Masterplan für mehr Macht: Wie Melonis Reform Italien spaltet
Giorgia Melonis umstrittenes Reformprojekt bringt Italiens Mitte-Links-Lager näher zusammen. Am Ende wird wohl das Volk über das Vorhaben der postfaschistischen Regierungschefin entscheiden.
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Sozialdemokratin Elly Schlein spricht zu den Demonstrierenden.
So geeint sah man sie selten. Am vergangenen Wochenende versammelte sich Italiens ewig zerstrittene Opposition gemeinsam auf Roms Straßen. Anhänger*innen kleiner und großer Parteien und Bündnisse quer durch das italienische Mitte-Links-Spektrum protestierten im Zentrum von Rom für eine gemeinsame Sache. „Wir werden es ihnen nicht erlauben, dass sie unsere Verfassung umreißen“, rief Elly Schlein, Chefin der Sozialdemokraten, in Richtung der Demonstrierenden.
Knapp einen Kilometer entfernt hat am gleichen Tag der italienische Senat mit absoluter Mehrheit dem Herzensprojekt von Giorgia Meloni zugestimmt. Die „Mutter aller Reformen“, wie die ultrarechte Regierungschefin sagt, soll den italienischen Staat umbauen. Die Italiener*innen sollen ihr Regierungsoberhaupt künftig direkt wählen, sein Bündnis bekäme den Plänen nach automatisch die Mehrheit in beiden Kammern.
Eine Stimme würde also reichen, um Parlament und Regierungschef auf eine Linie zu bringen und Exekutive und Legislative quasi zusammenzuführen. Auch der Staatspräsident oder die Staatspräsidentin, der oder die in Italien eigentlich das Parlament auflösen kann und die Ministerpräsident*innen ernennt, wäre geschwächt - und die Regierung gestärkt.
In Melonis ultrarechter Partei „Fratelli d’Italia" versammeln sich die ideologischen Erben des Faschismus. Ihr Herzensprojekt lässt unwillkürlich an den „Duce" denken – wollten die Italiener*innen mit ihrer Verfassung doch eigentlich verhindern, dass noch einmal eine Einzelperson zu viel Macht bekommt. Doch Meloni weiß, wie sie ihre Wähler*innen von ihrem Vorhaben überzeugt.
Ständigen Wechsel der Regierungen verhindern
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hatte Italien 68 Regierungen mit einer durchschnittlichen Dauer von anderthalb Jahren. Seit dem Abgang von Berlusconi im Jahr 2011 hielt keine Regierung mehr bis zum Ende ihrer Legislaturperiode stand. Meloni hat insofern ihr Verfallsdatum schon überlebt: Ihr Vorgänger wurden im Schnitt zur Halbzeit durch ihr Parlament gestürzt. Die italienischen Staatspräsidenten setzten immer wieder einen neuen Mann auf den Chefsessel, über den die Wähler*innen gar nicht abgestimmt hatten.
Doch dann kam Meloni. Und sie will bleiben, wo sie ist: Mit den Europawahlen hat sie zuletzt ihren Wahlsieg von 2022 noch einmal übertroffen. Doch noch ist ihr Herzensprojekt nicht am Ziel: Die Verfassungsreform braucht wie in Deutschland eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern. Die hat sie im Senat nicht bekommen, auch in der Abgeordnetenkammer ist es unwahrscheinlich, dass Teile der Opposition zustimmen. Dann kann Meloni noch das Volk in einem Referendum abstimmen lassen.
Sozialdemokrat Renzi scheiterte an Referendum
Auf diese Weise sind ihre Vorgänger Silvio Berlusconi und Matteo Renzi gescheitert. Renzi war von 2014 bis 2016 italienischer Ministerpräsident und schon davor und darüber hinaus Parteichef der Sozialdemokraten. Inzwischen führt er eine kleine Partei der politischen Mitte.
Renzis Reformprojekt zielte damals auf das Zwei-Kammern-System ab: Senat und Abgeordnetenhaus sind in Italien gleichberechtigt, der Sozialdemokrat wollte den Senat schwächen und das Abgeordnetenhaus stärken, damit Gesetzesvorhaben nicht mehr monatelang zwischen den Kammern hängen. Das Referendum scheiterte, Renzi trat zurück.
Damit war auch der zweite Teil seiner Reform gescheitert. Renzi wollte die Autonomie der Regionen einschränken, Meloni will nun das Gegenteil, sie nämlich unabhängiger machen. Damit kommt sie ihrem Regierungspartner entgegen. Die rechtsextreme „Lega“ von Matteo Salvini trat ursprünglich für die Abtrennung Norditaliens vom strukturschwachen Süden ein.
Konflikt um mehr Autonomie für die Regionen
Und so hat Italien vergangene Woche das sogenannte Autonomiegesetz beschlossen: Die Regionen dürfen nun, wenn sie wollen, in Sachen Gesundheit oder Bildung selbst entscheiden. Für den Norden ist das ein Erfolg, der Süden und die Inseln aber befürchten einen Nachteil. Für die wirtschaftlich viel schwächeren Teile des Landes könnte künftig noch weniger Geld aus Rom fließen.
Entsprechend emotional verlief die Debatte. Im Abgeordnetenhaus kam es zu Rangeleien, ein Abgeordneter der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung ging zu Boden und musste den Saal im Rollstuhl verlassen. Die Opposition will nun auch ein Referendum über die Autonomie der Regionen beantragen.