SPD-Chef Stoch: „In Baden-Württemberg geht gerade viel Zeit verloren“
Im kommenden Frühjahr wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. Für die SPD geht Parteichef Andreas Stoch als Spitzenkandidat ins Rennen. Im Interview sagt er, wie er die SPD trotz mauer Umfragewerte in die Regierung führen will.
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Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch: Wir sollten wieder eine stärkere Debattenkultur in unsere Partei hineinbekommen.
Wie viel Spaß macht es zurzeit, Vorsitzender der SPD in Baden-Württemberg zu sein?
Es ist immer eine große Ehre, Vorsitzender der SPD in Baden-Württemberg zu sein. Und wenn man auf einem Parteitag mit knapp 95 Prozent zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im kommenden Jahr gewählt wird, dann ist das auch ein großer Vertrauensbeweis und eine Motivation für die kommenden Monate. Aber natürlich ist die Arbeit in der Opposition, die wir jetzt seit mehr als neun Jahren machen, gerade in Baden-Württemberg nicht ganz trivial. Vor allem, wenn man sieht, dass sich die Landesregierung nach wie vor in der Komfortzone bewegt und immer noch so tut, als ob Baden-Württemberg automatisch auch in der Zukunft ein starkes – gerade wirtschaftsstarkes – Land sein wird. Alle Vorzeichen deuten nämlich darauf hin, dass sich die Dinge dramatisch ändern, gerade im Bereich der Industrie.
Was sorgt Sie hier besonders?
In Baden-Württemberg geht gerade viel Zeit verloren, weil die Landesregierung nicht ins Handeln kommt. Die Bundesregierung hat wichtige Dinge angestoßen, die Investitionen erleichtert. Andere Bundesländer, gerade die sozialdemokratisch regierten, sind hier bereits deutlich weiter als Baden-Württemberg und ich habe die große Sorge, dass wir gerade Entscheidendes verschlafen.
Die Vorgänge um Landtagsvizepräsident Daniel Born, der in der vergangenen Woche bei einer geheimen Wahl im Landtag hinter dem Namen eines AfD-Abgeordneten ein Hakenkreuz gemalt hat, dürften Ihre Freude als SPD-Vorsitzender zuletzt zusätzlich getrübt haben.
Daniel Born hat einen schwerwiegenden Fehler begangen, der durch nichts zu entschuldigen ist. Es ist deshalb gut, dass er als Landtagsvizepräsident und von seinen Parteiämtern zurückgetreten, nicht mehr Mitglied unserer Landtagsfraktion ist und auf eine erneute Landtagskandidatur verzichtet. Um weiteren Schaden von der Partei und Fraktion abzuwenden, ist aber auch ein Rücktritt von seinem Landtagsmandat unumgänglich. Daniel Born war und ist ein überzeugter Demokrat. Er hat sich über viele Jahre hinweg mit Leidenschaft und großem Einsatz für unsere SPD starkgemacht. Ich bedaure, dass es so gekommen ist.
Andreas
Stoch
Der Wahlkampf beginnt jetzt und wir werden um jedes Prozent kämpfen, damit wir so stark werden, um in der nächsten Landesregierung vertreten zu sein.
Schon vor dem Eklat stand die SPD in der jüngsten Umfrage für die Landtagswahl aus dem Mai nur bei zehn Prozent. Woran liegt das?
Das Bundestagswahlergebnis mit 16,4 Prozent steckt uns allen noch in den Knochen. Und auch beim Bundesparteitag hat man gemerkt, dass die SPD insgesamt verunsichert ist. In solch einer Situation strahlt man natürlich kaum Selbstbewusstsein für die Wählerinnen und Wähler aus. In Baden-Württemberg war die Situation für die SPD aber nie einfach. Bei der Landtagswahl 2021 hatten wir gerade einmal elf Prozent. Danach konnten wir uns ein wenig nach oben arbeiten und lagen lange stabil bei immerhin 13 Prozent, was mich auch nicht zufrieden stellt. Warum wir zuletzt auf zehn Prozent zurückgefallen sind, kann ich auch nicht eindeutig beantworten. Aber wenn die Bundes-SPD in Umfragen nur auf 13 bis 14 Prozent kommt, werden wir in Baden-Württemberg das nicht deutlich übertreffen können.
Verantwortlich ist aus Ihrer Sicht also die Bundespolitik?
Nicht nur. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass es für uns in Baden-Württemberg aus der Oppositionsrolle heraus nicht einfach ist, gegenüber Grünen und CDU, die nahezu geräuschlos zusammen regieren. Da ist es schwierig, mit eigenen Vorschlägen durchzudringen. Im Wahlkampf wird das eine besondere Herausforderung werden, da sich die öffentliche Wahrnehmung auf den Zweikampf um das Amt des Ministerpräsidenten zwischen Cem Özdemir von den Grünen und Manuel Hagel von der CDU konzentrieren wird. Es hilft aber nichts, sich zu beklagen. Der Wahlkampf beginnt jetzt und wir werden um jedes Prozent kämpfen, damit wir so stark werden, um in der nächsten Landesregierung vertreten zu sein.
Beim Parteitag Anfang Juli haben Sie gesagt: „Die Aufholjagd beginnt jetzt.“ Wie soll das konkret aussehen?
Erstmals setze ich sehr große Hoffnung darauf, dass sich die Politik der Bundesregierung auch in den Augen der Menschen als verlässliche, vor allem aber auch als zukunftsgerichtete Politik zeigen wird. Gerade der Investitions- und Wachstumsbooster, der ja vor allem von der SPD in der Bundesregierung durchgesetzt wurde, wird sich sehr positiv auf Baden-Württemberg auswirken. Trotzdem müssen wir uns auch auf unsere eigene Stärke besinnen und dürfen uns nicht allzu viele Fehler leisten. In Baden-Württemberg kann man Wahlen nur gewinnen, wenn die Menschen einem zutrauen, dass man etwas von Wirtschaft versteht und man eine Idee hat, wie die wirtschaftliche Stärke des Landes auch in der Zukunft erhalten bleibt. Und die haben wir.
Welche Ideen hat hier die SPD?
Für die SPD heißt das, dass wir gemeinsam an der Seite der Gewerkschaften und der Betriebsräte um jeden Arbeitsplatz, vor allem auch um jeden industriellen Arbeitsplatz, kämpfen werden. Und dass wir es nicht einfach so zulassen werden, dass die Unternehmen bei uns sukzessive Personal abbauen. Stattdessen werden wir gemeinsam mit den Firmen überlegen, welche Rahmenbedingungen sie brauchen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, Arbeitsplätze in Deutschland zu halten und technologisch wieder den Vorsprung zu erringen, der für unser Land wichtig ist.
Andreas
Stoch
Es kann der SPD nur helfen, wenn wir die Türen und Fenster ganz weit aufmachen und nicht im eigenen Saft weiter diskutieren.
Neben der Wirtschaft waren Wohnen, Bildung und eine wehrhafte Demokratie die vier Themen beim „Debattencamp“, das die SPD Baden-Württemberg im Juli veranstaltet hat. Werden das auch die Schwerpunkte des Wahlprogramms sein?
Wirtschaft, Wohnen und Bildung sind die Themen, bei denen die Menschen der SPD die größte Lösungskompetenz zutrauen. Beim Wirtschaftsthema vor allem, wenn es um den Kampf um Arbeitsplätze geht. Bildung ist ein wichtiges Thema für uns, weil hier das Land zuständig ist und nicht der Bund. Als früherer Kultusminister kann ich hier bereits einiges vorweisen und habe auch gute Kritiken für meine Arbeit bekommen. Baden-Württemberg hat den größten Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Da liegt es auf der Hand, das Thema als Schwerpunkt zu setzen. Alles drei sind übrigens Themen, bei denen die Menschen Mängel direkt spüren. Und eine wehrhafte Demokratie ist so etwas wie das Dach über all dem, denn ohne Demokratie ist all das nichts.
Das Wahlprogramm wollen Sie über den Sommer erarbeiten und im November auf einem Parteitag beschließen. Das Debattencamp war so etwas wie der Auftakt für den Prozess. Anwesend waren nicht nur SPD-Mitglieder, sondern auch eine Schauspielerin, Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Warum diese breite Öffnung?
Es kann der SPD nur helfen, wenn wir die Türen und Fenster ganz weit aufmachen und nicht im eigenen Saft weiter diskutieren. Wenn wir Menschen aus der Kultur, aus der Wirtschaft, gerade auch aus den Gewerkschaften, wenn wir Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit in unsere Debatten holen, werden wir als SPD neue Ideen und frische Impulse bekommen. Das kann uns nur guttun. Bei unserem Debattencamp haben wir deshalb ganz bewusst sehr niederschwellig und partizipativ angesetzt, weil wir auch wollten, dass sich nicht nur Funktionäre anmelden, sondern auch die „einfachen“ Mitglieder.
Hat das funktioniert?
Ja, das Format hat sehr gut funktioniert. Wir haben in großer Runde gearbeitet und diskutiert, unter anderem mit Alexander Schweitzer, dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Wir haben dann aber auch in Workshops gearbeitet und ganz konkret Vorschläge gesammelt, die wir in die klassische Programmarbeit einspeisen werden. Das heißt, die Programmkommission wird die Ideen aus dem Debattencamp mit aufnehmen. Im Entwurf für das Wahlprogramm werden sich dann also auch diese wichtigen neuen Impulse wiederfinden.
Kann dieser offene Prozess auch dazu führen, dass sich die Mitglieder auch stärker mit dem Wahlprogramm identifizieren? Sie sind es ja, die es am Ende auf der Straße am Infostand vertreten müssen.
Definitiv. Ich glaube, je mehr wir Beteiligung ermöglichen, desto höher ist die Identifikation der Mitglieder. Das muss auch nicht immer auf Landesebene passieren. Auch ein Kreisverband oder ein Unterbezirk kann ja zu einem Debattencamp einladen. Dann sind die Fragestellungen sicher noch etwas spezifischer und die Lösungsvorschläge genauer. Wir sollten wieder eine stärkere Debattenkultur in unsere Partei hineinbekommen. Das tut uns erstmal selbst gut und trainiert uns, auf Argumente zu reagieren. Es hilft uns aber auch, neue Antworten auf Herausforderungen zu entwickeln.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.