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Digitale Gewalt an Frauen: Was dagegen getan werden kann

Mehr geschultes Personal mit dem entsprechenden Wissen und der technischen Ausrüstung sei notwendig, um Gewalt gegen Frauen besser bekämpfen zu können, sagt Kerstin Demuth im Interview.
von Vera Rosigkeit · 25. November 2022
Digitale Gewalt gegen Frauen nimmt zu
Digitale Gewalt gegen Frauen nimmt zu

Digitale Gewalt gegen Frauen nimmt zu. Wie sieht sie aus?

Wir unterscheiden zwischen Gewaltformen, die sich entweder auf digitalen Plattformen abspielen und Gewaltformen, die sich technischer Mittel bedienen. Am bekanntesten ist sicherlich Hatespeech, eine Form von Gewalt im digitalen Raum. Die ist gut sichtbar, weil sie eine politische Dimension hat und auf Menschen zielt, die als Journalist*innen, Politiker*innen oder Wissenschaftler*innen tätig sind.

Die Klient*innen unserer Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe erleben häufig Dynamiken von Partnerschaftsgewalt oder sexualisierter Gewalt, in die digitale Komponenten mit einfließen. Nehmen wir als Beispiel einen Partner, der seine Partnerin ständig kontrolliert, indem er wissen will, wo sie sie sich aufhält und dafür auch digitale Mittel nutzt. Er zwingt sie möglicherweise dazu, ihren Chat einsehen zu können oder fordert ihre Pin als Vertrauensbeweis ein. So werden digitale Mittel in bestehende Gewaltdynamiken eingebaut.

Wie groß ist die Gefahr digitaler Gewalt in Partnerschaften?

Je mehr ein Täter von einer Person weiß, desto leichter fällt es ihm, ein Passwort zu einem Account zu knacken. Zum Beispiel wenn man sich ein Passwort ausgesucht hat, das Lieblingskatze Geburtsdatum heißt. Oder er übt Druck aus und presst ihr ein eigentlich sicheres Passwort ab. Der Partner hat hier deutlich mehr Zugriffsmöglichkeiten, kann beispielsweise ein Bild aus dem letzten Urlaub unter dem Namen seiner ehemaligen Partnerin verbreiten und mit dem Fake-Profil Fremde zu Belästigung oder zu sexualisierter Gewalt gegen sie aufrufen. Wir haben es dann mit reichlich vielen Delikten zu tun, wie etwa mit einem gestohlenen Bild, das missbraucht wird und mit einer Person, die die Identität einer anderen Person annimmt, um sie zu verleumden und sie zu beleidigen.

Wie lässt sich eine Straftat durch digitale Gewalt definieren? 

Eine Bedrohung ist eine Bedrohung, unabhängig davon, ob sie jemanden ins Gesicht gesagt wird oder übers Internet zukommt. Leider ist beim Fachpersonal das Verständnis dafür noch nicht so weit verbreitet. Gerade Richter*innen und Polizist*innen zum Beispiel sollten wissen, wie sich Gewaltdynamiken abspielen. Wenn eine Betroffene beispielsweise ihre Probleme schildert, dass jemand sie stalkt und ihre Bilder klaut und der Rat der Polizei lautet, sie soll ihren Instagram-Account löschen, dann reicht das nicht aus. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr, die verkennt, dass es Rechtsnormen gibt, die auch im Internet gelten.

Nehmen diese Formen der Gewalt zu?

Es gibt leider keine systematischen Erhebungen dazu. Abhängig sind die Erhebungen zudem davon, wie sensibilisiert Berater*innen in diesem Bereich schon sind. Digitale Gewalt wird von Betroffenen oft gar nicht als solche identifiziert oder steht nicht im Vordergrund. Eine Statistik wäre aber wichtig. Allerdings haben wir in Deutschland generell wenig Zahlen, was geschlechtsspezifische Gewalt angeht. Es gibt bei diesen Delikten ein sehr großes Dunkelfeld, weil die Betroffenen aus unterschiedlichsten Gründen nicht anzeigen oder die Anzeige erfolglos bleibt. Es ist aber eine Dunkelfeldstudie in Arbeit, in der digitale Gewalt abgefragt wird.

Können Frauen sich selbst schützen?

Dazu muss man zunächst einmal sagen, dass sie sich leider schützen müssen. Wichtig ist, das gesellschaftliche Klima zu beeinflussen, dass aus Jungs und Männern keine Täter werden. Es gibt aber auch Tipps, wie zum Beispiel, die eigenen Geräte und Accounts selbst einzurichten, ob häusliches Wlan oder das neue Smartphone. Das hilft auch Berührungsängste mit Technik, die gerade viele Mädchen und Frauen haben, zu überwinden. Denn leider führt die noch vorhandene Technikscheu zu noch mehr Wissensabstand in der IT, die eine Männerdomäne ist. Eine andere Empfehlung ist, sichere Passwörter und Pins zu verwenden und nicht die biometrischen Merkmale zur Entsperrung zu nutzen, also nicht Fingerabdruck oder Gesicht.

Welche Unterstützung braucht es auf gesellschaftlicher Ebene?

Wir brauchen eine Sensibilisierung für die Gewaltdynamiken und die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die dahinterstehen. Und wir brauchen eine Medien- und IT-Bildung, die gendersensibel ist. Leider sind zudem Unterstützungsangebote für von Gewalt betroffene Frauen chronisch unterfinanziert. Das gleiche gilt für Polizei und Justiz. Da muss es mehr geschultes Personal mit dem entsprechenden Wissen und der technischen Ausrüstung geben. Man muss es so sagen: Im Frauenunterstützungssystem war noch nie zu viel Geld da und die digitale Gewalt kommt noch obendrauf. Die anderen Gewaltformen sind deshalb ja nicht verschwunden. Das verlangt nach mehr Zeit und Ressourcen, was den Stand der Technik angeht und den Stand der Rechtslage, die sich ändert.

Was fordern Sie von der Politik?

Es braucht mehr Geld für Infrastruktur, wie schon eben erwähnt, aber auch für eine zielgerichtete Bildung der Berufsgruppen, die regelmäßig mit den Betroffenen in Kontakt kommen. Das sind neben dem Personal in der Justiz auch Lehrkräfte und Mitarbeiter*innen im Jugendamt. Das reicht von Medien- und IT-Kompetenz für Schüler*innen über freie Angebote für alle Menschen. Es gibt eine wachsende Kluft zwischen denen, die an der Spitze der IT-Kenntnisse sind und denen, die vielleicht noch gar nichts mit Geräten machen, noch nicht mal ein Smartphone haben.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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