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Juso-Chef Türmer: „Kein Kahlschlag im sozialen Bereich!“

Seit November ist Philipp Türmer Bundesvorsitzender der Jusos. Im Interview erklärt der 27-jährige Hesse, was die Jungsozialist*innen in den kommenden beiden Jahren erreichen wollen und warum es entscheidende Jahre für die Sozialdemokratie werden.

von Jonas Jordan · 7. Dezember 2023
Seit November ist Philipp Türmer aus Offenbach Bundesvorsitzender der Jusos.

Seit November ist Philipp Türmer aus Offenbach Bundesvorsitzender der Jusos.

Sie sind der erste Juso-Bundesvorsitzende aus Hessen seit Heidemarie Wieczorek-Zeul in den 70er-Jahren. Was bedeutet Ihnen das?

Mit Heidemarie Wieczorek-Zeul und Karsten Voigt gab es bislang zwei südhessische Juso-Bundesvorsitzende. Beide haben in ihrer Zeit die Jusos sehr geprägt und stark nach außen vertreten. Dem versuche ich gerecht zu werden und auch eine gute Arbeit abzuliefern.

Wie war Ihre erste Reaktion nach der Wahl?

Erst mal war ich erleichtert. Denn es war ein sehr langer und intensiver Wahlkampf. Zugleich habe ich Respekt vor der Größe der Aufgabe. Die Sozialdemokratie macht gerade nicht besonders leichte Zeiten durch. Wir müssen sehr gegen den Rechtsruck kämpfen und dafür, dass unsere Ideen einer solidarischen Gesellschaft mehrheitsfähig bleiben.

Ihre Kontrahentin Sarah Mohamed bleibt als stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende weiter aktiv. Wie wichtig ist das als Signal für die Einigkeit des Verbands?

Ich finde es gut, dass Sarah weiter mitarbeitet. Denn ich schätze die Zusammenarbeit mit ihr sehr. Wir brauchen jetzt einen starken Verband, um uns gemeinsam den großen Aufgaben zu stellen, die vor uns liegen. Dafür werde ich mich mit dem gesamten neuen Bundesvorstand einsetzen.

Philipp Türmer, Juso-Bundesvorsitzender

„Das Grunderbe ist nicht nur eine neue, sondern auch eine sehr gute Idee.“

Die Forderung der Jusos nach einem Grunderbe hat für Schlagzeilen gesorgt. Hat es Sie überrascht, wie heftig die Reaktionen ausfielen?

Eine neue Idee in der gesellschaftlichen Debatte erzeugt bei vielen erst mal reflexhaft Ablehnung. Allerdings haben wir auch sehr viel positives Feedback bekommen. Das Grunderbe ist nicht nur eine neue, sondern auch eine sehr gute Idee. Meine Generation wird es noch erleben, dass wir diese politische Forderung auch in die Realität umsetzen werden.  Zusammen mit einer gerechteren Erbschaftsbesteuerung halte ich das ganze Konzept für sehr zielführend, um eine stärkere Gerechtigkeit bei der Vermögensverteilung herzustellen.

In dieser Woche steht der SPD-Bundesparteitag an. Was sind Ihre inhaltlichen Erwartungen?

Wir müssen klarmachen, dass wir als SPD kurzfristig die Aussetzung der Schuldenbremse wollen, aber uns langfristig vollständig von diesem veralteten Konzept verabschieden. In der Asyl- und Migrationspolitik müssen wir uns selbst vergewissern, was unsere humanistischen Grundlagen sind. In Fragen der Verteilungsgerechtigkeit werden wir uns für ein klares Bekenntnis zu einem Mindestlohn von 15 Euro und für eine stärkere Umverteilung von Vermögen einsetzen, beispielsweise durch eine einmalige Krisenabgabe.

Was halten Sie von Christian Lindners Vorschlag, 17 Milliarden Euro durch Kürzungen bei Sozialleistungen, Klima und Entwicklungszusammenarbeit einzusparen?

Genau das wäre der absolut falsche Weg. Dadurch würde man den Eindruck erwecken, dass die aktuelle Unsicherheit, die mit der Transformation unserer Gesellschaft einhergeht, auf den Schultern der Schwächsten in unserer Gesellschaft abgewälzt wird. Das wäre hochgefährlich und falsch. Wir brauchen einen starken Sozialstaat. Wir müssen in unseren Sozialstaat und gleichzeitig in die Klimatransformation investieren. Dieses Signal müssen wir als SPD deutlich senden. Deshalb darf es zu keinerlei Kahlschlag im sozialen Bereich kommen.

Während Ihrer Amtszeit als Juso-Vorsitzender stehen die Europawahl, die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie eine Bundestagswahl an. Werden es entscheidende Jahre für die Jusos?

Für die Jusos und auch für unsere ganze Partei. Die Wahlen im Osten haben so sehr wie vielleicht keine Landtagswahlen davor das Label richtungsweisend verdient. Wir sind uns darüber bewusst, wo wir gerade in den Umfragen stehen und dass wir nur noch eine beschränkte Zeitspanne haben, um den Kurs zu ändern und wieder in die Offensive zu kommen. Das muss uns im nächsten Jahr auch in Vorbereitung der Bundestagswahl gelingen.

Was sind die wichtigsten Themen der Jusos mit Blick auf die Europawahl?

Wir wollen ein soziales und solidarisches Europa. Wir wollen eine verbindliche Richtlinie für einen europäischen Mindestlohn. Wir kämpfen für eine europäische Jugendgarantie. Wir wollen, dass wir stärker in die Klimatransformation unserer Gesellschaft investieren. Wir wollen weg von den nationalen Egoismen. Wir wollen, dass Europa mehr ist als eine Wirtschaftsunion, sondern ganz konkret Politik macht für die Bedürfnisse der Menschen. Selbstverständlich wollen wir ein Europa, das für Menschenrechte steht, nach außen und nach innen. Dazu gehört eine Geflüchteten- und Asylpolitik, in der Europa ein menschliches Antlitz zeigt und nicht mehr diesen Kurs der Abschottung verfolgt wie bei der GEAS-Reform.

Welche Rolle spielen die Kandidaturen der Jusos für das Europaparlament?

Wir werden stark dafür kämpfen, dass unsere Juso-Spitzenkandidatinnen Delara Burkhardt und Manon Luther aussichtsreiche Listenplätze bekommen. Denn neben den Jusos auf der Straße sind Jusos in den Parlamenten eine wichtige Garantie dafür, dass der SPD nicht die neuen Ideen ausgehen und wir uns für einen solidarischen Kurs im politischen Alltag einsetzen.

Philipp Türmer

„Wir werden alles tun, um die Faschist*innen wieder klein zu machen“

Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland drohen Rekordergebnisse der AfD. Was tun Sie, um das zu verhindern?

Wir werden alles dafür tun, die Faschist*innen bei diesen drei Landtagswahlen im Osten und allen folgenden Wahlen wieder klein zu machen. Wir wollen als Juso-Bundesverband eine Servicestelle für die wahlkämpfenden Jusos sein, sie mit speziell auf sie zugeschnittenen Materialien, aber auch Infrastruktur wie der Organisation einer Bettenbörse unterstützen. Wir werden gezielt auf Themen wie das Grunderbe setzen, von dem Menschen im Osten massiv profitieren würden. Wir werden mit dem gesamten Bundesverband gerade in den strukturschwächeren Regionen personell unterstützen. Das hat für mich als Bundesvorsitzender eine hohe Priorität.

Was würden Sie Ende 2025 stolz auf eine erfolgreiche erste Amtszeit blicken?

Wenn es uns als Jusos gelungen ist, lauter in der Debatte zu werden, den gesellschaftlichen Diskurs, der im Moment stark von Rechten und Konservativen geprägt wird, wieder stärker nach links zu rücken. Wir müssen es hinbekommen, dass wieder stärker über linke positive Zukunftsvisionen geredet wird. Selbstverständlich wollen wir auch, dass die SPD ein Teil dieses Linksrucks wird. Wir wollen die Ampel auf einen deutlich sozialdemokratischeren Kurs bringen.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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3 Kommentare

Gespeichert von Christian G. (nicht überprüft) am Do., 07.12.2023 - 18:55

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Es ist mir ein Rätsel, wieso der Grunderbe-Antrag nicht überarbeitet wurde. Korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liege. Warum soll das Grunderbe, unabhängig vom Aufenthaltsstatus gezahlt werden? Niemand versteht warum z.B. ein Somalier das Grunderbe bekommen würde, auch wenn er in 2 Jahren abgeschoben wird. Das Grunderbe sollte an den deutschen Pass geknüpft werden (und man sollte mind. 10 Jahre in DE leben).
Damit werden wir auch keine Wahl gewinnen. Es gibt jede Menge Daten, die zeigen wie unzufrieden die Deutschen über die Vermögensgleichheit (Besteuerung von Arbeit etc.) sind. Da gibt es viel Potential. Das BSW wird nur nicht erfolgreich sein, weil ihre Haltung zu Russland, der EU und zur NATO von der Mehrheit abgelehnt werden. Das ist eigentlich unsere Chance. Stattdessen lassen wir die Chance liegen (sollte es so in Programm kommen).

Und ja, ich würde nicht vom Grunderbe profitieren. Warum geht man nicht das Hauptproblem, unser Steuersystem? Das wäre nachhaltiger und alle Menschen würden profitieren. Nicht nur gewisse Altersgruppen.

Wenn wir so weitermachen, wie bisher, werden wir in 10 Jahren Ergebnisse wie die Links-Partei einfahren.

PS: Über Migration/Asyl haben wir jetzt noch gar nicht geredet

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Fr., 08.12.2023 - 07:04

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Aufforstung im sozialen Bereich. Wer sich beschränkt auf die Vermeidung des Kalhlschlags, räumt- gewollt oder unbeabsichtigt, ein, dass "Entnahmen" aus dem Bestand akzeptiert werden würden. Dazu darf es nicht kommen, denn das derzeitige Niveau reicht gerade zum Leben, und dies auch nur, wenn man Tafeln und Spenden dazurechnet. Menschenwürdig ist das noch nicht, so dass die Forderung nach weitergehendem Ausbau und Leistungserhöhung im sozialen Bereich angezeigt ist.