Ye-One Rhie: Mit Ulla Schmidts Hilfe im Bundestag
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Ohne Ulla Schmidt wäre Ye-One Rhie nicht im Bundestag, vermutlich nicht einmal in Deutschland. Die Eltern der neuen Aachener SPD-Abgeordneten kamen zum Studium nach Deutschland. 1987 kommt sie in der Karlsstadt zur Welt. „Ich bin Öcherin“ – plattdeutsch für Aachenerin – sagt Rhie in einem Vorstellungsvideo zur Bundestagswahl. Trotzdem droht der Familie einige Jahre später die Abschiebung. „Als ich elf war, hat uns die Bundesregierung geschrieben, dass der Zweck des Aufenthaltes ausgelaufen sei und wir das Land verlassen sollen. Wir haben uns ziemlich gewehrt, Unterschriften gesammelt, Briefe geschrieben, unter anderem auch an Ulla. Ab dem Punkt hat sie unseren Weg ganz intensiv begleitet und uns super unterstützt.“
Zittern bis Freitag nach der Wahl
Mit Erfolg! Familie Rhie darf in Deutschland bleiben. „Das scheint sich bei uns in der Fraktion durchzuziehen. Es war bei Adis und Matthias Miersch auch so“, sagt die Aachenerin mit Verweis auf die besondere Geschichte, die die beiden niedersächsischen SPD-Abgeordneten Adis Ahmetovic und Matthias Miersch verbindet. Auch bei Rhies Weg in die SPD spielt Ulla Schmidt erneut eine entscheidende Rolle. 2005 vermittelt die damalige Gesundheitsministerin ihr den Kontakt zum Aachener Juso-Vorsitzenden. Noch heute stehen die beiden Sozialdemokratinnen in engem Kontakt: „Ich bin Ulla unheimlich dankbar, weil ich weiß, dass ich sie jederzeit anrufen kann. Ich könnte mir keine bessere Ratgeberin wünschen.“
Nun ist Rhie ihre Nachfolgerin im Bundestag. „Als die Abschiebung drohte, wäre das letzte, was ich gedacht hätte, dass ich mal Bundestagsabgeordnete werde und auch noch Ulla Schmidt nachfolge“, sagt sie. Um ihren Einzug ins Parlament muss sie mit Platz 30 auf der Landesliste der SPD in Nordrhein-Westfalen auch einige Tage nach der Bundestagswahl noch zittern. Der Wahlkreis München-West/Mitte wird neu ausgezählt. Doch es bleibt beim knappen Ergebnis vom Wahlabend: CSU-Mann Stephan Pilsinger liegt mit 137 Stimmen vorn. Davon profitieren 15 weitere Abgeordnete durch Ausgleichsmandate, unter anderem Rhie. „Unabhängig davon, dass ich in diesem Fall profitiert habe, brauchen wir dringend eine Wahlrechtsreform. Das kann man eigentlich niemandem erklären“, sagt sie.
Umzug in der Sitzungswoche
Als die Entscheidung zu ihren Gunsten fällt, hat sie schon einige aufregende Tage in der Hauptstadt hinter sich. „Es war absolutes Chaos. Ich habe aus Aberglauben am Sonntag nicht gepackt. Das hat sich dann gerächt“, sagt Rhie. Morgens um halb acht ruft ihre neue Bundestagskollegin Sanae Abdi aus Köln an. Sie haben es beide geschafft und verabreden sich zur gemeinsamen Fahrt. Um elf Uhr startet der Zug Richtung Berlin. Mit ihnen kommen mehr als 100 neue SPD-Abgeordnete an. In den Tagen nach der Wahl herrscht großes Gewusel in den Gängen des Bundestages. Viele junge Leute mit Rucksäcken, die versuchen, die richtigen Räumlichkeiten zu finden. „Wir waren absolut kopflos und hatten keine Ahnung, was passiert“, sagt Rhie schmunzelnd, wenn sie auf diese Woche zurückblickt.
Nach der turbulenten Woche steht bei ihr auch der Entschluss, gemeinsam mit Lena Werner und Brian Nickholz eine Abgeordneten-WG zu gründen. „Ich bin überhaupt keine WG-Person und habe noch nie in einer WG gewohnt, aber je mehr Zeit ich am Anfang in Berlin verbracht habe, desto eher dachte ich, dass eine WG ganz hilfreich sein könnte“, sagt Rhie. Die drei finden eine passende Wohnung im Stadtteil Moabit und versuchen, den Einzug samt Einkauf in einem schwedischen Möbelhaus innerhalb einer Sitzungswoche zu wuppen. „Es war absolutes Chaos, aber jetzt bin ich mir sicher, dass es mit uns dreien klappen wird“, sagt die Aachenerin. In der kommenden Woche, wenn sie Olaf Scholz zum Bundeskanzler wählen, wollen sie alle drei zum ersten Mal in der Wohnung übernachten.
Präferenz Verkehr oder Wissenschaft
Dann startet für die neue Abgeordnete auch die inhaltliche Arbeit, am liebsten im Verkehrs- oder Wissenschaftsausschuss. Rhie freut sich darauf. Zugleich sagt sie: „Ich bin ganz froh, dass wir in den letzten Wochen eine gewisse Schonfrist hatten, weil wir ein bisschen Zeit hatten, uns nicht mehr zu verlaufen, eine Wohnung zu suchen, die Büros zu besetzen und uns einzurichten. Jetzt merke ich für mich, es könnte auch mal losgehen. Deswegen freue ich mich total auf die Ausschusszuteilung. Im Januar ist die Schonfrist sicher für alle vorbei.“
Zwischendurch war schon einmal Zeit für ein Treffen mit der koreanischen Botschafterin, mit der sie bereits während des Wahlkampfes im Austausch stand. Was ihre koreanischen Wurzeln betrifft, ist Rhie etwas zwiegespalten: „Ich war mir sehr lange sehr sicher, dass ich sehr deutsch bin, aber als der koreanische Pass durchgeschnitten wurde, war es schon ein seltsames Gefühl. Ich mag Korea unheimlich gern, habe auch noch unheimlich viel Familie dort, aber bekomme dort jedes Mal auch einen Kulturschock.“
Aachen könnte auch Bad Aachen heißen
In ihrer Heimatstadt ist das anders. Dort hat sie auch im Juli während der Flutkatastrophe mitangepackt. „Ich bin nicht die sportlichste Person, aber ich bin trotzdem mal hin, um zu schauen, was ich tun kann“, sagt sie. Aachen liegt ihr am Herzen. Schon in der Grundschule habe sie gelernt, dass die Stadt der Mittelpunkt Europas sei. „Es ist in dir drin, dass du stolz auf diese Stadt ist“, sagt Rhie und nennt wie zum Beweis die Anekdote, dass Aachen aufgrund seiner Heilquellen auch ein Bad im Namen tragen könnte: „Wir haben darauf verzichtet, weil wir ganz vorne im Alphabet stehen wollen.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo