Kultur

Shoah-Doku „Kreis der Wahrheit“: Ein hybrides Plädoyer gegen das Vergessen

Die Erinnerung an die Schrecken der Nazi-Zeit verblasst. Mit einer ungewöhnlichen Erzählweise holt der Dokumentarfilm „Kreis der Wahrheit“ das Thema jetzt in die Gegenwart. Auch wenn der filmische Ansatz nicht durchgehend überzeugt, ist es der passende Film  zum Jahrestag der Novemberpogrome 1938.

von Nils Michaelis · 8. November 2024
Elisabeth Scheiderbauer Kreis der Wahrheit

Die Zeitzeugin Elisabeth Scheiderbauer überlebte die Hölle von Theresienstadt.

Als Elisabeth Scheiderbauer sechs Jahre alt war, wurde ihr klar, dass es keinen Gott geben kann. Diese Erkenntnis gewann sie, nachdem sie 1943 mit ihrer Mutter und der Schwester Helga nach Theresienstadt deportiert worden war. Für zehntausende Menschen war das ghettoähnliche Konzentrationslager eine Zwischenstation in den Tod. Doch diese drei Mitglieder einer jüdischen Familie aus Wien überlebten. Auch der im Todeslager Auschwitz festgehaltene Vater überstand die Schreckensherrschaft der Nazis und kehrte nach Österreich zurück.

Eine Geschichte voller Leid

Gut 80 Jahre später erzählen die beiden Schwestern die an ein Wunder grenzende Geschichte ihrer Familie vor der Kamera. Sie handelt von unvorstellbarem Leid. Und auch davon, wie es diesen Frauen gelang, sich nach Kriegsende vom Hass auf die Peiniger*innen zu befreien, an das Leben zu glauben und gegen jegliche Form von Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung die Stimme zu erheben. Und das in Österreich, das jahrzehntelang einen Opfermythos pflegte und bis heute heftige Auseinandersetzungen über seine Mitverantwortung für die NS-Mordpolitik erlebt.

Die in Interviewszenen ausgebreiteten Lebenserinnerungen von Elisabeth Scheiderbauer und Helga Feldner-Busztin bilden das Fundament des Dokumentarfilms „Kreis der Wahrheit“, der kurz vor dem Jahrestag der vom NS-Regime organisierten Pogromnacht gegen Menschen jüdischen Glaubens am 9. November 1938 in die Kinos kommt. Der österreichische Filmemacher Robert Hofferer belässt es allerdings nicht beim Blick in die Vergangenheit. Sein Film ist ein Appell an die Menschen von heute, ebenfalls Haltung gegenüber autoritären Strömungen und rechtsextremer Hetze zu zeigen.

Sie tanzte sich traumatische Erfahrungen von der Seele

Anders gesagt: Ihm geht es darum, historische Erfahrungen in die Gegenwart zu holen. Hofferer präsentiert Kunstprojekte, die vom Leben und Überleben der beiden Schwestern erzählen. Wie zum Beispiel das Lied „Elisabeth tanzt“. Die Sängerin Ina Regen präsentiert es vor laufender Kamera. Es handelt davon, wie sich Elisabeth Scheiderbauer im Kindesalter traumatische Erfahrungen von der Seele getanzt hat. Dass sie später Balletttänzerin wurde, spricht für sich.

Zudem lernen wir weitere Künstler*innen kennen, die ebenfalls mit speziell für diesen Film erstellten Werken aus dem Bereich Bildende Kunst, Poesie, Animation, Tanz und Theater eine Brücke von den Erfahrungen der Schwestern unter den Nazis in die heutige Zeit schlagen. 

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Hinzu kommen Sequenzen mit Iris Berben und Konstantin Wecker. Die Schauspielerin und der Musiker engagieren sich seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus. Vor der Kamera beschreiben sie ihren Blick auf besorgniserregende Tendenzen unserer Zeit und rezitieren Textpassagen, die das Thema des Films in einem größeren Zusammenhang betrachten.

Immer wieder stellt Hofferers behutsame Erzählung Bezüge zwischen jener Kunstproduktion und den Lebenserinnerungen der beiden Schwestern her. Damit schließt sich ein „Kreis der Wahrheit über die Shoah“, wie es vom Verleih heißt.

Die Erinnerungsberichte gehen unter die Haut

Was Elisabeth Scheiderbauer und Helga Feldner-Busztin zu berichten haben, geht unter die Haut. Der filmische Ansatz, ihre Erinnerungen mit der Welt der Künste zu verquicken und so eine andere Form von „Wahrheit“ zu erzeugen, überzeugt hingegen nicht an jeder Stelle. Unter anderem auch deswegen, weil die authentischen Berichte der Zeitzeug*innen im Grunde keiner ästhetischen Überhöhung durch nachgeborene Künstler*innen bedürfen.

Grundsätzlich aber ist Robert Hofferers hybrides Konzept, eine Vergegenwärtigung der Vergangenheit mittels zeitgenössischer Kunst zu ermöglichen, begrüßenswert. Es ist zu hoffen, dass dadurch gerade jüngere Generationen für die Geschichte des Nationalsozialismus und die Lehren daraus sensibilisiert werden. Also Menschen, die immer seltener die Gelegenheit haben, sich historisches Wissen über die Begegnung mit Zeitzeug*innen zu erarbeiten. Und die viel zu oft vor allem mit TV-Produktionen zum Thema ohne jeglichen Gegenwartsbezug bedient werden. 

Am 9. November, dem Jahrestag der sogenannten Reichspogromnacht, werden die Kino-Vorführungen von Diskussionsrunden und weiteren besonderen Aktionen begleitet. Weitere Informationen sind hier zu finden:

www.kreis-der-wahrheit.com

„Kreis der Wahrheit“ (Österreich 2023), ein Film von Robert Hofferer, mit Elisabeth Scheiderbauer, Helga Feldner-Busztin, Iris Berben, Konstantin Wecker u.a., 80 Minuten, FSK ab 12 Jahre.

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