Transformation in Brandenburg: Wie Frauen den Wandel gestalten
Nach der Wiedervereinigung erlebte die Lausitz einen Strukturbruch. Mit dem Kohleausstieg stehen in der Region erneut weitreichende Veränderungen an. Wie sie vor Ort gemeistert werden und warum Frauen dabei eine wichtige Rolle spielen, erlebte nun die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, hautnah.
Kai Doering | vorwärts
Den Wandel gestalten: Katja Mast (M.) und Sonja Eichwede am Bildungs- und Innovationscampus Handwerk der Handwerkskammer Potsdam
Wenn Gesine Grande über die Lausitz spricht, kommt sie schnell ins Schwärmen. „Diese Dynamik ist bundesweit einmalig“, sagt Grande zum Beispiel. Oder: „Ich will ja nicht vom Wunder von Cottbus sprechen, aber…“ Grandes Superlative haben durchaus Gründe. Die Gegend um Cottbus steckt mitten in einer tiefgreifenden Veränderung. Spätestens 2038 soll hier die letzte Braunkohle gefördert werden. Die Weichen, für das, was danach kommt, werden schon jetzt eifrig gestellt. Und Gesine Grande ist mittendrin.
Die erste klimaneutrale Region Europas
Seit 2020 ist die 60-Jährige Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). Sie ist damit die einzige Chefin einer deutschen Hochschule, die in der DDR geboren wurde. 1964 kam sie in Leipzig zur Welt. „Wir haben die zentrale Verantwortung bekommen für das Gelingen der Transformation“, sagt Grande über ihre Hochschule. Rund 6.800 junge Menschen studieren hier an der zweitgrößten Universität Brandenburgs Fächer wie Elektrotechnik, Biotechnologie oder Maschinenbau. Knapp die Hälfte der Studierenden kommt aus dem Ausland.
Und damit nicht genug: Nebenan soll in den kommenden zehn Jahren der „Lausitz Science Park“ entstehen. Auf 420 Hektar Fläche werden sich Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer Institut und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik ansiedeln. 10.000 neue Arbeitsplätze sollen so entstehen. Zudem hat sich die Lausitz gerade aufgemacht, das erste „Net Zero Valley“ in der Europäischen Union zu werden. Wenn es der Region gelingt, klimaneutral zu werden, winken im Gegenzug Lockerungen der EU beim Planungsrecht sowie eine Unterstützung bei der Fachkräfteanwerbung.
Mast: „Die Transformation muss gestaltet werden.“
Erst vor wenigen Tagen war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu Besuch. Nun schwärmt Gesine Grande Katja Mast von den Möglichkeiten in der Lausitz vor. Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion hat einen Tross Journalist*innen aus Berlin im Schlepptau. Eineinhalb Tage fährt sie durch die Lausitz, um sich die Transformation vor Ort anzusehen. Los ging es am Bildungs- und Innovationscampus Handwerk in Groß Kreutz nahe Potsdam, wo jährlich 8.000 Handwerker*innen aus- und weitergebildet werden. Nun sitzt Mast in der vierten Etage der BTU neben Gesine Grande.
„Die Transformation geschieht nicht einfach, sondern muss gestaltet werden“, zeigt sich die SPD-Politikerin überzeugt. Und: Die Transformation muss geschehen, damit die Menschen eine gute Zukunft haben. „Es gibt Parteien, die behaupten, es brauche keinen Wandel. Das ist aber nicht die Linie der SPD“, sagt Katja Mast.
Aus der Lausitz soll die „Wowsitz“ werden
Ein Begriff, der der SPD-Abgeordneten auf ihrer Reise immer wieder begegnet, ist der des Strukturbruchs. Er beschreibt die Zeit nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren. Zu DDR-Zeiten bot der Kohleabbau 80.000 Menschen einen Arbeitsplatz, kurz nach der Vereinigung waren es noch 8.000. Spätestens 2038 wird es kein einziger mehr sein. Bis dahin soll der Kohleausstieg in Deutschland vollzogen sein. „Nach der Wende haben wir einen Strukturbruch erlebt, jetzt ist es ein politisch gesteuerter Strukturwandel“, sagt Maja Wallstein. Sie ist die SPD-Bundestagsabgeordnete für Cottbus und den Landkreis Spree-Neiße. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde sie direkt gewählt. Wallstein sieht das als eine Verpflichtung.
„Es reicht nicht, nur gute Politik zu machen. Wir müssen auch Beziehungen zu den Menschen aufbauen“, sagt sie. Bereits zum vierten Mal ist die Abgeordnete deshalb in diesem Sommer zu Fuß unterwegs. Mit einem Bollerwagen zieht sie kreuz und quer durch ihren Wahlkreis, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Mehrere hundert Kilometer ist sie dabei unterwegs. Kein Dorf lässt sie aus. In einer Region, bei der der AfD bei der Kommunalwahl Anfang Juni ihr bestes Ergebnis in ganz Brandenburg holte, ist das nicht immer ein Vergnügen. „Aber es ist extrem wichtig“, sagt Wallstein. „Für viele bin ich der einzige Kontakt zu Politik.“ Auch die 38-Jährige setzt große Hoffnungen in die Transformation ihrer Heimat. „In fünf bis zehn Jahren wird das hier eine der spannendsten Regionen sein“, ist sie überzeugt. „Aus der Lausitz wird dann die Wowsitz.“
„Alle sind bereit und wollen.“
Für Linda Rudolph ist sie das schon jetzt. „Ich hatte nie das Bedürfnis, hier wegzugehen“, sagt die 25-Jährige. Während viele ihre Klassenkamerad*innen nach dem Abitur nach Leipzig, Dresden oder Berlin zogen, um dort zu studieren, begann Rudolph eine Ausbildung zur Industriekauffrau beim Energieversorger Vattenfall. Seit dem Verkauf der Lausitzer Braunkohletagebaue und -kraftwerke 2016 arbeitet sie bei der LEAG, der Lausitzer Energie Verwaltungs GmbH. Als Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung ist sie Ansprechpartnerin für rund 350 Auszubildende an drei Standorten. „Wir haben viel mehr Interessenten als Ausbildungsplätze“, erzählt Linda Rudolph. Die Zeit, in der junge Menschen die Lausitz verlassen müssten, weil die Perspektive fehlte, sei vorbei.
„Wir sollten das Thema Transformation noch mehr als Chance nutzen“, findet die 25-Jährige. Das Vertrauen, dass der Strukturwandel gelinge, sei da. „Alles sind bereit und wollen“, ist Linda Rudolph überzeugt. „Hier kann etwas richtig Schönes entstehen.“ Die junge Frau ärgert es deshalb, wenn die Lausitz vor allem auf die guten Wahlergebnisse für die AfD reduziert wird. „Wir erleben es viel zu selten, dass jemand mit uns redet, statt über uns“, sagt Rudolph.
Sicherheit durch Veränderung statt durch Stillstand
Mit den Menschen zu sprechen, ist auch Sonja Eichwede wichtig. Auch die 36-Jährige errang bei der Bundestagswahl 2021 für die SPD ein Direktmandat. Sie vertritt den Wahlkreis Havel-Potsdam-Mittelmark I-Havelland III-Teltow-Fläming I, zu dem neben der brandenburgischen Landeshauptstadt auch die Stadt Werder gehört, die für ihren Obstanbau berühmt ist. „Man merkt die Unsicherheit durch die Krisen der vergangenen Jahre“, sagt Eichwede. Erst Corona, dann der Krieg in der Ukraine – all das habe Spuren hinterlassen.
„Wir müssen den Menschen zeigen, dass es Sicherheit nicht durch Stillstand, sondern durch Veränderung gibt“, ist Eichwede überzeugt. So lasse sich auch dem Populismus der AfD wirksam etwas entgegensetzen. „Die AfD spielt mit den Emotionen der Menschen. Ihre Erzählung können wir deshalb nur emotional durchbrechen und dafür müssen wir vor Ort sein.“ In jeder sitzungsfreien Woche ist Sonja Eichwede deshalb in ihrem Wahlkreis unterwegs, der Fläche nach der fünfgrößte der Republik.
Mit Blick auf die Havel erzählt Sonja Eichwede von einer Veranstaltung mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil ein paar Tage zuvor. „50 Menschen hatten sich angemeldet, gerechnet hatten wir mit 80.“ Schließlich seien 120 gekommen. „Die Menschen wollen reden“, sagt Sonja Eichwede und sieht das auch als ein gutes Zeichen auch für die Landtagswahl im September. In den Umfragen liegt die AfD hier seit Monaten vorn. Die SPD liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU um den zweiten Platz. „Auch bei der Landtagswahl vor fünf Jahren lag die SPD lange nur auf dem dritten Platz“, blickt Sonja Eichwede zurück. Am Ende gewann sie mit 26,2 Prozent und verwies die AfD mit fast drei Prozentpunkten Vorsprung auf den zweiten Platz. „Das können wir auch diesmal schaffen“, ist die Abgeordnete überzeugt. „Aber es wird eine große Kraftanstrengung.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Lausitz
Nun reist die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, durch Brandenburg und wie bekommen eine schöne Geschichte erzählt. Ich gehe davon aus, daß die betroffenen Menschen das nicht so wie geschildert empfinden, denn sonst wären die wahlergebnisse der afd dort nicht so gut.
Irgendwie erinnert mich der Artikel an die Geschichten vom Staatsratsvorsitzenden undundund.... und auch da war schon sichtbar was die Menschen davon halten.
Mehr Ehrlichkeit zur realen Situation ist angezeigt.