Kultur

Dokumentarfilm „The Gate“: Einsame Amerikaner im Bann des Krieges

Die karge Steppe von Utah als Seelenlandschaft: Der Dokumentarfilm „The Gate“ erzählt vom langen Schatten des Krieges im Leben von US-Amerikanern.

von Nils Michaelis · 26. Juli 2024
The Gate - ein Leben lang im Krieg

Alltag in der Einöde von Utah: Vater und Sohn beim gemeinsamen Schießtraining.

Was hinterlässt der Krieg in den Menschen, die ihn führen müssen oder unter seinen Folgen zu leiden haben? Diese Frage rückt immer mehr ins Bewusstsein. Den zahlreichen Erzählungen um Traumata und gescheiterte Lebenswege führen die Filmemacher*innen Jasmin Herold und Michael David Beamish nun eine weitere hinzu. Eigentlich sind es mehrere.

Geheime Vorgänge in der Steppe von Utah

Herold und Beamish, bekannt durch ihren apokalyptischen Öl-Dokumentarfilm „Dark Eden“, begaben sich auf Spurensuche in der Steppe von Utah. Mitten im Nichts unterhält das US-Militär ein Testgelände. In Dugway experimentieren die Streitkräfte mit neuen Kampfstoffen, insbesondere im Hinblick auf biologische, chemische und nukleare Kriegführung. Was sich hinter den Zäunen abspielt, ist streng geheim. 

„The Gate“ versucht, hinter die Mauer des erzwungenen Schweigens zu schauen. In dem Dokumentarfilm kommen vier Menschen zu Wort, deren Lebenswege sich in Dugway kreuzen. Und die sich nicht vom Bann des dortigen Geschehens und des Krieges lösen können. Ihre Erfahrungen und Gedanken formen sich zu einem Ganzen, das weit über das unmittelbare Geschehen auf dem Dugway Proving Ground hinausgeht. Und doch werden gerade an diesem Ort von Schrecken gezeichnete Schicksale evident.

Ein Vater sucht seinen Sohn

Wir lernen einen Vater kennen, der seit vielen Jahren nach seinem spurlos verschwundenen Sohn sucht. Ist er außerhalb des Testgeländes verunglückt? Oder hat er sich umgebracht? Was hat sein Verschwinden mit seinem Soldatenjob zu tun? Die Armee hält sich bedeckt. Für den Vater ist die Suche zur Lebensaufgabe geworden. Immer wieder begleitet ihn die Kamera durch Amtsstuben oder in der Einöde rund um Dugway.

Auch dem früheren Vorgesetzten des Sohnes bleiben nur Spekulationen. Er hat ohnehin genug mit sich selbst zu tun. Kampfeinsätze haben ihm eine posttraumatische Belastungsstörung eingebracht. Nach seiner Stationierung in Dugway kam die Erwerbsunfähigkeit. Hoffnung und Kraft schöpft er aus seiner Familie und einem Therapiehund. Die Szenen aus seinem Alltag legen nahe, dass ein Neuanfang langwierig, aber immerhin möglich ist.

Auch der Militärseelsorger, dem wir begegnen, hat in anderen Weltgegenden Schreckliches erlebt. Nun spendet er anderen Trost. Dass sein Sohn ebenfalls Soldat geworden ist, macht ihn stolz. Dennoch erweckt die Szene, in der er ihn mit Tränen beim Einrücken zum Dienst verabschiedet, den Eindruck, als wäre da noch etwas anderes als Stolz.

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Zu Besuch bei der Bombe

Das Leben eines Hochbetagten aus dem nahen Salt Lake City ist ebenfalls eng mit Dugway verbunden. Dort probten US-Piloten im Zweiten Weltkrieg den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima. Am jenem 6. August 1945 gehörte der in Japan geborene Zeitzeuge zu den Überlebenden. Was mag in ihm vorgehen, während er immer wieder im Museum von Dugway ein Modell der todbringenden Bombe besichtigt?

Die verschiedene Zeitebenen berührenden und überwiegend von Einsamkeit gezeichneten Lebensgeschichten werden im Film eher locker miteinander verbunden. Ein zentrales Mittel hierfür sind die langen Kamerafahrten durch das schroffe, aber imposante Ensemble aus Sand, Felsen und verlassenen Orten in der Einöde von Utah.

Die abweisende Szenerie soll als Metapher für menschliche Verluste und Zweifel verstanden werden. Im Zusammenspiel mit den Schicksalen der ausschließlich männlichen Protagonisten bildet sich ein rätselhaftes, aber durchaus packendes Gebilde.

Intime Innensicht des American Way of Life

Fünf Jahre lang haben Herold und Beamish an ihrem Film gearbeitet. Dass dabei viel Vertrauen zwischen ihnen und ihren Protagonisten entstanden ist, merkt man den berührenden Einlassungen der vier Männer an. So entstand eine sehr schonungslose und intime Innensicht des American Way of Life in der tiefsten Provinz. 

Und zwar insbesondere unter dem Blickwinkel, wie eng dieser Lebensstil mit dem Militärdienst verknüpft ist. Der unverkrampfte Waffenkult, der unter anderem bei Schießübungen mit Kürbissen zu beobachten ist, spricht wohl für sich. Zudem erfahren wir, welche verheerenden Folgen das kontaminierte Testgelände für jene Menschen hat, die in dessen unmittelbarer Nähe leben.

Dieser nicht nur auf visueller Ebene sehr intensive und überwältigende Film legt die düstere Seite des Militär-als-Arbeitgeber-am-Ende-der-Welt-Systems offen, ohne dabei eine klare pazifistische Position zu beziehen. Zugleich bietet „The Gate“ Raum für Hoffnung, mag sie auch noch so klein und sogar trügerisch sein. Als könnte die mächtige Sonne von Utah alles Übel der Welt überstrahlen.

„The Gate – ein Leben lang im Krieg“ (Deutschland 2023), ein Film von Jasmin Herold und Michael David Beamish, 89 Minuten

gmfilms.de

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