Die Falken auf Utoya: „Das geht einem sehr, sehr nahe“
Am 22. Juli 2011 tötete ein Rechtsextremist auf der norwegischen Insel Utoya 69 junge Menschen. Im Juni reisten mehrere hundert Mitglieder der Sozialistischen Jugend Deutschlands für ein viertägiges Zeltlager dorthin – und kehrten mit tiefen Eindrücken zurück.
Falken NRW
Mehrere hundert Falken aus Nordrhein-Westfalen verbrachten im Juni ein viertägiges Zeltlager auf der norwegischen Insel Utoya.
Feiern, singen, baden, Fußball und Volleyball spielen an einem Ort, an dem 14 Jahre zuvor 69 gleichgesinnte junge Menschen von einem Rechtsextremisten ermordet wurden – geht das? Der nordrhein-westfälische Landesverband der Falken – so nennt sich die Sozialistische Jugend Deutschlands – fanden ja und haben Mitte Juni ein mehrtägiges Zeltlager mit mehreren hundert Teilnehmer*innen auf der norwegischen Insel Utoya veranstaltet. Die Entscheidung dafür war durchaus kontrovers und als der Beschluss innerhalb des Verbands stand, brauchte es im Grunde drei Anläufe, um ihn in die Tat umzusetzen.
Vor fünf Jahren, beim ersten Anlauf, kam die Corona-Pandemie dazwischen. Sämtliche Förderanträge wurden abgelehnt, das Projekt lag auf Eis. Im vergangenen Jahr, als der Landesverband einen zweiten Anlauf unternahm, nach Norwegen zu reisen, scheiterte das Unterfangen am fehlenden Bundeshaushalt. „Weil unklar war, wie es mit der Kerosinsteuer weitergeht, wollten die Airlines keine Angebote rausgeben“, sagt die Falken-Landesvorsitzende Maja Iwer im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Mit guter Laune gegen das mulmige Gefühl
Und auch in diesem Jahr gab es Probleme mit der Anreise. „Wir wollten eigentlich ein Flugzeug chartern. Das hat aber nicht geklappt, weil es zu wenige Flugzeuge im europäischen Luftraum gibt“, sagt Iwer. Stattdessen wurden die mehr als 200 Teilnehmer*innen schließlich auf sechs verschiedene Flüge gen Norwegen verteilt. Anschließend ging es dann für sie mit der Fähre nach Utoya. Es war die gleiche Fähre, die auch der Rechtsextremist nahm, der am 22. Juli 2011 das Feriencamp der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet (AUF) attackierte. Entsteht da ein mulmiges Gefühl? „Wenn da 230 Falken sind, die alle gute Laune machen und sich gegenseitig auffangen, ist da gar kein komisches Gefühl mehr“, erinnert sich die Falken-Landesvorsitzende aus NRW.
Ein Zeltlager auf Utoya mag aus deutscher Perspektive erst einmal ungewöhnlich wirken. Für den norwegischen Nachwuchs ist es jedoch völlig normal, die Insel auch weiterhin in ihrer ursprünglich zugedachten Form zu nutzen. Fast alle Schüler*innen sind einmal in ihrem Leben für ein Demokratie-Training auf Utoya, und die AUF, die norwegische Schwester-Organisation der Jusos und der Falken, veranstaltet weiterhin jedes Jahr ihr großes Sommercamp mit rund 500 Teilnehmer*innen auf der Insel. So wie schon einst zu Willy Brandts Zeiten, als sich der spätere SPD-Vorsitzende ab 1933 im norwegischen Exil aufhielt.
Den Falken war es wichtig, die Insel während ihres viertägigen Aufenthalts so zu nutzen, wie es die AUF auch tut. Das bedeutete: viel Raum für Freizeitaktivitäten und Sport, aber auch ein striktes Alkoholverbot und ein verpflichtender Gedenkprozess, den alle Menschen durchlaufen müssen, die die Insel betreten wollen. In einem Museum erfahren sie beispielsweise mehr über die Historie der Insel, aber auch wie sich Jugendliche 2011 vor dem Attentäter zu verstecken versuchten.
Einige erfolgreich, viele nicht, wie auch eine Rekonstruktion von Echtzeit-Chatverläufen zeigt. „Das geht uns als Falken sehr, sehr nahe, weil die Leute ungefähr so alt waren wie wir jetzt und wir es gut nachvollziehen können, im Zeltlager zu sein“, berichtet Maja Iwer. Manche der Teilnehmer*innen gingen danach direkt Fußball spielen, andere brauchten erst einmal eine halbe Stunde für sich, allein auf dem Steg, um nachzudenken.
Teil des viertägigen Falken-Camps war auch ein Demokratie-Workshop mit der NRWSPD-Vorsitzenden Sarah Philipp, die dafür nach Utoya reiste. „Wir haben uns total gefreut, dass Sarah gekommen ist“, sagt die Falken-Landesvorsitzende Maja Iwer. Philipp selbst berichtet im Gespräch mit dem „vorwärts“ von einem konstruktiv-kritischen Austausch über die Politik der SPD, den Umgang mit Rechtsextremismus und den Kampf für die Demokratie. „Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Ich habe sehr viele Gedanken mitgenommen, die mir jetzt auch für meine politische Arbeit als Landesvorsitzende helfen“, sagt sie.
Die Insel Utoya bezeichnet Philipp als einen sehr denkwürdigen und auch schmerzvollen Ort. Sie spricht von einem beklemmenden Gefühl, mit der Fähre überzusetzen, auf der Insel zu sein und sich mit der Geschichte des Ortes auseinanderzusetzen. Philipp sagt aber auch: „Das Entscheidende ist, dass wir uns diese Insel als Ort nicht nehmen lassen für unsere Bewegung, sondern ihn erhalten, immer wieder hierhin zurückkehren und gemeinsam eine gute Zeit haben.“
Identitätsstiftend für eine ganze Falken-Generation
Auch aus Perspektive der Falken hat sich der hohe organisatorische wie finanzielle Aufwand gelohnt. „Für eine ganze Generation von jungen Falken aus NRW war das total identitätsstiftend – eine Sache, die sie ihr Leben lang nicht vergessen werden“, so Iwer.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo