. So gibt es zum Beispiel einen gesellschaftlichen Konsens, dass alle Kinder eine Chance auf gute Ausbildung haben sollten und auch unsere Alten und Kranken ein Recht auf Leben in Würde haben. Trotzdem spart der Staat an Bildung und Pflege. Unsere Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“ will zeigen, wie die Politik ihre normativen Vorstellungen mit den Staatsfinanzen überein bringen kann.
Was wäre ein erster Schritt, um Wunsch und Wirklichkeit zusammenzubringen?
Als Sozialdemokratin sage ich, dass es zu einer guten Wirtschaftsordnung gehört, dass jede und jeder von seinem Gehalt gut leben kann. Unser Staat zahlt direkt oder indirekt ziemlich viele Löhne. Gerade in den Bereichen, die wir als Gesellschaft sehr wichtig finden, wie Erziehung, Verwaltung, Bildung oder Pflege. Aber genau hier wird seit Jahrzehnten gespart. Der Staat müsste hier mit gutem Vorbild vorangehen. Das würde uns einen Schritt in Richtung einer Wirtschaft führen, die wir alle gut finden.
Sind wir mit der jetzigen Regierungskoalition auf einem besseren Weg?
Die jetzige Koalition hat die Energiekrise besser gemeistert, als viele zu hoffen gewagt haben. Die Erhöhung des Mindestlohns, die Preisbremsen für Strom und Gas, die Gaseinkäufe – all das hat dazu beigetragen die akute Krise zu meistern. Aber es bleiben die strukturellen Herausforderungen. Dazu gehört der Umbau unserer Wirtschaft im Zuge der Dekarbonisierung, der Aufbau von Zukunftsindustrien und nachhaltiger Jobs. Und dazu gehören auch bestehende Probleme wie die starke Vermögenskonzentration. Wenn ein paar wenigen so viel gehört, funktioniert der Markt nicht mehr.
Wie zufrieden sind Sie mit den Investitionen seitens des Staates?
Ich sehe große Leerstellen im Bereich Erziehung und Bildung und kann nicht verstehen, warum wir hier nicht mehr ausgeben. Für mich sind das produktive Ausgaben. Warum? Wenn wir mehr Geld in die Kinderbetreuung stecken, schaffen wir nicht nur gut bezahlte Arbeitsplätze, wir ermöglichen damit vielen Frauen, dass sie am Erwerbsleben teilnehmen können. Damit erhöhen wir das wirtschaftliche Potenzial, verbessern Staatseinnahmen, auch die Rentenkasse profitiert. Gleichzeitig fördern wir Kinder, die in Zukunft wiederum bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Was schlagen Sie vor?
Mein erster Vorschlag: wir stecken zehn Milliarden Euro pro Jahr in die Erziehung. Diese zehn Milliarden Euro sind laut Netzwerk Steuergerechtigkeit allein im Jahr 2021 durch die Ausnahmen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer als Subventionen in Form von Steuergeschenken an superreiche Erb*innen geflossen. Mein zweiter Vorschlag: Wir sollten die Schuldenbremse so anpassen, dass diese produktiven Ausgaben mehr Spielraum bekommen.
Nachfrage: Wie muss sich die Erbschaftsteuer ändern?
Rechtlich gibt es derzeit die Möglichkeit, bei einem Übertrag von über 26 Millionen Euro die Möglichkeit einen vollständigen Erlass der Erbschafts- beziehungsweise Schenkungssteuer zu beantragen. Voraussetzung ist, dass das ganze Vermögen in einem Unternehmen steckt und die Erb*innen die Steuer nicht zahlen können. So wurde 2021 auf Schenkungen von über 20 Millionen Euro schätzungsweise ein effektiver Steuersatz von lediglich 0,34 Prozent fällig.
Wir brauchen neue Wege, sehr große Betriebsvermögen angemessen zu versteuern. Solange das Vermögen im Unternehmen bleibt und investiert wird, kommt es unserer Wirtschaft zugute. Gerade in der Transformation brauchen wir dringend private Investitionen. Aber sobald es als Auszahlung an die beschenkten Erb*innen geht, also nicht investiert wird, sollte eine signifikante Steuer fällig werden, zum Beispiel 50 Prozent. Dass einige wenige Menschen, die einfach nur Glück hatten, Steuergeschenke erhalten, mit denen eine ganze Gesellschaft eine Zukunft aufbauen könnte, ist für mich ein eklatantes Missverhältnis. Alle sollten ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten.
Nachfrage: Was muss sich am Instrument Schuldenbremse ändern?
Eigentlich ist die zentrale Idee der Schuldenbremse, dass wir so viel Geld ausgeben können, bis die Wirtschaft ausgelastet ist, eine gute. Aber wenn man sagt, dass die Wirtschaft dann ausgelastet ist, wenn ungefähr so viel gearbeitet wird wie in der Vergangenheit, dann ist das Blödsinn. Das bedeutet nämlich, dass die deutsche Wirtschaft als ausgelastet gilt, wenn wie in der Vergangenheit 50 Prozent der Frauen Teilzeit arbeiten - auch wenn wir aus Umfragen wissen, dass viele gerne mehr arbeiten würden, es aber an Betreuung fehlt. Dem zugrunde liegt die neoklassische Theorie, wonach das Potenzial der Wirtschaft als fix gilt und der Staat dies nicht beeinflussen kann außer durch Steuersenkungen. Ausgaben, die für gute Jobs sorgen, rechnen sich aber immer. Man sollte also die Schuldenbremse so anpassen, dass man für produktive Ausgaben mehr Spielraum bekommt. Denn wenn wir mehr Geld für Kinderbetreuung ausgeben, schaffen wir mehr wirtschaftliches Potenzial und sollten dann auch mehr ausgeben können. Das käme vor allem Investitionen wie Bildung und Erziehung entgegen. Skeptisch bin ich eher bei Dauersubventionen, bei den man nicht genau weiß, was am Ende dabei rauskommt.
Brauchen wir auch neue Regeln, wenn es um Subventionszahlungen geht?
Die Frage lautet, wie wir Subventionen so gestalten, dass sie im Interesse unseres Staates sind. Ich glaube beispielsweise nicht, dass wir das beim Industriestrompreis schon wissen. Generell sollten wir große Wirtschaftssubventionen anders angehen als zum Beispiel finanzielle Unterstützung für Haushalte für Heizungen. Die Analyse der Auswirkungen von großen Wirtschaftssubventionen ist sehr komplex und man sollte nicht vergessen, dass natürlich auch starke Interessen im Spiel sind. Letztes Jahr rief die Industrie sehr laut nach Hilfen – nur um dann rekordverdächtig viel Geld an ihre Anteilseigner auszuschütten: Die Dividenden der DAX 30 Unternehmen stiegen 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 48 Prozent.
Ein Weg wäre, dass wir alle großen Wirtschaftssubventionen im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) bündeln. Für den WSF könnten wir dann festlegen, welche Analysen Voraussetzung für eine Subventionsentscheidung sind und dass Entscheidungsprozesse dokumentiert und ein paar Jahre später veröffentlicht werden müssen.
Bei der Ausgestaltung unserer Subventionen sollten wir uns den amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) ansehen. Dort werden Subventionen an gute Beschäftigung geknüpft. Das heißt, die Beschäftigten müssen mindestens den Durchschnittslohn ihrer Branche verdienen und die Firmen müssen ausbilden. Damit ist ein gesellschaftliches Interesse gesichert.
Was machen die USA anders?
US-Präsident Joe Biden macht, was er für richtig hält, unabhängig davon, was es kostet. Ziel seiner Wirtschafts- und Klimapolitik sind gute Jobs, von denen die Menschen leben können. Das ist ein Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik. Biden unterhält ein Haushaltsdefizit von sechs Prozent in diesem Jahr. Laut europäischer Fiskalregeln geht bei drei Prozent die Welt zu Ende. In der progressiven Ökonomenbubble schauen viele mit staunenden Augen in die USA und können kaum glauben, was da passiert. Sicher ist auch in den USA nicht alles perfekt – aber Biden hat eine Antwort auf die heutigen Herausforderungen gefunden.
Was kann Deutschland daraus lernen?
Dass es sich lohnt, ernsthaft über Wirtschafts- und Finanzpolitik nachzudenken. Die Gesellschaft möchte eine Antwort darauf, wie die nächsten Jahre gut gehen und es gibt eine. Voraussetzung dafür ist aber, dass wir unsere überkommenen Fiskalregeln einmotten. Alle reden vom aktiven Staat, aber gleichzeitig darf die Staatsverschuldung nicht mehr als 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung betragen. Das wird dann als nachhaltiges Wirtschaften bezeichnet. Dieser Wert – die 60 Prozent – lässt sich ökonomisch nicht begründen, er war der Durchschnittswert in der europäischen Gemeinschaft Anfang der 90-Jahre. Ein Teil der europäischen Regeln sagt auch, dass man einen gewissen Anteil an Arbeitslosigkeit erhalten muss, damit es nicht zur Inflation kommt. Das steht übrigens auch in der Schuldenbremse. Das müssen wir ändern.
Müssen wir also, um Wunsch und Wirklichkeit näher zusammenzubringen, die Grundlagen unserer Finanzpolitik hinterfragen?
Wenn wir die Annahmen hinterfragen, die hinter unserer Finanzpolitik liegen, verstehen wir mehr, wo das Problem liegt. Diese Annahmen stimmen nicht mit dem überein, was wir als Gesellschaft beschossen haben. Wie man eine starke Rolle des Staates gut hinbekommt, fällt aber nicht vom Himmel. Das muss vorbereitet werden. In den USA war das vorbereitet. Soweit sind wir in Deutschland noch nicht. Wir arbeiten aber daran.
node:vw-infobox
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.