Meinung

75 Jahre Grundgesetz: Warum die Schuldenbremse abgeschafft werden muss!

Wie kann das Grundgesetz zeitgemäßer und vor allem generationengerechter werden? Die Schuldengrenze muss weg und die Rente ist Grundgesetz, fordern drei Stipendiat*innen der Friedrich-Ebert-Stiftung in einem Gastbeitrag.

Solidarisch für eine gerechte Gesellschaft: Geht das besser ohne Schuldenbremse?

Solidarisch für eine gerechte Gesellschaft: Geht das besser ohne Schuldenbremse?

75 Jahre Grundgesetz – das lädt zum Rückblick ein. Auf die Höhen und Tiefen, die 
Novellierungen und Diskussionen. Auf Nachkriegsdeutschland, den Parlamentarischen Rat 
und die Wiedervereinigung. Doch während das alles beachtlich ist, ist es ein wenig Schnee 
von gestern. Geschichten aus Zeiten vergangener Generationen. Wie kann das Grundgesetz sicherstellen, dass sich die Generationen der nächsten 75 Jahre und darüber hinaus frei entfalten können? 

Es braucht soziale Nachhaltigkeit!

Für uns steht fest: Eine lebenswerte Zukunft braucht nicht nur eine gesunde Umwelt, sondern auch soziale Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Wohlstand. Für diese dreiteilige Nachhaltigkeit muss das Grundgesetz ein Garant sein. Die jetzigen Generationen haben eine ökologische Verantwortung gegenüber den kommenden – dies ist im Grundgesetz bereits verankert. In Artikel 20a heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung (…).“ 

Das hieraus abgeleitete Umweltstaatsprinzip verpflichtet den Staat dazu, die Umwelt zu 
schützen, nachhaltig zu nutzen, und sie bei staatlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. 
Es wurde 2021 durch ein wegweisendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Die Reichweite der Gesetzesnorm endet dort, wo andere Formen der Nachhaltigkeit beginnen. Um eine freie Entfaltung sicherzustellen, reicht es nicht, nur die Umwelt zu erhalten. Wir müssen auch anerkennen, dass es soziale Nachhaltigkeit braucht. 

Soziale Gerechtigkeit auch für kommende Generationen

Der Sozialstaat muss für mehr als eine Generation konzipiert sein. Die soziale Ordnung hat nur Bestand, wenn soziale Gerechtigkeit generationsübergreifend existiert. Nach dem Sozialstaatsprinzip soll der Gesetzgeber schon heute für einen sozialen Ausgleich zwischen starken und schwachen gesellschaftlichen Gruppen sorgen – er erfüllt diesen Anspruch
ungenügend. Es braucht daher eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips, damit es 
soziale Gerechtigkeit und Sicherheit für künftige Generationen gibt. 

Eine der größten Herausforderungen, vor denen der Sozialstaat in den kommenden Jahren 
steht, ist die Zukunft eines gerechten Rentensystems. Das Rentensystem soll dem sozialen 
Ausgleich zwischen Arm und Reich dienen. Wer sein Leben lang auf Arbeit angewiesen war 
und nicht auf Kapital zurückgreifen kann, soll durch die gesetzliche Rente in Würde altern 
können. Und genau deswegen braucht es eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips. Es 
muss festlegen, dass alle, die arbeiten, auch Teil der Solidargemeinschaft sind. 

Keine Ausnahmen mehr für Beamt*innen!

Ausnahmen für Beamt*innen sind nicht mehr sozialverträglich, die Ungleichheit hoher Pensionen und der Durchschnittsrente hierzulande unterstreichen das. Genauso bei der 
Beitragsbemessungsgrenze. Es muss der Grundsatz gelten: Wer sehr hohe Einkommen hat, 
muss höhere Beiträge leisten; höhere als die Beitragsbemessungsgrenze bisher erlaubt. Im 
Grundgesetz muss festgelegt sein, dass alle einzahlen müssen und die Wohlhabendsten 
stärker zur sozialen Verantwortung gezogen werden. 

Wenn heute schon viele Menschen armutsgefährdet leben und ihre formalen Freiheitsrechte auf Grund von ökonomischen Zwängen nicht ausleben können, dann braucht es die verfassungsrechtliche Weiterentwicklung der marktliberalen Demokratie der Gegenwart zu einer sozialen Demokratie der Zukunft. Konservative und Liberale werden jetzt schimpfen: Es hat doch 75 Jahre gut geklappt, dann klappt es auch die weiteren 75 Jahre. Doch die künftigen Generationen leben mit anderen Herausforderungen und verdienen eine Verfassung, die diese auch wahrnimmt. 

Weg mit der Schuldenbremse!

In der Theorie soll die Schuldenbremse nach Artikel 109 für eine intergenerativ gerechte 
Finanzpolitik sorgen: Sie soll sicherstellen, dass heutige Generationen nicht die Zeche 
prellen und ihre Schulden an künftige Generationen vererben. In der Praxis verhalten sich 
Staatsschulden aber anders als Privatschulden. Sie müssen immer relativ zur Produktion der Volkswirtschaft gesehen werden. Wie tragfähig Schulden sind, hängt maßgeblich von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ab. 

Sparmaßnahmen – wie sie die Schuldenbremse erzwingt – senken das Bruttoinlandsprodukt aber, und verhindern gleichzeitig wichtige Investitionen. Investitionen, die für zukünftige Generationen wesentlich günstiger wären, als heute auf Schulden zu verzichten. Die Schuldenbremse muss daher abgeschafft werden, sodass notwendige Investitionen in die Zukunft möglich sind – wie in die Infrastruktur, die Bildung oder die sozial-ökonomische Transformation. 

Hand in Hand muss dies mit einem neuen Bewusstsein für unser Wirtschaften gehen. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist ein unendliches Wachstum nicht ohne weiteres möglich. Für eine lebenswerte Zukunft muss also nicht nur die Umwelt geschützt, sondern auch die Sozial- und Finanzpolitik reformiert werden. Zukünftige Generationen können hierfür aber nicht selbst einstehen – unsere Verfassung könnte es aber, wenn wir ihr die richtigen Werkzeuge an die Hand geben.

Zur Reihe:

Der Beitrag ist während einer Demokratiewerkstatt der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden. Diese beschäftigte sich anlässlich des 75. Jubiläums mit dem Grundgesetz. Der vorliegende Beitrag wird im Juni außerdem im Sammelband „Verfassung im Fluss – 75 Jahre Grundgesetz“ erscheinen.

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