Kinodrama „Was von der Liebe bleibt“: Ausgegrenzt über den Tod hinaus
Yasemin und Ilyas sind seit Jahren ein Paar und leben ihren Traum. Als sie brutal ermordet wird, ist das abrupt vorbei. Der Film „Was von der Liebe bleibt“ ist mehr als ein Beziehungsdrama: Er gibt den Opfern rassistischer Gewalt eine Stimme.
Erik Molberg Hansen/Rohfilm Productions/Filmwelt
Ihre tiefe Liebe findet ein jähes Ende: Ilyas (Serkan Kaya) und Yasemin (Seyneb Saleh).
„Wir brauchen Ihre Unterstützung“, sagt der Polizeibeamte. „Wir kennen uns in Ihrem Kulturkreis nicht aus.“ Der Angesprochene ist Ilyas. Wenige Stunden zuvor ist seine Frau Yasemin in ihrem gemeinsamen Café erschossen worden. Ilyas findet sie in einer Blutlache. Er ist am Boden zerstört und sucht vergeblich nach einer Erklärung.
Ganz anders die Ermittler*innen: Sie vermuten die Verantwortlichen schnell in Yasemins Umfeld. Steckt etwa die kurdische Mafia hinter der Tat? Oder gar die Terrororganisation PKK? Ilyas verliert zunehmend den Boden unter den Füßen. Nicht nur durch den schmerzhaften Verlust, sondern auch durch die von rassistischen Klischees gefütterten Verdächtigungen seitens der völlig empathielosen Polizist*innen.
Dabei verläuft die Geschichte von Ilyas und Yasemin zunächst geradezu märchenhaft. Auf einer Party in Berlin lernen sich die beiden Deutschen – er hat türkische und sie kurdische Wurzeln – kennen. Schnell ist der Traum von einer gemeinsamen Zukunft da.
Für immer „Kanake"
Nach einem Zeitsprung von 15 Jahren sehen wir, was aus diesem Traum geworden ist: ein eigenes Café, eine schicke Altbauwohnung und nicht zuletzt eine Tochter im Teenager-Alter. Doch der Traum findet ein gewaltsames Ende. Wie konnte es dazu kommen? Einen Hinweis gibt Yasemin schon zu Beginn der Geschichte. Mit einem Satz, den sie von einem Ausflugsdampfer herunterbrüllt: „Ich bin ein Kanake.“
Die junge Frau will damit ausdrücken: Ilyas und sie können sich noch so bemühen: Aus Sicht der „biodeutschen Mehrheitsgesellschaft“ werden sie nie dazugehören, sondern immer als „Fremde“, von radikalen Kräften gar als Feinde betrachtet werden. Lange Zeit sträubt sich Ilyas gegen dieses Selbstbild. Erst nach Yasemins Tod begreift er, was seine Frau gemeint hat.
Eine Erzählung von deutscher Realität
Was ist schlimmer: Einen geliebten Menschen zu verlieren oder die anschließende rassistische Kriminalisierung dieser gewaltsam aus dem Leben gerissenen Person? Diese Frage ist der Ausgangspunkt für den Film von Kanwal Sethi („Once Again - Eine Liebe in Mumbai"). Sein neues Werk liefert keine endgültige Antwort und will das auch gar nicht. Wohl aber umschreibt die Frage die beiden größten Herausforderungen, vor denen Ilyas steht.
„Was von der Liebe bleibt“ erzählt viel von deutscher Realität. Vor allem vom institutionellen Rassismus, insbesondere bei der Polizei. Man denke nur an die hetzerischen Chatnachrichten hessischer Polizeibeamt*innen, die vor einigen Jahren für Aufsehen gesorgt haben. Oder an die Praxis des „Racial Profiling“. Davon war auch Kanwal Sethi betroffen. Vor einigen Jahren kontrollierten Polizisten ohne Anlass seinen Personalausweis. Später hat der deutsch-indische Filmemacher erfolgreich dagegen geklagt.
Zudem inspirierten ihn Erfahrungsberichte von Hinterbliebenen von Mordopfern des rechtsterroristischen NSU. Jahrelang waren sie haltlosen Verdächtigungen vonseiten der Ermittlungsbehörden ausgesetzt, die zunächst keinen rechtsextremen Hintergrund der Mordserie erkennen wollten. Die ungebrochene Gefahr des Rechtsterrorismus und den Kampf der Hinterbliebenen um Anerkennung thematisiert derzeit eine Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München.
Die Geschichte einer großen Liebe
Diese gesellschaftspolitischen Hintergründe geben Kanwal Sethis Drama einen Rahmen, nicht aber sein wesentliches Gepräge. „Was von der Liebe bleibt“ konzentriert sich auf die Entwicklung der Beziehung zwischen Ilyas und Yasemin. In Rückblenden offenbart sich die Geschichte einer großen Liebe und einer fast schon unwirklich perfekten Selfmade-Existenz.
Beides steht nach vielen Jahren vor einem Wendepunkt. Mit Yasemins Tod ist dieser Strang längst nicht auserzählt. Mit all den Fragen und Verdachtsmomenten, die nun aufkommen, beginnt sich Ilyas zu fragen, ob er seine Frau überhaupt gekannt hat. Mit anderen Worten: Er setzt die Beziehungsarbeit fort.
Die Opferseite steht im Mittelpunkt
Dennoch handelt es sich um kein Liebes-Melodram im klassischen Sinne. Hierfür sind die hinreißend gespielten Szenen über das Auf und Ab des Paares viel zu sehr im Alltäglichen angesiedelt. Noch weniger ist „Was von der Liebe bleibt“ ein Politdrama. Dafür hätten die Sichtweise der Ermittler*innen und der besagte Kontext stärker beleuchtet werden müssen. Hier belässt es Kanwal Sethi bei fragmentarischen Hinweisen. Dem roten Faden der Geschichte, die ganz bewusst die Opferseite betont, schadet das nicht.
Erst im Abspann wird der Fokus auf den größeren Rahmen gerichtet und unter Berufung auf die Amadeu-Antonio-Stiftung eine schockierende Zahl präsentiert: Zwischen 1990 und 2022 sind in Deutschland mindestens 235 Menschen durch Rechtsextremist*innen ermordet worden. Nur 113 Tötungsdelikte werden von der Bundesregierung als politisch rechts motiviert eingestuft.
Spätestens jetzt wird deutlich, wie sehr der brutalstmöglich beendete Traum von Yasemin und Ilyas sowie das, was folgt, Deutschland einen Spiegel vorhalten.
„Was von der Liebe bleibt“ (Deutschland 2023), ein Film von Kanwal Sethi, mit Serkan Kaya, Seynab Saleh u.a., 100 Minuten. Filmweltverleih.de, im Kino