Diskussionsrunde der Europa-Spitzenkandidat*innen: „Ein Abend ohne die AfD“
In Leipzig diskutieren am Mittwochabend die deutschen Spitzenkandidat*innen von acht Parteien für die Europawahl miteinander. Ein neunter Kandidat war am Vorabend ausgeladen worden.
Kai Doering | vorwärts
Zwei Stunden angeregte Diskussion über Europa: Die Spitzenkandidat*innen von acht Parteien trafen sich im Leipzig.
Den lautesten Applaus des Abends gibt es, noch bevor eine*r der Kandidat*innen auch nur ein Wort gesagt hat. Gerade hat der Leiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Roland Löfler, mitgeteilt, dass der Spitzenkandidat der AfD, Maximilien Krah, am Vorabend ausgeladen worden sei. „Seine geschichtsrevisionistischen Ansichten haben keinen Platz in der politischen Bildung“, begründet Löfler diesen Schritt. In einem Interview hatte Krah die Verbrechen der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg relativiert. Inzwischen hat ihm die AfD jegliche Wahlkampf-Auftritte untersagt.
Zwei Stunden intensive Debatte
„Deshalb ist dies heute ein Abend ohne die AfD“, sagt Löfler unter dem Applaus des Publikums. Stattdessen sitzen an zwei barähnlichen Tischen im „Zeitgeschichtlichen Forum“ in der Leipziger Innenstadt die Spitzenkandidat*innen von sechs „Parteien, die reale Wahlchancen“ bei der Europawahl haben, wie Löfler sagt: Katarina Barley von der SPD, Sergey Lagodinsky von den Grünen, Martin Schirdewan von der Linkspartei, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Manuela Ripa von der ÖDP und Thomas Geisel vom BSW. Die CDU vertritt der sächsische Kandidat Andreas Nowak, „Die Partei“ wird von Max Aschenbach repräsentiert.
Zwei Stunden lang führen Löfler und die Fernseh-Journalistin Anke Plättner den Kandidat*innen auf den Zahn. Los geht es mit einer „Speedrunde“. Während die Kandidat*innen erklären, warum sie im Europaparlament bleiben bzw. neu einziehen wollen, rinnt roter Sand durch eine Uhr. Nach 30 Sekunden ist Schluss. Dann wird es inhaltlich: „Was kann die EU dazu beitragen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden?“, will das Moderator*innen-Duo wissen.
Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine
Während sich nahezu alle Kandidat*innen einig darin sind, die Ukraine weiter mit Waffen zu unterstützen und so „in eine Situation zu versetzen, dass Verhandlungen überhaupt Sinn machen“, wie Katarina Barley sagt, will Thomas Geisel Waffen künftig nur noch dann liefern, „wenn Russland nicht bereit ist für einen Waffenstillstand“. In einem anschließenden „Duell“ – hierbei haben zwei Kandidat*innen die Möglichkeit, kontrovers auf eine Frage zu antworten – mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann kann der BSW-Kandidat seine Position noch weiter erläutern. „Wenn wir immer mehr Waffen liefern, wird der Krieg nur länger dauern“, argumentiert Geisel.
„Wenn Putin in der Ukraine Erfolg hat, wird das nicht das Ende sein“, hält FDP-Frau Strack-Zimmermann dagegen. Wenige Stunden vor der Veranstaltung waren Pläne bekannt geworden, dass Russland seine Seegrenze in finnische und litauische Gewässer ausdehnen will. In ihrem „Duell“ mit dem CDU-Politiker Andreas Nowak weist Katarina Barley deshalb darauf hin, dass das russische Parlament bereits im Sommer 2022 Litauens Unabhängigkeit in Frage gestellt hat. „Wir sollten zuhören, was Putin zuhause erzählt“, sagt Barley deshalb.
Katarina Barley im Vorteil
Bei einem anderen Konflikt wird die SPD-Spitzenkandidatin sehr klar. Als ein*e Zuschauer*in aus dem Chat wissen möchte, wie die Kandidat*innen zur Frage der internationalen Haftbefehle gegen mehrere Anführer der Terrororganisation Hamas sowie Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stehen, sagt Barley deutlich: „Ich finde es nicht richtig, die Hamas und die Regierung Israels in einen Topf zu werfen.“ Auch wenn sie persönlich die israelische Regierung ablehne.
Etwas entspannter wird es schließlich bei der Frage, wie sich das Europaparlament von anderen Parlamenten unterscheide. Hier ist Katarina Barley im Vorteil, denn als einzige der acht Kandidat*innen gehörte sie sowohl dem Bundestag als auch – aktuell – dem Europaparlament an. „Das Europaparlament ist über die Jahrzehnte immer wichtiger geworden“, hebt Barley hervor. „Wir sind da aber noch nicht am Ende.“ Es ärgere sie zum Beispiel maßlos, dass das Europaparlament noch immer selbst keine Gesetzesinitiativen starten kann. Nicht umsonst steht dieses Initiativrecht – wieder – im Programm der SPD für die Europawahl.
Sergey Lagodinsky, der Spitzenkandidat der Grünen bei der Europawahl, hat noch eine weitere Schwachstelle ausgemacht. Denn im Gegensatz etwa zum Bundestag gibt es im Europaparlament keine sitzungsfreien Wochen. Die aber wären wichtig, meint Lagodinsky, „um mit den Menschen im Wahlkreis mehr ins Gespräch zu kommen“.
Heftige Kritik an Haltung von BSW-Kandidat Geisel
Marie-Agnes Strack-Zimmermann nutzt die Frage für einen Angriff auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie finde es „hoch problematisch“, dass die gemeinsame Spitzenkandidatin der europäischen Konservativen „keinen Wahlkampf“ mache. „Sie wird erst am 9. Juni um 18 Uhr auf die Bühne springen“, ist Strack-Zimmermann überzeugt, weil sie wisse, dass am Ende die Staats- und Regierungschef*innen über den oder die künftige Kommissionspräsident*in entschieden.
Emotional wird es nochmal bei der Publikumsfrage, wie sich die EU energiepolitisch aufstellen sollte. BSW-Kandidat Thomas Geisel plädiert dafür, die Energielieferungen aus Russland wieder aufzunehmen, da die deutsche Wirtschaft sie brauche. „Putin ist ein Problem, das sich irgendwann biologisch erledigt haben wird“, sagt er dazu. Eine Meinung, die zu heftiger Kritik von Linkspartei und Grünen führt. Er finde es „fatal“, dass Geisel weiter Geschäfte mit „Putins Gas“ machen wolle, sagt der Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan. Und Grünen-Spitzenkandidat Lagodinsky schimpf: „Diese Ideologie ist ein Hochsicherheitsrisiko für uns alle.“ Viel sinnvoller sei es, massiv in Erneuerbare Energien zu investieren, um unabhängig von Energieimporten zu werden.
Am Ende der rund zweistündigen Diskussion kommt schließlich wieder die Sanduhr ins Spiel. Jede*r der acht Kandidat*innen soll in 30 Sekunden sagen, wo die EU in 25 Jahren, also 2049 steht. „Ich hoffe, dass es die EU dann überhaupt noch gibt“, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Feinde von außen wie von innen würden schließlich an Stärke gewinnen. Genau deshalb sei die Wahl in diesem Jahr so wichtig, meint Katarina Barley. „Wie die EU künftig aussieht, wird sich in diesem Jahr entscheiden“, ist die SPD-Spitzenkandidatin überzeugt. „Deshalb ist es wichtig, wählen zu gehen. Und zwar demokratisch.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.