Inland

Vor Gipfel im Kanzleramt: Was Industrie und Gewerkschaften fordern

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will Deutschland mit einem Industriepakt wieder wettbewerbsfähig machen. Vertreter*innen aus Industrie und Gewerkschaften stellen erste Forderungen.

von Lea Hensen · 22. Oktober 2024
Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wird beim Industriegipfel des Bundeskanzlers sein.

Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wird beim Industriegipfel des Bundeskanzlers dabei sein.

Zu teuer, zu bürokratisch, zu lahm: Der Wirtschaftsstandort Deutschland macht nicht gut von sich reden. Deswegen hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung in der vergangenen Woche eine neue industriepolitische Agenda angekündigt. Am kommenden Dienstag, 29. Oktober, sind Vertreter*innen aus Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften eingeladen, im Kanzleramt darüber zu beraten, wie die Industrie das Wachstum stärken und Arbeitsplätze sichern kann.

Aber worum geht es genau?

Der Kanzler sieht Deutschland nach wie vor als Industrieland. Allerdings stagniert das Wirtschaftswachstum, auch, weil die Standortbedingungen in Deutschland als ungünstig gelten. So ergaben Umfragen des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) in 2023, dass fast die Hälfte der deutschen Industrieunternehmen seine Produktionsstätten ins Ausland verlegt hat oder darüber nachdenkt. 

Die Industrie in Deutschland steht vor der Herausforderung, ökologische Ziele mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Sicherheit zu verbinden. Doch gerade die Automobilindustrie hat hinter der Konkurrenz aus China das Nachsehen. Beispiel Volkswagen: Beim einst größten Autobauer der Welt stehen Werkschließungen und der Abbau von offenbar 30.000 Arbeitsplätzen auf dem Spiel. Vorstandschef Oliver Blume begründete das auch mit Wettbewerbsnachteilen in Deutschland. Die SPD fordert deswegen unter anderem die Wiedereinführung einer Kaufprämie für Elektroautos, die zu Jahresbeginn ausgelaufen war.

Zu teure Strompreise

Eines der größten Probleme der deutschen Industrie sind wohl die Strompreise. Im Vergleich mit den USA und China ist Deutschland Spitzenreiter bei den Stromkosten, in der EU liegt Deutschland im Mittelfeld. Erste Maßnahmen zur Entlastung von Unternehmen des produzierenden Gewerbes hatte die Bundesregierung bereits 2023 mit dem Strompreispaket beschlossen. Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftbundes (DGB), forderte mit Blick auf den Industriegipfel nun weitere Brückenlösungen für energieintensive Branchen und die Autoindustrie. In Zeiten, in denen globale Krisen die Lieferketten stören, sei es wichtig, „mehr Resilienz als Standortfaktor“ zu begreifen, sagte sie der „Rheinischen Post". „Und das gelingt nicht, wenn beliebig viele Bestandteile industrieller Wertschöpfung verlorengehen."

Die Industriegewerkschaft Metall erwartet von dem Treffen am Dienstag „konkrete Maßnahmen, die das klare Signal senden, wir haben verstanden und wir wissen, was für Industrie und Industriearbeitsplätze zu tun ist“, hieß es auf Nachfrage. Die Situation der Industrie und ihrer Beschäftigten sei dringend.

Auch der Bundesverband der Industrie (BDI) wird am Gipfel teilnehmen. BDI-Präsident Siegfried Russwurm begrüßte den Vorstoß des Kanzlers, die Industrie in Deutschland zu stärken. „Diesen Worten müssen nun aber auch Taten folgen“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Als Hebel für ein besseres Wirtschaftswachstum nannte er mehr Balance zwischen Ökologie und Wettbewerbsfähigkeit in Europa, weniger Bürokratie und Berichtspflichten und die Kapitalmarktunion. Die deutsche Industrie benötige mehr Tempo in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, Rohstoffabhängigkeit, Ladeinfrastruktur und bei umweltfreundlichen Kraftstoffen für Pkw und Lkw. 

Industrie leidet unter Bürokratie

Ein großer Hemmschuh für die deutsche Industrie ist offenbar die Bürokratie. Beim Deutschen Arbeitgebertag forderte der Bundeskanzler am Dienstag „endlich Bürokratieabbau, und zwar in großem Umfang“ auch auf EU-Ebene. Gemeinsame Regeln auf dem EU-Binnenmarkt seien zwar wichtig, „aber da sind Dinge rausgekommen, wo man sich auch nur wundert.“

Auf nationaler Ebene versuche die Bundesregierung an sehr vielen Stellen, Bürokratie abzubauen. So hatte die Ampel-Koalition im Wachstumspaket angekündigt, unverhältnismäßige Belastungen der Unternehmen bei Bürokratie und Datenschutz zu reduzieren. Gegenüber dem Bundesverband der Industrie (BDI) kündigte der Kanzler am Dienstag an, Unternehmen noch in diesem Jahr beim nationalen Lieferkettengesetz zu entlasten. Stattdessen soll das kürzlich beschlossene EU-Lieferkettengesetz so bürokratiearm wie möglich in deutsches Recht umgesetzt werden. 

Scholz: „Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage“

Deutschland brauche mehr Wachstum, sei aber immer noch ein starkes Land, sagte Scholz. „Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage, in der schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen – und schlechte Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen." 

Für die schlechten Zahlen war beim Arbeitergebertag Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zuständig: Für das zu Ende gehende Jahr rechnet die Bundesregierung mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums von 0,2 Prozent, nachdem das Bruttoinlandsprodukt 2023 bereits um 0,3 Prozent geschrumpft war. Habeck nannte die Herausforderungen „fundamentaler, als wir es uns bisher eingestanden haben“. Der Grünen-Politiker sprach sich dafür aus, die energieintensive Industrie in Deutschland zu unterstützen, klimaneutral zu produzieren: „Ich will den energieintensiven Mittelstand in Deutschland halten", betonte er. 

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