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Neustart in rechter Hochburg: SPD-Politikerin kämpft um ihren Landkreis

Calw im Nordschwarzwald gilt als politisches Niemandsland für die SPD. Seit fast 15 Jahren sitzt kein Parteimitglied aus der Region mehr im Landtag, und die AfD bekommt inzwischen fast doppelt so viele Stimmen. Daniela Steinrode will das ändern.

von Lea Hensen · 11. Juni 2025
Daniela Steinrode steht an der Nagold.

Daniela Steinrode kandidiert für die SPD im Wahlkreis Calw.

Daniela Steinrode trägt gern knallige Farben. Auf einem Foto sieht man sie in einem pinken Blazer, auf einem anderen in einem orangenen Kleid. An diesem Nachmittag, beim Interview mit dem „vorwärts“ auf der Außenterrasse eines Cafés in Berlin-Mitte, trägt die 49-Jährige ein rotes Jackett. Ein starker Wind fegt zwischen die Stühle und Tisch, doch Steinrode lässt sich davon nicht beirren. Behutsam streicht sie sich die langen Haare zurück, richtet sich auf, lächelt geduldig. „Ich habe diese Entscheidung sehr ausgewogen und nach reiflicher Überlegung gefällt“, sagt sie.

2008 ist sie in die SPD eingetreten, seit 2019 ist sie Co-Kreisvorsitzende ihrer Partei im Landkreis Calw. 2024 schaffte sie den Einzug in den Gemeinderat von Nagold. Eigentlich ist die 49-jährige Lehrerin für Englisch und Biologie an einem Gymnasium in Nagold, doch diesen Beruf müsste sie einschränken, sollte ihr gelingen, was sie sich vorgenommen hat. Am 8. März 2026 wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt, und Steinrode tritt als Erstkandidatin an.

„Weißer Fleck“ in politischer Landschaft

Die Frau im roten Blazer hat eine Mission: Sie will ihre Region wieder sichtbar machen, ihr wieder Farbe verleihen. Denn der Landkreis ist in Stuttgart so etwas wie ein „weißer Fleck“. Schon seit fast 15 Jahren ist kein SPD-Mitglied aus der Region mehr im Landesparlament vertreten. Es gibt niemanden, die oder der sich sozialdemokratisch um die Belange der mehr als 160.000 Kreisbewohner*innen kümmert. „Unser Kreis bekommt im Landtag zu wenig Gehör“, sagt Steinrode. „Dabei legen die Werte, die die SPD vertritt, den Grund für unser Zusammenleben. Ohne Solidarität und Zusammenhalt funktioniert diese Gesellschaft nicht.“ Sie will, dass diese Werte in ihren Wahlkreis zurückkommen – und zwar nicht aus Parteipolitik, sondern aus ernsthafter Sorge.

Wie in vielen Regionen Deutschlands hat auch in manchen Teilen Nagolds mehr als jede oder jeder Dritte die AfD gewählt. Auf den ganzen Landkreis gerechnet, bekam die AfD bei der letzten Landtagswahl 2021 fast doppelt so viele Stimmen wie die SPD. „Das macht mir Angst, es ist der Grund, warum ich kandidiere. Die Menschen im Land sind mir zu wertvoll, um sie der AfD zu überlassen“, sagt Steinrode.

Wahlkampf in CDU-Domäne

Doch zur Wahrheit gehört wohl auch, dass ihre Chancen auf ein Direktmandat nicht besonders gut stehen. Die SPD hat in der Region schon länger keine gute Zeit. Seit 1949 hat die CDU den Wahlkreis fest in den Händen. Bei der Landtagswahl 2016 fiel die SPD erstmals auf den vierten Platz zurück – hinter Grünen und AfD. Fünf Jahre später erhielt der SPD-Kandidat keine acht Prozent mehr. Und bei der Bundestagswahl im Februar bekam SPD-Chefin Saskia Esken nur knapp 13 Prozent, zog aber, wie bereits seit 2013, über die Landesliste in den Bundestag. 

Doch Steinrode gibt nicht auf. 2016 war es ihr eigener Ehemann, der für die SPD kandidierte. „Ich weiß schon, wie viel Arbeit so ein Wahlkampf ist, wie viel Zeit und Energie da rein gehen“, erinnert sie sich. Dass ihr Mann damals den Einzug ins Parlament verpasste, hat die 49-Jährige dazu motiviert, die Stellschrauben im Wahlkampf etwas anders zu drehen.  

Daniela
Steinrode

„Die Menschen im Land sind mir zu wertvoll, um sie der AfD zu überlassen.“

Gelernt hat sie aus den vergangenen Kommunalwahlen. Aus dem Stand holte sie im Juni 2024 mehr als 21 Prozent der Stimmen. „Das hat mich echt überrascht, ich hatte gar nicht damit gerechnet, überhaupt gewählt zu werden“, sagt sie heute. „Aber das hat mir gezeigt, dass die Menschen doch noch ansprechbar sind. Und wie viel man mit persönlichen Begegnungen erreichen kann.“ Rausgehen, das Gespräch suchen – bevor es andere tun, das ist ihre Strategie. 

Aus ihren Gesprächen mit Menschen, die der AfD zugeneigt sind, berichtet sie von einer sich wiederholenden Erfahrung: Der Frust der Menschen sei groß, doch konkrete Forderungen fehlen. Etwa beim Thema Abschiebungen. Wenn sie erkläre, dass Fachkräfte in der Pflege fehlen, wenn man alle Menschen mit Migrationshintergrund abschiebt, dann würden viele Gesprächspartner*innen das sofort einsehen. „Manchmal liegen die Antworten auf der Hand – aber der Dialog fehlt“, sagt Steinrode. „Das treibt mich um.“ 

Sorge vor Schere zwischen Stadt und Land

Aber warum wählen so viele Menschen in der Region rechtsaußen? „Die Schere zwischen ländlichem Raum und Stadt in Baden-Württemberg geht immer weiter auseinander“, sagt sie. Hinter den Ballungsräumen von Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe falle der ländliche Raum zurück. Viele Menschen in der Region seien frustriert, weil der Alltag nicht funktioniere. „Am Ende hängt alles zusammen: Wenn Bahn und Bus nicht kommen, die Kita schließen muss, weil Betreuungspersonen fehlen, die Frauen dann die Care-Arbeit übernehmen und es in den Unternehmen an Fachkräften fehlt, verlieren die Menschen das Vertrauen in die Politik.“

Wichtiges Beispiel: die medizinische Versorgung. Wie vielerorts leide auch Calw unter Fachärzt*innenmangel. Aus ihrem Bekanntenkreis habe sie von Wartezeiten von bis zu elf Monaten gehört, erzählt Steinrode. Und nun sollen auch noch drei Notfallpraxen schließen. Damit sind Praxen gemeint, an die sich Patient*innen am Wochenende und außerhalb der Sprechzeiten wenden, wenn sie medizinischen Rat brauchen – in Zukunft müssten sie sich dann in die Notaufnahme begeben. „Viele Menschen müssen dann lange Strecken auf sich nehmen, ohne Auto ist das fast unmöglich“, sagt Steinrode. Sie fordert mehr Mitspracherecht von Kommunen und Landkreise bei der Vergabe der Arztsitze. Kommunen sollten auch selbst Ärzt*innen anstellen können.

Frauenanteil durch neues Wahlrecht erhöhen

Die SPD-Politikern will nicht nur die Wähler*innen der AfD zurückgewinnen, sie will im Landtag etwas ganz Konkretes ändern. Die Wahl fällt mit dem 8. März 2026 auf den Weltfrauentag, für Steinrode hat das eine symbolische Bedeutung. Über viele Jahre hatte der Landtag in Stuttgart deutschlandweit die wenigsten Frauen, mittlerweile liegt der Frauenanteil mit fast 32 Prozent im unteren Mittel. In der SPD-Fraktion sieht das allerdings anders aus: Unter den 19 Abgeordneten sind aktuell nur vier weiblich. 

Steinrode ist im Wahlkreis parteiübergreifend die einzige Frau, die als Direktkandidatin antritt. Sie hofft, dass sich mit dem neuen Wahlrecht der Frauenanteil in Parlament und Fraktion erhöht. Dazu beitragen könnte das neue Wahlrecht. Erstmals haben die Wähler*innen in Baden-Württemberg 2026 analog zur Bundestagswahl zwei Stimmen: Mit der ersten wählen sie eine oder einen Direktkandidat*in, mit der zweiten eine Liste. Früher hatten sie dagegen nur eine Stimme, mit der sie eine Person wählten, die von ihrer Partei in dem Wahlkreis aufgestellt worden war. Und das waren wohl meistens Männer.

Insofern ist auch die SPD aufgerufen, eine Landesliste zu erstellen, über die es möglichst viele Frauen ins Landesparlament schaffen. Daniela Steinrode hofft auf einen guten Platz auf dieser List. Er wäre für sie eine zweite Chance, ihre Ziele zu verwirklichen, sollte es mit dem Direktmandat nicht klappen.

Autor*in
Lea Hensen
Lea Hensen

ist Redakteurin des „vorwärts“.

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