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Telekom-Betriebsrätin Kerstin Marx: „Wir möchten mitbestimmen.“

Kurzarbeit, mobile Arbeit, der Einsatz Künstlicher Intelligenz – im Interview erklärt Kerstin Marx, Betriebsratschefin der Deutschen Telekom, warum die Umbrüche im Arbeitsleben nur mit mehr Mitbestimmung zu meistern sind.
von Vera Rosigkeit · 15. März 2022

Gewerkschaften betonen, dass die Betriebsratswahlen in diesem Jahr besonders wichtig sind. Was ist anders?

Betriebsratswahlen sind immer wichtig, in diesem Jahr aber besonders, weil wir uns während der Pandemie überlegen müssen – und zwar jeden Tag aufs Neue – wie wir unsere Beschäftigten erreichen. Werbung über irgendein Medium ist gut und wichtig, eine E-Mail oder Videokonferenz kann aber das persönliche Gespräch nicht ersetzen, ob nun den Plausch in der Kaffeeküche oder in der Tiefgarage. Das sind besondere Rahmenbedingungen in diesem Jahr.

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeit von Betriebsrätinnen und -räten?

Betriebsratsarbeit lebt von Präsenz und Bindung. Die Anliegen, mit denen Beschäftigte auf Betriebsräte zugehen haben zwar mit ihrer Arbeit zu tun, berühren oft auch die eigene Person. Umgekehrt fehlt mir als Betriebsrat ohne persönlichen Kontakt oft auch das Spiegeln, ob mein Vorschlag auch den Nerv der Kolleginnen und Kollegen trifft, die sich mir anvertrauen. Aktuell steht die Betriebsratsarbeit vor enormen Herausforderungen. Da gibt es den gesamtgesellschaftlichen Trend, sich weniger zu engagieren und an eine Organisation zu binden und gleichzeitig die zusätzlichen Belastungen durch Corona. Die Pandemie hat den Beschäftigten viel abverlangt, sie mussten viel improvisieren, das kostet Kraft.

Spielt dabei auch die Verdichtung der Arbeit im Homeoffice eine Rolle?

Auf jeden Fall. Die Produktivität steigert sich schon dadurch, dass sich im Home­office Termine aneinanderreihen und dadurch Pausen geringer werden. Daraus ist auch eine Art Videomüdigkeit entstanden. Die Empfindung von Belastung ist allerdings subjektiv. Das macht es schwierig, Konzepte zu entwickeln und Maßnahmen zu ergreifen, die kurzfristig umsetzbar sind und gesundheitlichen ­Belastungen entgegenwirken können. Das braucht mehr Zeit.

Haben Betriebsrätinnen und -räte die besondere Belastung von ­Frauen in Pandemie-­Zeiten im Blick?

Es ist gigantisch, was Eltern und besonders Frauen leisten, die während der Pandemie ihre Kinder zu Hause beschulen und betreuen und nebenbei noch Videokonferenzen machen oder Produkte verkaufen. Wir sehen auch den Rückfall in alte Rollenbilder, der dadurch entstanden ist. Es ist ein schleichender Prozess. Und bis ein schleichender Prozess sichtbar wird, ist er meist schon weit fortgeschritten. Das alles ist Thema in unserer Betriebsratsarbeit, könnte aber ein größeres werden.

Die Digitalisierung stellt die Arbeitswelt insgesamt vor große Umbrüche. Der DGB hält eine Runderneuerung des Betriebsverfassungsgesetzes für notwendig. Was sagen Sie?

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz im vergangenen Jahr war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wir brauchen mehr, um eine gute Mitbestimmung vor Ort durchsetzen zu können. Bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit brauchen wir ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Wir möchten mitbestimmen, wenn es darum geht, ob mobile Arbeit eingeführt wird oder nicht. Bislang haben hier die Arbeitgeber die alleinige Hoheit.

Wo fordern Gewerkschaften weitere Rechte bei der Mitbestimmung?

Beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz gibt es jetzt zwar ein verbrieftes Mitbestimmungsrecht, den Einsatz mitzubestimmen, doch das muss weiterentwickelt werden. Der Einsatz von KI lässt sich zwar in Grundsätzen regeln, bei der Entwicklung dieser selbstlernenden Systeme können sich aber Schritte ergeben, die vorher nicht absehbar sind. In diese Entwicklungen wollen wir einbezogen werden, denn dadurch verändern sich Tätigkeiten, Verantwortung und auch notwendige Fähigkeiten ständig. Zudem brauchen wir unbedingt eine Novellierung des Arbeitnehmerbegriffs. Nicht nur bei der Telekom, überall arbeiten inzwischen Leih- und Zeitarbeitskräfte. Daraus ergeben sich Fragen, wer überhaupt wahlberechtigt ist oder für wen Betriebsräte zuständig sind. Warum können sich Beschäftigte nicht einfach an den Betriebsrat wenden, für dessen Firma sie für eine längere Zeit tätig sind? Hier brauchen wir tragfähige Lösungen.

Zurück zur Betriebsratsarbeit. Dafür gibt es bei der Telekom jetzt auch eine App?

Schon vor der Pandemie haben wir dafür gesorgt, dass alle Beschäftigten ein mobiles Endgerät bekommen, um bestimmte tätigkeitsrelevante Funktionen zu nutzen. Denn bei der Telekom AG arbeiten sowohl Beschäftigte standortgebunden im normalen Schichtdienst als auch Beschäftigte, die viel unterwegs sind und vielleicht nur einmal die Woche in die Firma kommen. Die App des Konzernbetriebsrats soll den Mitarbeitenden ermöglichen, an Informationen der Betriebsräte ranzukommen und an Diskussionen teilzunehmen, die im Betrieb stattfinden. Das ist ein Beispiel aus unserer Strategie, die die Betriebsräte gemeinsam mit der ver.di entwickelt haben: Kurzform KBR T4U. Kern der Strategie ist, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern und neue zu schaffen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben einen eigenen Anspruch, was eine Telekom für sie sein soll. Wir beschreiben unsere Ziele und kennen die Schritte, wie wir sie erreichen wollen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, was Mitbestimmung leisten kann.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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