vorwärts-Sommerfest: Auf den Kanzler ist Verlass
Dirk Bleicker
Lars Klingbeil lächelt verschmitzt. Der SPD-Vorsitzende schaut sich um und sagt: „Ich habe das Gefühl, heute werden deutlich mehr Fotos gemacht als sonst. Ich weiß gar nicht, woran das liegt.“ Klingbeil spielt damit auf das ungewöhnliche Aussehen von Bundeskanzler Olaf Scholz an. Nach einem Unfall beim Joggen zwei Tage zuvor trägt Scholz eine Augenklappe. In den Stunden zuvor kursierten bereits zahlreiche Piraten-Memes in den sozialen Medien. Dennoch hat er es sich nicht nehmen lassen, wie geplant am Abend beim vorwärts-Sommerfest im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zu erscheinen. Deswegen kommt vorwärts-Geschäftsführerin und Chefredakteurin Karin Nink zu dem Schluss: „Das ist ein Kanzler, auf den ist Verlass.“
Klingbeil: „Wir haben Lust und werden noch viel erreichen“
Scholz spricht dann in seinem kurzen Grußwort jedoch nicht über seine persönlichen Herausforderungen aufgrund des aktuell eingeschränkten Sichtfeldes, sondern über die anstehenden gesellschaftlichen. „Hier geht es heute darum, dass wir uns ein bisschen stark machen für die Dinge, die vor uns liegen. Was vor uns liegt, ist nicht der Mangel an Arbeitsplätzen, sondern an Arbeitskräften.“
Ganz im unter dem Einfluss seines Besuches beim Gillamoos-Volksfest in Bayern am Vormittag steht hingegen das Grußwort von Lars Klingbeil. „Das war wirklich ein Spektakel“, sagt der SPD-Vorsitzende. Beunruhigt habe ihn der Umgang von Ministerpräsident Söder mit der Flugblatt-Affäre seines Stellvertreters Hubert Aiwanger. Deswegen stellt Klingbeil klar, dass Antisemitismus überall bekämpft werden müsse. Aiwanger habe sich jedoch weder entschuldigt, noch Reue gezeigt. Klingbeil kommt daher zu dem Schluss: „Das ist nichts. Das ist keine gute Führung.“ Auch deswegen ist der 8. Oktober mit den Landtagswahlen in Hessen und Bayern ein wichtiger Tag für die Sozialdemokratie. Der Vorsitzende gibt sich kämpferisch: „Wir haben Lust und werden noch viel erreichen. Dieser Abend gibt uns Kraft dafür.“
Wie kann die Transformation gelingen?
Erreichen will die Partei auch, dass der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft in Deutschland gelingt. Was dafür notwendig ist, erörtert SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert im Gespräch mit Bertolt Meyer, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Technischen Universität Chemnitz, und Kerstin Marx, Vorsitzende des Konzernbetriebsrats der Telekom. „Die Telekom besteht aus Menschen, die machen seit der Privatisierung Dauer-Transformation“, stellt sie klar. Insofern sei für die Mitarbeiter*innen Transformation Tagesgeschäft. Was sich verändert habe, seien die Dimension und die Geschwindigkeit.
Auch Kühnert sagt, Transfomation erst einmal nur das Runterbrechen bereits laufender Prozesse auf eine Begrifflichkeit. Es gehe dabei um eine systematische, politische und sozialsstaatliche Begleitung der Arbeitswelt, „damit industrielle Wertschöpfung weiter einen maßgeblichen Kern unserer Wirtschaft ausmacht“. Bertolt Meyer weist darauf hin, dass Veränderung grundsätzlich immer mit Ängsten und der Sorge vor Verlust einhergehe. Zugleich gebe es aktuell ein subjektives Gefühl bei vielen Beschäftigten, dass ihre Arbeit immer mehr und immer komplexer werde. „Das belastet die Leute extrem. Wir haben inzwischen wirklich krasse Ausmaße psychischer Erkrankungen“, sagt er.
Leitantrag zum Bundesparteitag
Die Herausforderung der aktuellen Transformation bestehe in einer Mischung aus mehr Digitalisierung und dem demografischen Wandel, sagt Meyer und fügt an: „Aber wir haben auch eine Chance, wenn wir das solidarisch gestalten.“ Genau darum geht es der SPD, die für ihren Bundesparteitag im Dezember in Berlin einen Leitantrag zur Transformation plant, wie Kevin Kühnert berichtet. Ein prominentes Kapitel soll sich darin auch mit Steuer- und Finanzpolitik beschäftigen, plaudert der SPD-Generalsekretär aus dem Nähkästchen.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo