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Andrea Henze: Die Aufsteigerin will an die Spitze von Gelsenkirchen

Gelsenkirchen gilt als ärmste Stadt Deutschlands. Doch Andrea Henze findet sie „unfassbar schön“. Deshalb hat sie einen Aufstiegsplan entwickelt, um Gelsenkirchen nach vorne zu bringen und für die SPD Oberbürgermeisterin zu werden.

von Jonas Jordan · 19. August 2025
Andrea Henze

Lebt seit drei Jahren in Gelsenkirchen und will bei der Kommunalwahl im September dort Oberbürgermeisterin werden: Gesundheits- und Sozialdezernentin Andrea Henze 

„Danach gibt’s die Erholung. Jetzt wird gekämpft“, sagt Andrea Henze. 10.000 Schritte sind es derzeit pro Tag für sie, manchmal sogar 17.000. An diesem Tag kommen noch ein paar Höhenmeter dazu. Während des Aufstiegs zur ehemaligen Halde Rheinelbe im Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf erzählt die 49-Jährige von ihrem Aufstiegsplan für die Stadt. Die Sozialdemokratin, die im Wahlkampf auch von den Grünen unterstützt wird, will Oberbürgermeisterin werden und der ärmsten Stadt Deutschlands ein neues Image verpassen. 

„Mama, du kannst das!“

Oben angekommen wünscht ihr ein niederländischer Tourist „good succes“ – viel Erfolg für den Wahlkampf. „Danke! Mein Schwiegersohn ist Niederländer“, sagt Henze. Ihre Tochter hat sie alleine großgezogen, neben dem Beruf ihr Abitur nachgeholt und ein Studium abgeschlossen. Ihre eigene Geschichte passt perfekt zum Aufstiegsversprechen der SPD, findet sie. Und sie kennt sich aus mit Umbrüchen. Sie wuchs in Dessau in Sachsen-Anhalt auf. Als die Mauer fiel, war sie 14. Das Lebensmittelgeschäft ihrer Eltern ging kurz danach pleite. Also musste sie sich alleine durchschlagen, ging für ihre Ausbildung in den Westen nach Ludwigshafen, kam anschließend wieder nach Dessau zurück.

„Mama, du kannst das“, war die erste Reaktion ihrer Tochter, als sie von ihren Plänen erzählte, als Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen zu kandidieren. Einer Stadt, in der sie seit drei Jahren lebt und die sie „unfassbar schön“ findet. Beim 360-Grad-Blick von der Halde wird klar, was sie meint. Gelsenkirchen zählt zu den zehn grünsten Städten Deutschlands. Unweit der Halde wurden im Juli Wettkämpfe der World University Games ausgetragen, quasi die Olympischen Spiele für Studierende. Von der anderen Seite des Plateaus reicht der Blick bis zur Veltins-Arena. Dort traten zuletzt Robbie Williams und Bruce Springsteen auf. Im vergangenen Jahr wurde Gelsenkirchen zu „Swiftkirchen“, als Mega-Star Taylor Swift in die Stadt kam.

Warum Gelsenkirchen eine AfD-Hochburg ist

Doch es gibt auch Schattenseiten. Nicht nur der „Himmel über der Ruhr“ ist – wie einst von Willy Brandt versprochen – inzwischen blau, sondern auch die politische Landkarte. Bei der Bundestagswahl war Gelsenkirchen die einzige Stadt in Nordrhein-Westfalen, in der die AfD stärkste Kraft wurde. Henze sieht Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit als größte Treiber für diese Entwicklung. „Wenn ich mich nicht wohlfühle und keine Perspektiven habe, glaube ich eher Versprechungen, die sich einfach anhören, ohne dass da ein kommunalpolitischer Kontext dahintersteht. Mit meinem Aufstiegsplan verspreche ich etwas, das auch umsetzbar ist“, sagt Henze.

Um für diesen zu werben, will sie tiefer in die Kommunikation mit den Menschen einsteigen, zum Beispiel indem sie persönlich an Haustüren klingelt. „Mein Name ist Andrea Henze und ich kandidiere als Oberbürgermeisterin“, sagt sie, nachdem sie mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Sebastian Watermeier an einer Haustür geklingelt hat. Sie muss laut sprechen, weil im Hintergrund ein Hund bellt. Einige Häuser weiter erkennt die Bewohnerin Henze an der Tür: „Ja, ich habe schon in der Zeitung über sie gelesen.“ Während sie weiter die Straße entlang läuft, verliert ein Mann seinen Beutel und hat Probleme, sich zu bücken. „Ah, soll ich Ihnen helfen?“, fragt Henze und greift zu. Der Mann bedankt sich und fragt nach ihrer Partei: „SPD, meine Partei, seit ich vor 55 Jahren nach Deutschland gekommen bin.“

Armutszuwanderung als größtes Problem

Weniger zugänglich ist eine Frau die Straße runter: „Ich möchte davon nichts wissen. Das ist alles scheiße. Ich wähle niemanden“, sagt sie. Doch Henze gibt nicht auf, fragt nach, redet fast eine Viertelstunde mit ihr, am Ende sagt die Frau: „Sie sind nett.“ Henze lächelt. Vielleicht eine Stimme mehr. Um die kämpft auch der SPD-Stadtratskandidat Uli Jacob. Er spricht Klartext über die Probleme der Stadt, vor allem die Armutszuwanderung aus Südosteuropa bereitet ihm Sorgen. „Wir brauchen dringend Hilfe vom Land und vom Bund. Sonst ist die Stadt in wenigen Jahren verloren“, fordert er.

Am Morgen hat sich Henze daher zu diesem Thema mit der SPD-Vorsitzenden und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas getroffen. Zusammen begutachten sie eine Baustelle. Die Stadt hat dort sogenannte Schrottimmobilien angekauft, um sie abzureißen. Denn in manchen dieser Gebäude wohnen Menschen unter unwürdigen Bedingungen, teilweise ohne Strom und Wasser, in ausbeuterischen Verhältnissen. Durch den systematischen Ankauf und Abriss will die Stadt die Kontrolle zurückgewinnen und zugleich Platz für Neues schaffen.

Henze: „Der Aufstieg ist kein Einzelkampf“

Henze wirbt für diesen Weg am Abend bei einer Veranstaltung im Kinder- und Jugendzentrum Spunk in Ückendorf. Dort präsentiert sie den Bürger*innen des Stadtteils ihren Aufstiegsplan. „Die Basis ist die Verwaltungsmodernisierung. Ich weiß, wie eine Verwaltung funktioniert“, sagt sie und verweist auf 32 Jahre Verwaltungserfahrung als Leiterin des Amtes für Wirtschaftsförderung in Dessau, als Geschäftsführerin des Jobcenters in Hagen, als Leiterin der Sozialämter in Duisburg und Bochum sowie jetzt als Dezernentin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz in Gelsenkirchen.

Dort fühlt sie sich sichtbar wohl. „Wir haben richtig schöne Orte hier und müssen uns zugestehen, stolz zu sein“, sagt Henze und betont: „Der Aufstieg ist kein Einzelkampf. Denn die Stadt gehört mir nicht, selbst wenn ich zur Oberbürgermeisterin gewählt werde. Sie gehört uns allen.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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