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Warum die EU-Mindeststeuer eine Zeitenwende in der globalen Steuerpolitik ist

Mit der Einführung einer Mindeststeuer für multinationale Unternehmen geht die Europäische Union voran. Sie dient der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung, sagt SPD-Politiker Parsa Marvi im Interview. Jetzt müssten die USA nachziehen.

von Vera Rosigkeit · 13. Februar 2024
Mindeststeuer

Die Einigung zur Mindestbesteuerung in der EU ist ein Riesenschritt für die globale Steuergerechtigkeit, sagt Parsa Marvi.

Seit dem 1. Januar ist die globale Mindestbesteuerung in Deutschland in Kraft. Gilt sie für alle Länder in der Europäischen Union?
Nach einer langen Blockade von Polen und Ungarn wurde die Mindeststeuer von 15 Prozent Ende 2022 in Brüssel verabschiedet. Die EU-Mitgliedsstaaten haben daraufhin jeweils nationale Gesetze zur Einführung beschlossen, Deutschland im vergangenen Herbst. Die Regelung greift ab Januar und gilt in der EU.

Vorausgegangen war eine Initiative der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für eine internationale Besteuerung von Unternehmensgewinnen. Was ist daraus geworden?
Es gibt eine historische Einigung von fast 140 Staaten auch außerhalb von Europa, die sich auf ein gemeinsames Regelwerk für die globale Mindeststeuer geeinigt haben. Diese Verständigung auf eine Mindeststeuer ist die Vision. Aber sie wird erst real, wenn die Staaten der OECD dies auch in Form eines Gesetzes einführen und umsetzen. Das ist bislang noch nicht geschehen. Die Europäische Union geht mit der Einführung der Mindeststeuer voran. Andere Regionen müssen nachziehen. Wichtig wären vor allem die Vereinigten Staaten wegen ihres großen Wirtschaftsraums. Wir sind guter Dinge, dass dies geschehen wird.

Worum geht es konkret bei dieser für die EU nun gültigen Mindeststeuer?
Die Mindeststeuer gilt für international agierende Unternehmensgruppen mit einem Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro. Sie müssen künftig 15 Prozent Steuern auf ihre Gewinne zahlen, unabhängig davon, wo diese Gewinne erwirtschaftet werden. Das ist die Grundidee.

Wie sieht das in einem Beispiel aus?
Ein Beispiel wäre ein Unternehmen mit Sitz in der Schwäbischen Alb, das möglicherweise Tochtergesellschaften in Indonesien oder einem Land hat, in dem geringere Steuern berechnet werden. Dieses Unternehmen wird künftig die Differenz zwischen den nicht gezahlten Steuern und den 15 Prozent Mindeststeuern beim deutschen Finanzamt in der Schwäbischen Alb nachversteuern müssen. 

Es gibt auch andere Modelle, die bislang zu diesem Effekt der Gewinnverlagerung in Niedrigsteuerländer geführt haben. Ein Beispiel: Ein Unternehmen verkauft Marken- oder Patentrechte und Lizenzen an ein Tochterunternehmen im Ausland und diese Tochter vermietet sie an den Mutterkonzern zurück. Der Mutterkonzern konnte dann bisher diese Mietkosten in Deutschland als Betriebsausgaben geltend machen und so Steuern mindern. Das Unternehmen konnte gleichzeitig Steuern sparen, im dem es in einem Land Gewinne machte, in dem kaum Steuern anfielen. Die Mindeststeuer dient nun als Hebel, um solche Modelle einzudämmen.

Parsa   Marvi:

„Die Europäische Union geht mit der Einführung der Mindeststeuer voran“

Was ist mit Digital-Giganten wie Amazon und Google?
Mit der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung in Höhe von 15 Prozent haben wir zunächst die zweite Säule der Steuerreform umgesetzt. Konzerne wie Amazon und Google werden von der ersten Säule betroffen sein, denn danach müssen Unternehmen ihre Umsätze unabhängig vom Standort des Mutterkonzerns versteuern. Es gelten dann sogenannte Marktbesteuerungsrechte. Damit können auch Steuern erhoben werden in den Ländern, in denen der Umsatz erwirtschaftet wird. Die Verhandlungen zu Säule eins laufen, dazu brauchen wir aber vor allem die USA.

Sind wir insgesamt auf einem guten Weg zu mehr Steuergerechtigkeit?
Die Einigung zur Mindestbesteuerung in der EU ist ein Riesenschritt für die globale Steuergerechtigkeit. Schon seit einigen Jahren haben wir mit dem Country-by-Country-Reporting eine Verständigung auf internationaler Ebene über einen automatisierten Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden über Ländergrenzen hinweg. Zudem ist öffentlich einsehbar, in welchen Ländern EU-Unternehmen ihre Gewinne machen. Auch haben wir die Schwarze Liste der nicht kooperativen Steuergebiete in der EU. Auch sie dient der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung. Nun gibt es zusätzlich die internationale Zusammenarbeit bei der Steuerharmonisierung mit der globalen Mindeststeuer. Für mich ist das eine Zeitenwende in der globalen Steuerpolitik.

Im Wahlprogramm für die Europawahl fordert die SPD eine einheitliche Körperschaftssteuer von 15 Prozent. Wo liegt der Unterschied?
Hinter dieser einheitlichen Basis-Körperschaftssteuer steckt die Idee, den Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu harmonisieren. Der Steuerwettlauf nach unten soll beendet werden. Vor 30 Jahren hatten wir noch einen durchschnittlichen Steuersatz von rund 35 Prozent in der EU, jetzt liegt er bei 22 Prozent. 

Die einheitliche Basis-Körperschaftssteuer Mindeststeuer soll eine untere Grenze sein. So können auch die öffentlichen Haushalte unterstützt werden, damit sie ausreichend Investitionen tätigen können.
Es gelten unterschiedliche Steuersätze in Europa. In Deutschland und Österreich liegen sie weit über denen in Ungarn, was Wertschöpfung anlockt, zum Beispiel im Automobilbereich. Hier einen Riegel vorzuschieben ist der Grundgedanke dahinter. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland seine durchschnittlich 23 Prozent Körperschaftssteuer auf 15 senken soll. Die 15 Prozent sind lediglich eine Mindeststeuer, also die untere Grenze.

Für Europa fordert die SPD zusätzlich eine Finanztransaktionssteuer. Wie realistisch ist das?
Als Bundesfinanzminister hatte Olaf Scholz bereits versucht, einen Vorschlag über die Besteuerung von Aktien und Wertpapierhandel mehrheitsfähig zu machen. Bislang ist das auf EU-Ebene noch nicht gelungen. Aber es gibt bereits Staaten, die eine Art Verbrauchssteuer auf Aktiengeschäfte erheben, zum Beispiel Belgien, Finnland, Irland, Italien und auch Frankreich. Auch Großbritannien erhebt mit der Stamp Duty Steuern auf den Kauf von Aktien und Wertpapieren. Es wäre jetzt klug, eine europaweite Regelung einführen, gerade weil es einige Länder schon tun. Das bringt bislang keine negativen Effekte wie einen Rückgang von Aktienquoten oder Anlagen mit sich. Ein Grund mehr, einen neuen Anlauf zu nehmen.

Parsa   Marvi:

„Die 15 Prozent sind lediglich eine Mindeststeuer, also die untere Grenze“

Im Wahlprogramm für die Europawahl fordert die SPD eine einheitliche Körperschaftssteuer von 15 Prozent. Wo liegt der Unterschied?
Hinter dieser einheitlichen Basis-Körperschaftssteuer steckt die Idee, den Steuerwettbewerb innerhalb der EU zu harmonisieren. Der Steuerwettlauf nach unten soll beendet werden. Vor 30 Jahren hatten wir noch einen durchschnittlichen Steuersatz von rund 35 Prozent in der EU, jetzt liegt er bei 22 Prozent. 

Die einheitliche Basis-Körperschaftssteuer Mindeststeuer soll eine untere Grenze sein. So können auch die öffentlichen Haushalte unterstützt werden, damit sie ausreichend Investitionen tätigen können.
Es gelten unterschiedliche Steuersätze in Europa. In Deutschland und Österreich liegen sie weit über denen in Ungarn, was Wertschöpfung anlockt, zum Beispiel im Automobilbereich. Hier einen Riegel vorzuschieben ist der Grundgedanke dahinter. Das bedeutet aber nicht, dass Deutschland seine durchschnittlich 23 Prozent Körperschaftssteuer auf 15 senken soll. Die 15 Prozent sind lediglich eine Mindeststeuer, also die untere Grenze.

Für Europa fordert die SPD zusätzlich eine Finanztransaktionssteuer. Wie realistisch ist das?
Als Bundesfinanzminister hatte Olaf Scholz bereits versucht, einen Vorschlag über die Besteuerung von Aktien und Wertpapierhandel mehrheitsfähig zu machen. Bislang ist das auf EU-Ebene noch nicht gelungen. Aber es gibt bereits Staaten, die eine Art Verbrauchssteuer auf Aktiengeschäfte erheben, zum Beispiel Belgien, Finnland, Irland, Italien und auch Frankreich. Auch Großbritannien erhebt mit der Stamp Duty Steuern auf den Kauf von Aktien und Wertpapieren. Es wäre jetzt klug, eine europaweite Regelung einführen, gerade weil es einige Länder schon tun. Das bringt bislang keine negativen Effekten wie einen Rückgang von Aktienquoten oder Anlagen mit sich. Ein Grund mehr, einen neuen Anlauf zu nehmen.

Parsa Marvi

ist Berichterstatter und Mitglied im Finanzausschuss der SPD-Bundestagsfraktion.

Parsa Marvi
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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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3 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 14.02.2024 - 15:08

Permalink

Natürlich ist es ein überfälliger Fortschritt. Nun geht es aber auch darum, dass Hintertüren, die einige wieder ausnutzen, um sich der Steuerpflicht zu entziehen, wirksam geschlossen und dass bei Zuwiderhandlungen deftige Sanktionen verhängt werden.

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Do., 15.02.2024 - 12:25

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Im Vergleich zu NICHTS ist sehr, sehr WENIG ein Fortschritt. An der Gesamtentwicklung und der Substanz der globalen neoliberalen Konterrevolution seit dem 11.09.1973 (Putsch in Chile) bis heute ändert das sehr, sehr wenig - viel zu wenig. Eine angemessene, gerechte globale Besteuerung der Konzerne/Großkonzerne würde den aller größten Teil des sozialen Elends in der Welt beseitigen - jedenfalls sehr, sehr stark reduzieren. Diejenigen Regierungen in der Welt, die sich dem Neoliberalismus bewusst mit Haut und Haaren verschrieben haben, haben daran aber kein Interesse. Ihr Interesse ist die ungestörte Profitmaximierung und Kapitalakkumulation zugunsten der sie tragenden Finanzeliten.

Das deutsche 'Netzwerk Steuer-Gerechtigkeit' fordert einen effektiven Mindeststeuersatz von 25 Prozent auf globaler Ebene und eine faire Verteilung von Besteuerungsrechten.
Siehe dazu:
https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/unternehmenssteuern/