International

Armutsbekämpfung: Wo die Weltgemeinschaft besser werden muss

Im Herbst steht die Halbzeitbilanz der UN-Nachhaltigkeitsziele an. Mit den aktuellen Anstrengungen seien alle 17 Ziele bis 2030 nur schwer zu erreichen, mahnt Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Interview mit dem „vorwärts“.
von Jonas Jordan · 30. August 2023
Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze besucht einen Französisch-Sprachkurs bei einem Projektbesuch mit UNICEF zur sozialen Sicherung in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott.
Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze besucht einen Französisch-Sprachkurs bei einem Projektbesuch mit UNICEF zur sozialen Sicherung in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott.

Im Herbst steht die Halbzeitbilanz der UN-Nachhaltigkeitsziele in New York an. Welche Note geben Sie der Weltgemeinschaft für das Zwischenzeugnis?

Die Weltgemeinschaft ist trotz einiger Fortschritte aktuell weit davon entfernt, die Versprechen der Agenda 2030 von 2015 einzuhalten. Die Covid-19-Pandemie und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine haben uns jetzt nochmal weiter zurückgeworfen. Die soziale Ungleichheit hat sich weltweit verschärft. Der fortschreitende Klimawandel verstärkt viele Probleme, wie zum Beispiel Wasserknappheit oder Hungersnöte. Auf einem Zwischenzeugnis müsste man wohl vermerken, dass die Versetzung ins nächste Schuljahr gefährdet ist. Wir alle müssen den laufenden Umsetzungsprozess jetzt nochmal deutlich beschleunigen. Aber es ist dennoch durchaus ermutigend, dass die Weltgemeinschaft trotz der Krisen und Rückschläge entschlossen an den Zielen festhält.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Versäumnisse beziehungsweise Rückstände?

Global gesehen ist keines der 17 Ziele auf Kurs. Einer der Gründe: zu lange haben wir die Auswirkungen unserer Konsum-, Produktions- und Handelsmuster sowie des Finanzmarkts auf die Länder des Globalen Südens zu wenig beachtet. Diese Auswirkungen nicht mit in die Gleichung aufzunehmen, wäre absurd, denn sie beeinflussen entscheidend die Möglichkeiten der betroffenen Länder, die SDGs umzusetzen. Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz haben wir einen wichtigen Schritt gemacht, als nächstes brauchen wir  ein starkes europäisches Lieferkettengesetz, das Unternehmen zu mehr Verantwortung für Menschenrechte und auch Umweltschutz verpflichtet..

Hand aufs Herz: Sind aus Ihrer Sicht alle 17 Nachhaltigkeitsziele noch bis zum Jahr 2030 zu erfüllen?

Ehrlich gesagt: Kein Land wird alle Ziele erreichen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Die Agenda 2030 bleibt weiterhin unser gemeinsamer Kompass. Doch wir müssen schneller werden. Ich setze daher besonders auf Hebel, mit denen wir mehrere Ziele zugleich verfolgen können und gerade auch Ungleichheit reduzieren können. Der wichtigste Hebel ist, verstärkt auf Frauen zu setzen. Das werden wir mit unserer feministischen Entwicklungspolitik Jahr für Jahr konkret und messbar weiter ausbauen. Ein weiterer zentraler Hebel sind soziale Sicherungsnetze, die Ungleichheiten reduzieren und Gesellschaften insgesamt voranbringen und krisenfester machen. Diese spielen auch eine große Rolle in unserem Engagement im Klimabereich, etwa bei der Absicherung von Menschen gegen Klimarisiken mit dem Globalen Schutzschirm oder auch bei unseren Klimapartnerschaften. Klar ist, wir können die 17 Ziele nur erreichen, wenn wir es schaffen eine sozial-gerechte globale Energiewende voranzutreiben. Unsere Investitionen in die Energiewende sind daher zugleich immer auch ausgerichtet auf Armutsbekämpfung und Entwicklungschancen.

Inwieweit gefährdet der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Erfüllung der Ziele zusätzlich, insbesondere mit Blick auf die globale Ernährungssicherheit?

Unter den Auswirkungen des brutalen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine leiden auch die Menschen im globalen Süden. Die Ernährungslage ist aufgrund der weltweit gestiegenen Lebensmittel- und Düngerpreise  insbesondere für die ärmsten Menschen und schwache Länder dramatisch. Die Zahl der hungernden Menschen steigt zwar schon seit 2014 aufgrund von Krisen und Konflikten, oder auch der Auswirkungen des Klimawandels, aber Russland gießt mit seiner Aufkündigung des Getreideabkommens weiter Öl ins Feuer, sodass sich die weltweite Hungerkrise aktuell weiter zuspitzt. Und der Angriffskrieg ist auch eine schwere Belastung für den Multilateralismus. Auch in der Sahelregion können wir das Resultat Putins Propaganda und spaltender Politik deutlich sehen. Für die Erreichung der SDGs muss die gesamte Weltgemeinschaft jedoch zusammenhalten – wir haben uns dazu verpflichtet.

Welche Rolle könnte die von Ihnen angestoßene Reform der Weltbank für die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele spielen?

Die Reform der Weltbank sehe ich als einen der größten Hebel, die wir im Bereich der Entwicklungsfinanzierung haben – sie muss eine echte Transformationsbank werden, die neben der Bekämpfung von Hunger und Armut auch Lösungen für den Schutz von Klima und Natur vorantreibt. Wir wollen, dass sie ihr Kapital effektiver einsetzt, um mehr zur Lösung globaler Herausforderungen beizutragen. Die Bank sollte Ländern Anreize für Investitionen geben, die der eigenen, und zugleich auch der Weltbevölkerung zugutekommen. Zum Beispiel Investitionen in den Klimaschutz oder in die Pandemieprävention. Außerdem muss die Weltbank mehr Geld für diese Ziele mobilisieren – auch durch den Privatsektor – und dieses zielgerichtet in die Lösung globaler Herausforderungen investieren.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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