Kultur

Buchtipp „Wir sind nicht alle“: Den Globalen Süden verstehen

Die westliche Erzählung der Welt gehört längst der Vergangenheit an. Das macht das Buch „Wir sind nicht alle – Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens“ deutlich. Die Autoren tauchen tief in politische Strukturen ein und helfen, Vorurteile abzubauen.

von Finn Lyko · 15. Februar 2024
Staaten des Globalen Südens treten zunehmend Selbstbewusst in der internationalen Politik auf.

Staaten des Globalen Südens treten zunehmend Selbstbewusst in der internationalen Politik auf.

Gut und Böse, Kapitalismus und Kommunismus, West und Ost – unsere moderne Welt scheint stets in zwei Lager geteilt zu sein. Doch die Illusion, dass solche Erzählungen noch zeitgemäß sind, wird Leser*innen direkt zum Einstieg von „Wir sind nicht alle“ genommen. 

Staaten des Globalen Südens träten mit zunehmendem Selbstbewusstsein auf, stellten individuelle Forderungen an die globale Politik und würden zu immer bedeutenderen Bündnispartnern im Kampf gegen die Herausforderungen der heutigen Zeit, schreiben die Politikwissenschaftler und Autoren Johannes Plagemann und Henrik Maihack in ihrem Buch. Die moderne Welt ist multipolar – für den Westen bedeutet das einen Epochenbruch.

Jedoch: „Der eigentliche Epochenbruch ist ein seit Jahren fortschreitender Prozess von einer unipolaren hin zu einer komplexeren multipolaren Welt“, schreiben die Autoren. Der Westen müsse sich mit dieser neuen Struktur abfinden, mit dem Wandel der Zeit gehen – die aktuellen Herausforderungen könnten nicht mehr im Alleingang gelöst werden. 

Nun gelte es, die Interessen, Motive und Sichtweisen des Globalen Südens zu verstehen, auch wenn diese aus westlicher Perspektive teils schwer nachzuvollziehen seien. Genau hierbei will „Wir sind nicht alle“ helfen.

Für weniger „Ignoranz des Westens“

In vier umfangreichen Kapiteln schaffen es Plagemann und Maihack, einen Überblick über die Perspektiven und Interessen des Globalen Südens zu geben. Sie gehen auf die Unterschiede im Geschichtsverständnis ein, auf die Gründe für die Wahl von Bündnissen, auf die Verantwortung des Westens für verschiedensten Krisen des Globalen Südens und die Rolle und Reaktion internationaler Organisationen im Wandel der Weltpolitik – und das alles mit einer überaus selbstkritischen und reflektierten Art. 

Die Autoren werfen einen anderen Blick auf Geschichte und Gegenwart, sie ordnen ein und bieten eine neue Perspektive – oder fügen etablierten Perspektiven mindestens ein wenig Neues hinzu.

Wenn es das ist, was die Autoren erreichen wollten – nämlich die „Ignoranz des Westens“ zumindest etwas abzubauen – dann könnte ihnen das mit diesem Buch auf einer individuellen Ebene gelungen sein. Und das ist wichtig. Denn die Perspektive des Globalen Südens zu verstehen, wird mit jeder Krise dringender. 

Ob Coronapandemie oder Klimakrise, die aktuelle Weltlage macht mehr als deutlich: Globale Krisen fordern globale Anstrengungen. Doch um die verschiedenen Interessen der einzelnen Akteure miteinander vereinbaren zu können, muss der Westen die multipolare Welt verstehen und akzeptieren lernen. Erst dann können dort, wo bislang Risiken vermutet wurden, die Chancen entstehen, die diese neue Vielfalt an Akteuren, Interessen und Forderungen mit sich bringt.

Zuversicht in Zeiten des Wandels

Und so ziehen Johannes Plagemann und Henrik Maihack in „Wir sind nicht alle“ ein positives Fazit der aktuellen Entwicklungen. Multipolarität und die neue strategische Bedeutung des Globalen Südens ermöglichen aus ihrer Sicht Autonomie und Entscheidungsspielräume, die es vorher so nicht gegeben habe. Zumal sich viele fundamentale Interessen Europas mit denen vieler Staaten des Globalen Südens überschneiden. Veränderung kann also auch etwas Gutes sein. 

„Wir sind nicht alle“ erklärt einem die multipolare Welt, ohne Angst davor zu machen. Und vielleicht ist es genau das, was es in Zeiten des Wandels braucht.

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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