Wie Marine Le Pen und die Rechtsextremen in Frankreich hoffähig werden
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Die nächste Präsidentschaftswahl in Frankreich findet zwar erst 2027 statt, doch die Zahl der Französ*innen, die die Qualitäten der rechtsextremen Marine Le Pen positiv hervorheben, nimmt spürbar zu. Gleichzeitig sinkt die Zahl derer, die ihre Schwächen betonen, spürbar. Das zeigt eine Umfrage im Auftrag der Zeitung Libération. Fast ein Drittel (29 Prozent) findet, Le Pens Image habe sich verbessert. 60 Prozent halten sie für mutig, 43 Prozent für kompetent und 44 Prozent trauen ihr ohne weiteres zu, „nützliche Lösungen für das französische Volk zu finden“. Die Mehrheit hält Le Pen zwar weiterhin für autoritär (61 Prozent) und radikal (58 Prozent), aber diese Werte sind kleiner geworden, anders als die positiven Zuschreibungen.
Le Pen hat ihre Strategie geändert
Es geht zunächst um die im Frühjahr anstehenden Europawahlen, aus denen der RN fast schon traditionell als stärkste Partei in Frankreich hervorgeht. Dahinter – und deutlich bedeutender – ist aber bereits die Nachfolge von Präsident Emmanuel Macron im Blick. Es kann als sicher vorausgesetzt werden, dass Marine Le Pen einen vierten Anlauf auf das Amt der Staatspräsidentin anvisiert.
Schon vor der Präsidentschaftswahl 2022, bei der sie in der Kampfabstimmung gegen Macron 42 Prozent der Stimmer holte, hatte die nationalistische und rechtsextreme Politikerin ihre Strategie geändert. Le Pen gab den Parteivorsitz zugunsten des damals 27-jährigen Jordan Bardella auf. Brandreden, die den „drohenden Bevölkerungsaustausch“ als Menetekel an die Wand malen und von einer „Lebensgefahr für das französische Volk“ schwadronieren, überlasst sie seitdem ihm.
Le Pens eigenes Auftreten wurde dagegen merklich moderater. Sie versucht die weinzeltgestählte raue Raucherstimme weicher klingen zu lassen, gibt die elder stateswoman, äußert sich nur noch zu „großen“ Themen und posiert bei home-stories mit süßen, kleinen Kätzchen. Sie wartet ab, lässt die politischen Gegner*innen Fehler begehen und kommentiert die dann „wissend und überlegen“ aus dem Off. Und die anderen machen reichlich Fehler.
Der Rassemblement National führt in allen Umfragen deutlich
Jetzt scheint die Stategie zu verfangen, wenn nicht aufgegangen zu sein. Pünktlich zu Rentrée, der Rückkehr aus dem langen Sommerurlaub, während dessen man von ihr, abgesehen von wenigen Posts bei Twitter/X nichts vernommen hat, nun die Meinungsumfrage, die ihr und ihrer Partei Bestwerte prognostiziert. Nur Edouard Philippe, Macrons Ex-Premierminister und eventueller Kandidat für die Präsidentschaftswahlen 2027, liegt in den persönlichen Werten noch vor ihr. Aber der Bürgermeister von Le Havre verfügt nicht über eine Partei wie den Rassemblement National. Der führt in allen Umfragen deutlich vor allen anderen Parteien, sowohl was Sympathie und Vertrauen angeht, als auch bei der Sonntagsfrage.
Le Pens Partei führt auf allen zentralen Politikfeldern – außer bei Umweltfragen – insbesondere bei Sicherheit, Einwanderung und Rassismus, und auch bei Kaufkraft, Bildung und Beschäftigung. Selbst noch beim Thema Europa liegt sie gleichauf mit Macrons Renaissance.
Ganz deutlich, um nicht zu sagen niederschmetternd, wird der Vergleich zu La France Insoumise (LFI), der Bewegung von Jean-Luc Mélenchon, hinter der sich zuletzt auch Sozialist*innen, Sozialdemokrat*nnen und Grüne als Linksbündnis NUPES versammelt hatten. NUPES liegt – bliebe man denn zusammen – rund zehn Prozentpunkte hinter dem RN und fünf hinter Macrons Partei.
Die anderen Parteien verharren in Schockstarre
Noch ernüchternder ist ein anderer Wert: Der RN wird positiver gesehen als die Linke. 36 Prozent der Wähler*innen halten die LFI für „gefährlicher“ als den RN, 28 Prozent sehen sie gleich gefährlich. Der RN wird von mehr als einem Drittel der Befragten (35 bis 36 Prozent) als „glaubwürdiger“ und „kompetenter“ als der LFI bezeichnet. Andersherum urteilen nur 19 Prozent. Le Pens Partei wird gar als etwas weniger radikal (25 Prozent zu 27 Prozent) und weniger gewalttätig (22 Prozent zu 32 Prozent) wahrgenommen als Mélenchons LFI.
„Der Kampf um die Seriosität ist (für Le Pen) gewonnen“, kommentierte der Leiter der Umfrage deren Ergebnis, „und der Kampf um die Glaubwürdigkeit scheint in vollem Gange zu sein“. Soll heißen, dass die Banalisierung der Rechtsextremen zu einer „normalen Partei“ längst erfolgreich abgeschlossen sei, unterdessen ginge es darum, sie in der Außenwirkung zu „notabilisieren“, sie ehrbar zu machen.
Und während Marine Le Pen für die kommenden Tage eine „wichtige Grundsatzrede zu ihrer Vision von Europa“ via Twitter/X ankündigen lässt, versinken die anderen Parteien in Schockstarre. Die Europawahl scheint bei ihnen vollständig aus dem Blick. Der Fokus richtet sich nahezu ausschließlich auf die Innenpolitik, greift voraus auf die Präsidentschaftswahl 2027. Und namhafte Politiker*Innen, die als mögliche Kandidat*Innen gehandelt werden, sind nur damit beschäftigt, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, um jeweils innerparteilich Mehrheiten organisieren zu können. Das wirkt weder kompetent noch anziehend oder gar „präsidenziabel“. Und Alles nützt nur Marine Le Pen. Die macht nur sehr wenig – aber damit eben auch keine Fehler.