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315 Millionen für Radwege in Peru? „Diese Zahl ist viel zu hoch.“

Es grassieren viele Gerüchte über die deutsche Entwicklungspolitik. Im Interview sagt Ministerin Svenja Schulze, warum die Unterstützung im Interesse Deutschlands ist und sie die Kritik von CDU und CSU wundert.

von Jonas Jordan · 30. Januar 2024
Svenja Schulze (SPD) ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Svenja Schulze (SPD) ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Zuletzt wurde über Entwicklungspolitik medial häufig als einem „Wohlfühlthema“ gesprochen, auf das man angesichts von Haushaltszwängen leicht verzichten könnte. Wie sehr ärgern Sie solche Aussagen?

Ärger bringt mich nicht weiter – ich halte lieber dagegen und kläre auf. Es gibt so viele gute Argumente für Entwicklungspolitik. Und sie ist in unserem ureigenen deutschen Interesse. Wir können uns eine Schneckenhaus-Mentalität nicht leisten. Das wäre für ein starkes Industrieland wie Deutschland der eindeutig falsche Weg. Die Probleme würden dann trotzdem zu uns kommen, weil man sie nur global lösen kann. Keine Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben – das ist langfristig die Variante, die uns am teuersten zu stehen kommt. Und das sage ich nicht nur als Entwicklungsministerin, sondern auch als Mitglied einer Partei, zu deren DNA die internationale Zusammenarbeit gehört. 

Vor allem in den sozialen Medien kursieren derzeit Zahlen, dass Deutschland angeblich pro Jahr 315 Millionen Euro für Busse und Radwege in Peru zahle. Abgesehen davon, dass die Zahl nicht stimmt, wie gehen Sie mit solchen Desinformationskampagnen um?

Wie auch immer ausgerechnet diese Zahl zustande gekommen ist – sie  ist viel zu hoch. Wir „zahlen“ 44 Millionen Euro für Radwege in Peru. Alles andere sind Kredite, die wir an die Regierung in Lima vergeben. Also Geld, das wir zurückerhalten. Wir haben den Eindruck, dass Zahlen bewusst falsch genannt werden, um Entwicklungszusammenarbeit zu diskreditieren. Und da hilft es nur, ganz viel zu erklären: Was machen wir eigentlich genau in Peru? Wohin fließt unser Geld? Geht es um Zuschüsse oder Kredite? Wie funktioniert Entwicklungszusammenarbeit? Warum ist sie so wichtig und was haben wir in Deutschland davon? 

Was sind denn die Vorteile des deutschen Engagements in der Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere mit Blick auf die Bekämpfung des Klimawandels, von Flucht- und Konfliktursachen?

Globale Probleme lassen sich nur global lösen. Der Klimawandel macht nicht an den Landesgrenzen Halt, Menschen fliehen von überall auf der Welt vor Krieg, Gewalt und Hunger. Unsere Entwicklungszusammenarbeit trägt dazu bei, die Lebensbedingungen in unseren Partnerländern zu verbessern. Und sie unterstützt ärmere Länder dabei, den Klimawandel zu bekämpfen. Dazu haben wir uns übrigens im Klimaabkommen in Paris 2015 verpflichtet. Wir sind gut beraten, diese längerfristigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren – auch, wenn wir innenpolitisch vor vermeintlich drängenderen Krisen stehen.  Nicht in Entwicklungszusammenarbeit zu investieren, ist langfristig viel teurer – auch für uns in Deutschland. Ein ungebremster Klimawandel würde auch bei uns enorme Schäden anrichten. Und mit jedem Euro, den wir heute in die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit von Krisenregionen investieren, sparen die Steuerzahler später vier Euro an humanitärer Nothilfe.

Svenja
Schulze

Mich wundert die Kritik der CDU. Da machen es sich ein paar Abgeordnete mit ihrer Oppositionspolitik zu einfach.

Auch Abgeordnete der Union fordern, bei der Entwicklungspolitik zugunsten von innenpolitischen Bedarfen zu kürzen.

Mich wundert die Kritik der CDU. Das Entwicklungsministerium wurde acht Jahre von einem CSU-Politiker geleitet, der gar nicht genug Projekte in der Welt machen konnte. Ich finde auch nicht alles davon perfekt und schaue mir schon seit Beginn meiner Amtszeit an, was man besser machen kann. In Wahrheit geht es hier doch aber gar nicht um Radwege. Hier soll der Blick auf das Nationale verengt werden. Dass die AFD das versucht, ist nicht neu. Dass jetzt aber auch die Union mit dieser Nabelschau anfängt, finde ich unklug. Da machen es sich ein paar Abgeordnete mit ihrer Oppositionspolitik zu einfach. Ich erwarte, dass die Union sich an den Grundkonsens in Deutschland erinnert und aufhört, der AFD hinterherzurennen. In 16 Jahren Merkel-Regierung waren sich die Volksparteien immer einig, dass internationale Zusammenarbeit Deutschland stärker macht. Unser rohstoffarmes Land hat seinen Wohlstand mit Weltoffenheit aufgebaut.

Durch die Bauernproteste steht die Landwirtschaft medial stark im Fokus. Welche Auswirkungen hat das globale Engagement für Ernährungssicherheit auch für die Landwirt*innen in Deutschland?

Überall auf der Welt machen Landwirte einen sehr, sehr wichtigen Job: Sie sorgen dafür, dass die Menschen zu essen haben. Sie spielen eine große Rolle beim Klima- und beim Artenschutz, wenn sie nachhaltige Landwirtschaft betreiben. Gleichzeitig verbindet sie überall auf der Welt der Wunsch, von ihren Erträgen leben zu können. Dazu gehören faire Arbeitsbedingungen und faire Preise. Wir als Entwicklungsministerium setzen uns dafür ein, dass das in unseren Partnerländern gewährleistet wird. Und noch etwas trifft auf alle Landwirte zu, egal wo auf der Welt sie ihre Felder bestellen: Sie sind besonders vom Wetter abhängig und damit besonders vom Klimawandel betroffen. Es ist daher in ihrem Interesse, wenn wir uns weltweit gegen die Klimaerwärmung engagieren. 

Noch einmal zurück zu den eingangs erwähnten Haushaltszwängen: Im Vergleich zum Vorjahr könnten die Ausgaben der Bundesregierung für Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2024 um zwei Milliarden Euro zurückgehen. Erreicht Deutschland so noch das 0,7-Prozent-Ziel?

Die Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit sind sehr schmerzhaft. Eigentlich bräuchten wir mehr Geld angesichts der vielen Krisen überall auf der Welt. Ob wir das 0,7-Prozent-Ziel weiterhin erreichen,  hängt allerdings auch noch von vielen anderen  Faktoren ab als dem Haushalt des Entwicklungsministeriums. Beispielsweise werden die Ausgaben von Ländern und Kommunen für die Versorgung von Flüchtlingen angerechnet. Sie sind stark gestiegen und haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland das Ziel 2016 erstmals erreicht hat  – fast ein halbes Jahrhundert, nachdem es vereinbart wurde. Die Bundesregierung bekennt sich weiter zum 0,7-Prozent-Ziel. Die weltweiten Krisen nehmen ja leider zu und nicht ab. Nur drei Beispiele:  Rund 700 Millionen Menschen leben in extremer Armut, 110 Millionen Menschen sind auf der Flucht und der Klimawandel schreitet voran. 

Alleine im Haushalt Ihres Ministeriums soll knapp eine Milliarde Euro eingespart werden. Welche Konsequenzen hat das?

Eine Milliarde ist so viel Geld, dass das leider an vielen Stellen zu spüren sein wird – in unseren Partnerländern und auch bei den Nichtregierungsorganisationen, die sich hier in Deutschland in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren. Wir werden bei der Umsetzung der Sparbeschlüsse aber darauf achten, Deutschlands Ruf als verlässlichen Partner in der Welt nicht zu beschädigen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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3 Kommentare

Gespeichert von Joerg Heymann (nicht überprüft) am Di., 30.01.2024 - 17:31

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Die kurzsichtige Volkslegende möchte glauben machen, Entwicklungshilfe sei ein Geschenk an fremde Länder, die uns nichts angehen.
Seht euch einfach die Einflussnahme mit viel Geld aus China an Staaten in Afrika, Südamerika und andere an, dann wird ein wichtiger Aspekt von Entwicklungshilfe schnell klar. Man mag nun einwenden, dass unsere Ausgaben weniger zielgerichtet auf unsere eigenen Interessen in anderen Ländern sind. Das scheint mir richtig zu sein, so sind wir nun mal als weiterdenkende Demokraten.