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Chile: Wie der Putsch die Familie einer SPD-Abgeordneten beeinflusste

Isabel Cademartori ist SPD-Bundestagsabgeordnete. Ihr Großvater war in Chile Wirtschaftsminister unter Salvador Allende. Durch den Putsch änderte sich das Leben von Cademartoris Familie vor 50 Jahren dramatisch.
von Jonas Jordan · 12. September 2023
Isabel Cademartori ist SPD-Bundestagsabgeordnete.
Isabel Cademartori ist SPD-Bundestagsabgeordnete.

In dieser Woche jährt sich der Militärputsch von General Pinochet gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende in Chile zum 50. Mal. Der 11. September 1973 war eine Zäsur in der Geschichte des südamerikanischen Landes. Zugleich veränderte dieser Tag auch die Familiengeschichte von Isabel Cademartori. „Für uns ist dieser Tag immer sehr präsent, weil unsere ganze Familiengeschichte dadurch geprägt ist“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Ihr Großvater war drei Jahre lang politischer Gefangener

Denn ihr Großvater José Cademártori, inzwischen 92-jährig, war bis 1973 Parlamentsabgeordneter und zwischen dem 5. Juli und dem 11. September 1973 Minister für Wirtschaft, Entwicklung und Wiederaufbau unter Allende. „Mein Großvater wurde kurz nach dem 11. September festgenommen, kam drei Jahre in politische Gefangenschaft. Dann ging er ins Exil“, erzählt Isabel Cademartori. Im Exil in der damaligen DDR lernten sich schließlich ihre Eltern während des Studiums in Leipzig kennen. „Insofern ist meine Entstehung eng mit diesem Datum verbunden“, sagt die SPD-Politikerin, die im Januar 1988 im brandenburgischen Bad Saarow geboren wurde.

Von 1989 bis 2000 und später noch einmal für ein Jahr während des Studiums lebte Cademartori selbst in Chile. Der gesellschaftliche Umgang mit der 17 Jahre – von 1973 bis 1990 – währenden Militärdiktatur habe sich zwischen diesen beiden Phasen deutlich verändert, erzählt sie. „Ich erinnere mich, als Kind heftigste Diskussionen mit Klassenkameraden darüber geführt zu haben, ob die Diktatur richtig oder falsch war, ob Menschenrechtsverletzungen stattgefunden haben oder ob sie notwendig waren.“ Ein großer Teil der Bevölkerung habe zu dieser Zeit Pinochet weiter verehrt und Menschenrechtsverletzungen relativiert.

Gesellschaftlicher Rückschritt durch extreme Rechte

Später sei das anders gewesen. „2010 während meines Auslandssemesters habe ich mit den Leuten, mit denen ich als Kind gestritten habe, gesprochen und hatte das Gefühl, dass auch sie einen differenzierteren Blick auf die Zeit hatten.“ Im selben Jahr wurde in der Hauptstadt Santiago auch das Museum der Erinnerung und Menschenrechte eröffnet, das den Opfern der Militärdiktatur gewidmet ist und das auch Bundeskanzler Olaf Scholz während seiner Chile-Reise besuchte.

Inzwischen gebe es jedoch mit dem Erstarken der extremen Rechten auch in der Erinnerungskultur des Landes wieder Rückschritte zu verzeichnen, meint Cademartori. „Der kleine Konsens, der sich herausbildete, ist wieder unter Druck.“ Derzeit sei wieder eine stärkere Polarisierung in Chile zu spüren, die aus Sicht der SPD-Abgeordneten jedoch nicht ganz mit der Stimmungslage vor 50 Jahren zu vergleichen sei, auch wenn sich die amtierende sozialdemokratische Regierung von Präsident Gabriel Boric, der in seiner Antrittsrede Allende zitierte, bewusst in dessen Tradition stellt. 

Deutsche Beteiligung breiter diskutieren

Mit Blick auf die Beteiligung ausländischer Geheimdienste an der Vorbereitung und Durchführung des Putsches gebe aus Cademartoris auch im Hinblick auf die deutsche Rolle noch einiges aufzuarbeiten. Nach jüngsten Medienrecherchen war der Bundesnachrichtendienst (BND) durch geheime Waffenlieferungen über die deutsche, in Chile ansässige Sekte „Colonia Dignidad“ an die Gegner von Allende am Putsch beteiligt. Später wurde die „Colonia Dignidad“ zu einem Ort, an dem mithilfe deutscher Staatsbürger*innen gefoltert wurde.

„Als ich letztes Jahr in Chile war, habe ich das Archiv der Colonia Dignidad besucht. Da habe ich festgestellt, dass sie selbst Akten über prominente linke Politiker geführt hat. Sie haben Zeitungs- und Redeausschnitte gesammelt, also in Eigenregie Geheimdienstarbeit betrieben“, erzählt die SPD-Politikerin. Auch über ihren Großvater habe es eine solche Akte gegeben, die ihr bei dieser Gelegenheit gezeigt wurde. „Deswegen finde ich es gut, dass der Jahrestag zum Anlass genommen wird, diese Dinge auch mal ein bisschen breiter zu diskutieren“, sagt Cademartori.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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