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Schuldenkrise: Worauf sich Deutschland und Frankreich geeinigt haben

Auf den letzten Metern der Verhandlungen über eine Reform der EU-Schuldenregeln kämpfen französische Politiker mit aller Macht gegen die von Deutschland befürwortete Lösung. Eindringlich warnen sie vor zu starren Regeln und wollen Lockerungen durchsetzen. 

von Kay Walter · 20. Dezember 2023
Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire

Austerität habe im europäischen Projekt keinen Platz, sagt Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist das zentrale Element des Haushalts im Vereinten Europa. Er definiert Obergrenzen für Defizite wie für die Gesamtverschuldung von EU-Staaten. 

Deutschland beharrt - in Brüssel noch dezidierter als in Berlin - auf strikte Ausgabendisziplin. Die Schuldenbremse müsse zwingend eingehalten werden. 

Viele Mitgliedsstaaten der EU halten die bisherigen EU-Schuldenregeln dagegen für überzogen und unrealistisch. Selbstgestellte Aufgaben und deren Finanzierung stünden in krassem Missverhältnis zueinander. Seit 2020 sind die Regeln ausgesetzt, erst wegen Corona, später infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. 

Die Zeit drängt

2024 werden die Vorgaben aber erneut greifen, es sei denn, die Staaten einigen sich auf eine Reform. Erstmals zur Anwendung kämen neue Regeln Mitte nächsten Jahres, wenn die Budgetpläne 2025 beschlossen werden müssen. 

Die Zeit drängt also. Ursprünglich hätte das Thema schon beim vorigen Finanzgipfel abgeräumt werden sollen – was aber, wie so häufig, an Victor Orban scheiterte. Vermutlich wird auch der Ecofin am heutigen 20. Dezember keine Lösung bringen. 

Immerhin hat sich Finanzminister Lindner nun am Dienstagabend auf den Weg nach Paris gemacht - ausgesprochen kurzfristig, um es diplomatisch zurückhaltend auszudrücken - um seinen französischen Amtskollegen Bruno Le Maire zu treffen. Ziel sei ein „Durchbruch“ bei den Verhandlungen zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. 

Unbeliebte deutsche Position

Das klingt ziemlich vollmundig. In Europa ist die deutsche Position nicht sonderlich beliebt. Hier treten deutsche Emissäre in der Diskussion über die Finanzfrage in etwa so auf, wie Friedrich Merz im Bundestag. Sparen sei das zentrale Gebot der Stunde und ihr Duktus klingt dabei in den Ohren vieler Partner immer ein wenig nach „selber schuld“, wenn ihr nicht genug Geld habt.

Frankreich hält mit voller Wucht und steigender Intensität dagegen. Wirtschaftsminister Bruno le Maire erklärte kürzlich dezidiert, dass die Austerität im europäischen Projekt keinen Platz hätte. Der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton setzte noch einen drauf: „Man kann nicht Freund des Binnenmarktes und ein frugaler (Mitgliedsstaat) sein“. 

Im EU-Jargon bezeichnet „frugal“ eine strenge Haushaltspolitik, wie insbesondere Deutschland und die Niederlande sie seit Jahrzehnten propagieren. 

Heftiger Streit über Finanzfragen

Mit großer Verwunderung sieht man nicht nur in Paris und Rom, die deutsche Diskussion der vergangenen Tage, den heftigen Streit über Finanzfragen, der aus nichtdeutscher Betrachtungsweise ausschließlich der Tatsache geschuldet ist, auf Gedeih und Verderb, aber ohne Begründung die Schuldenbremse einhalten zu wollen. 

Guckt bei euch denn niemand auf Zahlen, wird gefragt und durchaus auch mit gewisser Häme darauf verwiesen, dass sämtliche Länder, die in den Krisen der vergangenen Jahre eine Keynesianische, also auf Staatsschulden ausgerichtete Wirtschaftspolitik betrieben haben, deutlich besser durch die Krisen gekommen seien. Mehr noch: während Deutschland noch immer am Rande einer Rezession entlangtaumele, seien die Rahmendaten überall sonst erkennbar erheblich besser.

Man habe die Hoffnung gehegt, die Ampel werde die unsäglich Politik der schwarzen Null ad acta legen. Denn die Bundesregierung müsse schon die Frage beantworten, wie zum Beispiel die weitere Unterstützung der Ukraine, der Umbau des Energiemarktes weg von fossilen Brennstoffen und die Förderung Grüner Technologien finanziert werden solle.

"Schuldenregeln gefährden Investitionen"

Laut Zahlen der Europäischen Kommission werden in der EU jährlich rund 700 Milliarden Euro für das Erreichen der Klimaziele und die Transformation der Industrie benötigt. Nicht nur Frankreich findet, zu strenge Schuldenregeln würden eben genau diese Investitionen ausbremsen. 

In einer interessanten Koalition assistiert ausgerechnet Italiens neofaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: „Wir fordern keine Änderungen am Pakt, um Geld aus dem Fenster zu werfen, sondern um das Geld auszugeben, das wir für die Strategien benötigen, die wir als Europa entwickelt haben“. 

Richtig daran ist, dass man nicht einerseits ständig neue und erweiterte Aufgaben beschließen kann, ohne das dafür benötigte Geld bereitzustellen. Die Quittung für die falsche („sprich deutsche“) Haushaltspolitik werde man bei den EU-Wahlen im kommenden Frühjahr präsentiert bekommen, befürchten Beobachter. Mehr Abgaben von den Bürgern zu fordern, werde europaweit die Rechtsradikalen stärken. 

Machtverschiebung nach rechts

Die Wahlen in den Niederlanden mit dem Sieger Geert Wilders und der starken, ebenfalls ultranationalistischen Bauernpartei BBB sei nur ein Vorspiel für die dann folgende Machtverschiebung, bei der die rechtsradikalen Parteien darauf zusteuerten, die stärkste Fraktion im Parlament zu werden. Ein Desaster.

Frankreich handelt nicht uneigennützig. Paris fordert Reformen, weil man sich darüber im Klaren ist, automatisch in ein Verfahren wegen übermäßigen Defizits (EDP) zu geraten, sollte keine Reform erfolgen und mithin die alten Regeln am 1. Januar 2024 wieder in Kraft treten. Das Land hat derzeit ein Defizit von 4,9 Prozent und plant, die im Vertrag festgelegte Grenze von drei Prozent erst im Jahr 2027 zu unterschreiten. 

Das hohe Minus bedeutet, dass die Kommission ein Defizitverfahren einleiten könnte, wenn nicht gar müsste. Frankreichs Haushalt ist (für 2024) darauf ausgerichtet, der Finanzierung des ökologischen Wandels und dem Kampf gegen Inflation eindeutig Vorrang vor dem Abbau der Staatsverschuldung einzuräumen.

Schulden bleiben draußen

Vor dem Treffen mit Lindner war von Bruno Le Maire an dessen Adresse gerichtet daher zu hören: „Wir können nicht sagen: ‚Hört zu, in den drei bis vier Jahren, in denen ihr die Staatsausgaben senken müsst, wird es keine Investitionen in die Sicherheit (oder) die grüne Industrie geben‘. Für mich ist das ein Nein.“ 

Das Treffen mit Christian Lindner hatte dann ein gediegenes Sowohl-als-auch zum Ergebnis. Bis 2027 werden weder krisenbedingte zusätzliche Schulden noch erhöhte Zinssätze in die Berechnung des Staatsdefizits jedes Landes einbezogen. 

Sollten die EU-Kollegen diesem Formelkompromiss zustimmen, könnte Deutschland behaupten, es gäbe klare Regeln, während (nicht allein) Frankreich die Spielräume ausreizt.  

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