Meinung

Warum der Verzicht auf EU-weites Sexualstrafrecht nicht frauenfeindlich ist

Es ist kein Skandal, dass die EU die Strafbarkeit der Vergewaltigung nicht einheitlich regelt, denn dazu hat sie schlicht keine Kompetenz.

von Christian Rath · 7. Februar 2024
Nein heißt Nein

Die EU ist historisch vor allem als Binnenmarkt entstanden. Sie ist kein Staat. Darauf pocht vor allem das deutsche Bundesverfassungsgericht. Die EU hat daher nur dort Kompetenzen, wo ihr die Mitgliedsstaaten diese in den EU-Verträgen ausdrücklich eingeräumt haben. 

EU ohne Kompetenz

Für das Strafrecht ist die EU grundsätzlich nicht zuständig, da es als besonders sensible Materie gilt, die dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten bleiben soll. Eine Ausnahme gilt nur für wenige Deliktfelder mit „grenzüberschreitender Dimension“. Genannt werden hier unter anderem Terrorismus, Waffenhandel sowie „Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung“. Es liegt auf der Hand, dass hier eher die Ausbeutung von Prostituierten durch Zuhälter gemeint ist als die Vergewaltigung einer Ehefrau, Bekannten oder Passantin. Wer auf diese Zuständigkeitsgrenze hinweist, wie Justizminister Marco Buschmann, ist deshalb kein Frauenfeind.

Doch selbst wenn die EU ihre Kompetenzgrenzen ignorieren würde, wäre die vorgeschlagene EU-weite Definition der Vergewaltigung jedenfalls für Deutschland kein großer Fortschritt. Bei uns gilt bereits seit 2016 das Prinzip „Nein heißt Nein“. Wenn eine Person offensichtlich keinen Sex möchte, darf sich niemand darüber hinwegsetzen. Ein Kopfschütteln genügt. 

„Nein heißt Nein“

Es spricht zwar wenig dagegen, stattdessen eine offensichtliche Zustimmung zu verlangen („nur Ja heißt Ja“), dann würde auch ein Nicken oder ein Lächeln als Einverständnis gewertet. Es bliebe aber beim Problem der Beweisbarkeit, wenn Aussage gegen Aussage steht. Das Fehlen eines Nickens ist genauso schwer zu beweisen wie ein Kopfschütteln. Letztlich kommt es in streitigen Fällen vor Gericht immer auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen an. 

Wer aber davon überzeugt ist, dass „nur Ja heißt Ja“ ein großer Fortschritt wäre, sollte den Bundestag von einer erneuten Reform überzeugen. Die fehlende EU-Vorgabe lässt den nationalen Parlamenten ja gerade die volle gesetzgeberische Freiheit.

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1 Kommentar

Gespeichert von Matias Leão Ra… (nicht überprüft) am Fr., 09.02.2024 - 15:50

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Die EU hat doch grundsätzlich die rechtliche Kompetenz, eine EU-Richtlinie zum Sexualstrafrecht zu erstellen. Wie richtig beschrieben, muss sie dabei achten, dass die Bereiche des besonderen schweren Verbrechens mit grenzüberschreitender Dimension betroffen sind. Sie legt hierbei nur Mindestvorschriften von Straftatbeständen und Sanktionen fest und sie dabei achtet auf die Grundrechte und Grundsätze der EU-Charta [im besten Fall auch die der Istanbuler Frauenrechtskonvention]. Eine solche Richtlinie entspräche dem Subsidiaritätsprinzip, das besagt, dass die EU nur dann handeln darf, wenn die Ziele der vorgeschlagenen Maßnahme nicht ausreichend von den Mitgliedsstaaten erreicht werden können. Rechtlich bezieht sich das insbesondere auf das "JA ist JA"-Prinzip, dass anders als das "Nein ist Nein"-Prinzip statistisch auf einen höhere Strafanzeigenbereitschaft und in der Folge höhere Verurteilung von erwiesenen Sexualstraftaten verweisen kann. Das deutsche Strafrecht hat hier eine Mischsituation, weil es grundsätzlich auf dem "Nein ist Nein"-Prinzip basiert, jedoch bei der Frage von stillschweigendem Einverständnis oder Unverständnis z. B. bei mutwillig herbeigeführten Rauschzuständen jetzt schon auf das "Ja ist JA"-Prinzip abhebt. Die EU hat schon einmal zum Sexualstrafrecht die Richtlinie 2011/93/EU, über die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, erlassen. Die Richtlinie 2022/105/EU zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist nur eine logische Folge. Mutmaßliche Opfer können sich privat gegenüber mutmaßlichen Tätern nur zusätzlich absichern, indem sie zur Beweissicherung sich in den ersten 72 Stunden nach der Tat in die Obhut von entsprechenden medizinischen Zentren oder Netzwerken begeben bzw. auch ihre Aussage notariell beglaubigen lassen. Die journalistischen Schlussfolgerungen sind leider rechtlich falsch und politisch unbedacht. Sich derart eine freidemokratische Blockadehaltung zueigen zu machen, erscheint unsolidarisch.