Soziale Politik

Kevin Kühnert: Warum die SPD den Mindestlohn für Jugendliche fordert

Der Mindestlohn soll als untere Haltelinie vor Lohndumping schützen. Eigentlich gilt er für alle Beschäftigten, aber das Mindestlohngesetz sieht Ausnahmen vor. Die SPD will das ändern.
von Vera Rosigkeit · 26. Juli 2023
Der Mindestlohn von 12 Euro soll künftig auch für unter 18-Jährige gelten
Der Mindestlohn von 12 Euro soll künftig auch für unter 18-Jährige gelten

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat sich während seiner Sommerreise dafür ausgesprochen, die Ausnahme im Mindestlohngesetz für Jugendliche unter 18 Jahren abszuschaffen. Dass in Annoncen teils gezielt nach Minderjährigen gesucht werde, weil man sie für neun oder zehn Euro die Stunde arbeiten lassen kann, findet Kühnert „unerhört“. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung betont er am Dienstag, dass die Ausnahme für unter 18-Jährige eine nicht begründbare Verzerrung sei und fordert: „Wir sollten sie schnellstmöglich abschaffen, das ist mein Appell.“

Welche Ausnahmen vom Mindestlohn gibt es:

Den flächendeckenden Mindestlohn gibt es seit Januar 2015. Gestartet ist er mit 8,50 Euro brutto die Stunde. Grundsätzlich steht er allen in Deutschland tätigen Arbeitnehmer*innen zu, allerdings wurden mit der Einführung Ausnahmen definiert. Dazu zählen:
Minderjährige ohne abgeschlossene Berufsausbildung,
Praktikant*innen, wenn sie ein Pflichtpraktikum im Rahmen einer schulischen oder hochschulischen Ausbildung machen oder freiwillig als Orientierung bis zu einer Dauer von drei Monaten,
Auszubildende, unabhängig von ihrem Alter während der Ausbildung,
Langzeitarbeitslose, während der ersten sechs Monate in einer neuen Beschäftigung,
Selbstständige, ehrenamtlich Tätige aber auch Untersuchungs- und Strafgefangene sowie voll erwerbsgeminderte Menschen

Welche Ausnahmen die SPD abschaffen will:

Laut Kühnert sollen nun auch Minderjährige einen Anspruch auf den Mindestlohn haben. Damit greift er eine Forderung auf, die bereits 2021 von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und dem damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz in einem Eckpunktepapier „Fairer Mindestlohn, starke Sozialpartnerschaft“ verfasst wurden. Darin heißt es zur Weiterentwicklung des Mindestlohngesetzes: „Der Mindestlohn soll eine unterste Haltelinie für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Dies verträgt sich nicht damit, dass manche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Mindestlohngesetz weiterhin ausgenommen sind.“ Dabei geht es konkret um Ausnahmen für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung sowie für minderjährige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Als Begründung wird dort aufgeführt, dass die „mit diesen Ausnahmen intendierten Steuerungswirkungen jeweils nicht erreicht werden konnten“.

Bei Jugendlichen unter 18 Jahren sollte so beispielsweise verhindert werden, dass Minderjährige sich einen Job suchen, statt sich für eine in der Regel schlechter bezahlte Ausbildung zu entscheiden. Da Jugendliche in der Ausbildung nicht unter das Mindestlohngesetz fallen, hat sich die SPD noch in der vergangenen Koalition mit CDU/CSU erfolgreich für eine Mindestausbildungsvergütung (MAV) stark gemacht, um diese Lücke zu schließen. Der „Azubi-Mindestlohn“ gilt seit dem 1. Januar 2020 und ist im Berufsbildungsgesetz verankert. Die Mindestausbildungsvergütung definiert, was der Ausbildungsbetrieb dem Azubi mindestens zu zahlen hat. Für Auszubildende, die ihre Ausbildung 2020 begonnen haben, betrug sie zunächst 515 Euro im ersten Lehrjahr. Zum 1. Januar 2023 stieg die MAV auf 620 Euro im 1. Ausbildungsjahr, 731,60 Euro im 2., 837 Euro im 3. Ausbildungsjahr und liegt bei 868 Euro im 4. Ausbildungsjahr. Sie soll künftig jährlich an die durchschnittliche Entwicklung aller Ausbildungsvergütungen angepasst werden.

Mindestlohnerhöhung ab Januar 2024

Aktuell liegt der Mindestlohn bei 12 Euro. Auch diese Erhöhung geht auf einen Vorstoß der SPD zurück, der im Heil/Scholz-Papier enthalten war  und ein zentrales Wahlversprechen der SPD im Bundestagswahlkampf 2021 war. Umgesetzt wurde sie im vergangenen Jahr als der Mindestlohn ausnahmsweise per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro erhöht. Üblicherweise ist für die Anpassung des Mindestlohns die sogenannte Mindestlohnkommission zuständig, die alle zwei Jahre eine Anpassung überprüft. Das Gremium setzt sich aus insgesamt neun ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen. Jeweils drei Mitglieder vertreten Arbeitnehmer*innen auf der einen und Arbeitgeber*innen auf der anderen Seite. Hinzu kommen eine Vorsitzende sowie zwei beratende Wissenschaftler, die jedoch nicht stimmberechtigt sind. Ende Juni entschied die Kommission, den gesetzlichen Mindestlohn zum 1. Januar 2024 auf 12,41 Euro anzuheben, im Jahr darauf auf 12,82 Euro. Die Entscheidung wurde nicht einstimmig getroffen. Die Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen hatten einen höheren Mindestlohn gefordert.

Auch die SPD, allen voran Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, hätten sich mehr gewünscht. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte daraufhin ankündigt, im kommenden Jahr eine zusätzliche Mindestlohnerhöhung mit Hilfe der Europäischen Mindestlohnrichtlinie auf bis zu 14 Euro durchzusetzen.

In der Stadt München wurde iinzwischen, ebenfalls auf Bestrebungen der SPD, ein eigener Münchner Mindestlohn von 16 Euro beschlossen. Die dortige SPD/Volt-Fraktion startete im Mai 2022 gemeinsam mit dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) eine Initiative für einen eigenen kommunalen Mindestlohn. Mittel Juli wurde er vom Verwaltungs- und Personalausschuss des Stadtrats beschlossen. Der Mindestlohn gilt zunächst für die Beschäftigten der Stadt. Unternehmen sind aufgefordert, den Mindestlohn auf freiwilliger Basis zu zahlen, Vorbild hierfür ist der London Living Wage.

 

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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