100 Jahre „Büchergilde Gutenberg“: „E-Books spielen für uns keine Rolle“
Am 29. August 1924 wurde die „Büchergilde Gutenberg“ gegründet. Seit zehn Jahren ist sie eine Genossenschaft. Geschäftsführer Alexander Elspas sagt, welche Rolle die Gründungsideen der Büchergilde heute spielen und warum sie bald ein eigenes Jugendprogramm starten will.
Kai Doering | vorwärts
Büchergilde-Geschäftsführer Andreas Elspas: Für uns müssen Bücher eine Haltbarkeit haben.
Die Büchergilde Gutenberg gibt es seit 100 Jahren. Wie lässt sie sich in drei Sätzen beschreiben?
Das Wichtigste an der Büchergilde ist ihr kuratiertes Programm. Dafür wählen wir viermal im Jahr die Titel aus, die wir für lesenswert halten und bei denen wir überzeugt sind, dass sie unsere Mitglieder interessieren. Damit geben wir auch eine gewisse Orientierung in der Flut der Neuerscheinungen, die es jedes Jahr gibt.
Ein zweiter Punkt der Büchergilde ist der Anspruch, optisch schöne Bücher herauszugeben. Auch aus unserer Geschichte heraus ist uns das Handwerk rund um den Buchdruck und die Gestaltung sehr wichtig. Bei der Büchergilde erscheinen in jedem Jahr exklusive Titel, von Künstlerinnen und Illustratoren gestaltete Bücher oder Original-Manuskripte – das macht eine Mitgliedschaft für viele interessant.
Und drittens haben wir wie zu unseren Anfängen 1924 den Anspruch, Bücher zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Als Buchgemeinschaft unterliegen wir nicht der Buchpreisbindung.
Warum liegt der Büchergilde die Buchgestaltung so sehr am Herzen?
Der ursprüngliche Leitsatz der Büchergilde hieß „Bücher voll guten Geistes in schöner Gestalt“. Dem fühlen wir uns auch 100 Jahre später noch verpflichtet. Für uns müssen Bücher eine Haltbarkeit haben, aufs Material bezogen als auch auf den Inhalt. Wenn man heute Bücher aus den Anfängen der Büchergilde in die Hand nimmt, hat man häufig den Eindruck, sie wären gerade erst erschienen. So hoch ist die Qualität. Die Gestaltung der Bücher unterstreicht aber auch ihre Inhalte. Form und Inhalt sind bei unseren Büchern immer ein Zusammenspiel.
Alexander
Elspas
Ich habe 1.900 Chefinnen und Chefs.
Die Büchergilde ist aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen. Der Bildungsansatz stand von Anfang an im Mittelpunkt. Welche Rolle spielt das heute noch?
Als Büchergilde fühlen wir uns unserer Tradition verpflichtet. Das macht sich in unserem Programm bemerkbar, aber auch in den verschiedensten Aktivitäten. Im Zuge unseres Jubiläums planen wir etwa verschiedene Veranstaltungen in Betrieben und mit Gewerkschaften.
2011 haben wir zudem den Verein „Welt des Lesens“ gegründet. Gemeinsam mit unseren Partnerbuchhandlungen wollen wir damit zur Förderung der Lesemotivation und Lesekompetenz bei Kindern und Jugendlichen beitragen. Und natürlich prägt der Bildungsansatz auch unsere Programmauswahl, mit der wir deutlich machen, dass wir nicht in einem literarischen Elfenbeinturm leben.
Die Büchergilde feiert in diesem Jahr ein doppeltes Jubiläum: 2014 ist sie zu einer Genossenschaft geworden. Warum haben Sie dieses Modell gewählt?
Ende der 90er-Jahre gab es große Strukturreformen bei den Gewerkschaften, die unter anderem zur Gründung von ver.di führten. Die Büchergilde gehörte damals der Gewerkschaftsholding BGAG. Im Rahmen der Umstrukturierungen wurde sie 1998 herausgelöst und fünf vormalige Mitarbeiter unter der Leitung meines Vorgängers Mario Früh kauften die Gilde, um ihren Fortbestand zu organisieren.
Unter Frühs Ägide wurde dann 2014 auch die Genossenschaft gegründet, weil sie als das tragfähigste Modell erschien. Ich finde, es passt auch am besten zur Idee der Büchergilde: Die Mitglieder fördern und schützen ihre gemeinsamen Interessen. Denn anders als andere Unternehmensformen ist eine Genossenschaft unverkäuflich und demokratisch organisiert. Angefangen haben wir mit 840 Genossinnen und Genossen. Heute sind es knapp 1.900. Wirtschaftlich stehen wir damit auf soliden Beinen.
Welchen Einfluss hat das auf Ihre Arbeit als Geschäftsführer?
Ich habe 1.900 Chefinnen und Chefs. Mit dieser Tatsache gehe ich aber ganz entspannt um, auch wenn in der Satzung festgelegt ist, dass ich auf Antrag der Generalversammlung jederzeit abberufen werden kann. Dasselbe kann einem in der freien Wirtschaft aber auch jederzeit passieren, im Zweifel sogar deutlich schneller.
Unsere Genossinnen und Genossen mischen sich vor allem inhaltlich ein. Das begrüße ich sehr und ermuntere sie sogar dazu. Das eine oder andere Buch geht schon auf Ideen unserer Mitglieder zurück. Für den betriebswirtschaftlichen Ablauf ist es aber nötig, dass wir in Frankfurt das Heft des Handels in der Hand behalten.
Alexander
Elspas
Das Herzstück unserer Arbeit ist seit jeher das gedruckte Buch.
Die Buchbranche ist seit Jahren in schwierigen Fahrwassern – vom wachsenden Online-Handel, über E-Books bis zu steigenden Papierpreisen. Wie geht die Büchergilde damit um?
Das Herzstück unserer Arbeit ist seit jeher das gedruckte Buch, E-Books spielen für uns also keine Rolle. Die anderen Themen – Papier- und Energiepreise oder der Online-Handel – betreffen die Büchergilde dagegen natürlich genauso wie andere Verlage und Buchhandlungen auch.
Mit unserer Organisationsform als Buchgemeinschaft haben wir aus meiner Sicht aber ganz bedeutenden Vorteile. Die einzige Verpflichtung, die man eingeht, wenn man bei uns Mitglied wird, ist, vier Bücher im Jahr zu kaufen. Das gibt uns eine gewisse Planungssicherheit. Zudem sind wir ganz gezielt auf der Suche nach Partnerschaften mit anderen Unternehmen, von denen beide Seiten profitieren. Auch hier gilt: Zusammenhalt macht stark.
Welche Rolle spielen das Internet und insbesondere Soziale Medien bei Ihnen?
Eine immer größere. Im letzten Jahr gingen wir zum Beispiel mit einer neuen Webseite online, bei der wir die digitalen Möglichkeiten noch besser ausnutzen.
Was die Sozialen Medien angeht, haben wir uns in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt, auf Instagram verzeichnen wir bereits 14.000 Follower und dort wachsen die Zahlen, genau wie auf TikTok stetig. Außerdem freut mich, dass es seit einigen Jahren Büchergilde-Botschafterinnen und -Botschafter gibt, die in den Sozialen Medien mit Leidenschaft und Authentizität für uns werben.
Das 100. Jubiläum nehmen Sie zum Anlass, die „Büchergilde junior“ aufzubauen. Was ist das Ziel?
Mit einem eigenen Kinder- und Jugendprogramm wollen wir junge Menschen für das Lesen begeistern und jedem Kind Geschichten schenken, die es ein Leben lang begleitet. Wir möchten dem Nachwuchs der Buchgemeinschaft eine kompetente, gut ausgesuchte und schön gestaltete Leseheimat bieten.
Aber auch um die Büchergilde weiterzuentwickeln, ist der Aufbau dieses Programmbereichs von entscheidender Bedeutung. Um acht bis zehn Kinderbücher pro Jahr machen zu können, brauchen wir etwa 250.000 Euro. Eingeschlossen ist der Personalaufwands und das Begleitmagazin „Büchergilde junior“. Darüber hinaus wollen wir auch unseren englischsprachigen Bereich weiter ausbauen, um für ein junges Lesepublikum interessant zu bleiben.
Vom 29. August bis 10. November wirft die Werkstattausstellung „Vorwärts – mit heiteren Augen! 100 Jahre Büchergilde Gutenberg“ im Museum für Druckkunst Leipzig einen Blick auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft der Büchergilde. Darüber hinaus ist eine Festschrift unter demselben Titel erschienen (ISBN 978-3-7632-7558-8).
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.