Inland

Klimaschutz bei der Europawahl: „Ein Rechtsruck wäre fatal“

Klimaschutz spielt im Europawahlkampf bisher keine große Rolle. Woran das liegt und warum der Klimastreik an diesem Freitag etwas ändern könnte, sagt der Wirtschaftsingenieur und Klima-Moderator Julius Neumann im Interview.

von Kai Doering · 31. Mai 2024
Klimaaktivist Julius Neumann: Klimaschutz ist vor allem Menschenschutz.

Klimaaktivist Julius Neumann: Klimaschutz ist vor allem Menschenschutz.

Bei der Europawahl vor fünf Jahren war der Klimaschutz für viele Wähler*innen das entscheidende Thema. Diesmal scheint er eher in den Hintergrund zu rücken. Woran liegt das?

Der Klimaschutz hat es als Thema bei dieser Europawahl schwieriger als vor fünf Jahren. Dem stimme ich zu. 2019 gab es allgemein eine große Zustimmung zu einer enkeltauglichen Zukunft. Und die gibt es weiterhin! Herausfordernd sind jetzt die ganz konkreten Maßnahmen. Das führt durchaus auch zu Streit wie man etwa beim Heizungsgesetz oder dem europaweiten Verbrenner-Aus, das eigentlich gar keins ist, sieht. Ich benenne deshalb im Kommunalwahlkampf in Halle die Dinge besonders konkret. Statt abstrakt von Klimaschutz zu sprechen, fordere ich zum Beispiel, dass unser Marktplatz grüner und schattiger wird. Was Europa angeht, habe ich den Eindruck, dass es vielen – vor allem aus dem konservativen bis extremen rechten Spektrum – eher um die Frage geht, wie sich möglichst viel an Klimaschutz bremsen bzw. zurückdrehen lässt. Dabei ist Klimaschutz vor allem Menschenschutz.

In Deutschland hat das Heizungsgesetz im vergangenen Jahr für erhitzte Debatten gesorgt. Warum regt etwas, das gut für den Klimaschutz ist, die Menschen so auf?

Bei Dingen wie dem Heizungsgesetz merken Menschen, dass Klimaschutz nichts Abstraktes ist, sondern etwas, das Einfluss hat auf ihr tägliches Leben. Wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, müssen wir Gewohnheiten verändern. Das fällt vielen schwer. Leider ist die Kritik häufig nicht sehr differenziert. Auch das merke ich gerade im Kommunalwahlkampf, wenn mir Menschen an der Haustür sagen, sie lehnen Klimaschutz ab, weil sie weiter mit dem Auto in die Innenstadt fahren wollen. Das können sie doch weiterhin tun, wenn wir mehr Radwege bauen. Zugleich laden neue, sichere Radwege viele Menschen ein, öfter das Auto stehen zu lassen.

Julius
Neumann

Alles, was wir jetzt nicht tun, fällt uns und unserer Gesundheit bald zehnfach auf die Füße.

Ist der Einsatz für mehr Klimaschutz also am Ende ein Kommunikationsproblem?

Kommunikation spielt auf jeden Fall eine ganz entscheidende Rolle. Auch das hat das Heizungsgesetz gezeigt. Sich auf ein Thema zu versteifen – ich muss unbedingt meine Gasheizung behalten oder weiter meinen Verbrenner fahren – führt nicht weiter, sondern nur dazu, dass sich Fronten verhärten. Stattdessen sollten wir für die Menschen die Möglichkeiten erweitern und Alternativen zum Beispiel zum Autofahren schaffen. Und wir sollten viel stärker betonen, dass der Schutz unseres Planeten nicht nur gut für das abstrakte Klima sind, sondern für jeden Menschen persönlich: oder sind heiße Sommertage gut für unsere Gesundheit?

In Europa wurde in den vergangenen Jahren mit dem „Green Deal“ versucht, den Umbau hin zur Klimaneutralität voranzutreiben. Reichen die getroffenen Maßnahmen aus Ihrer Sicht aus oder müsste da noch mehr kommen?

Der Green Deal zeigt, dass sich Klimaschutz auch wirtschaftlich auszahlt. Diese Verbindung ist sehr wichtig, weil ja gerne mal versucht wird, Wirtschaft und Klimaschutz gegeneinander auszuspielen. Trotzdem sehe ich unseren Fortschritt bis 2030 in Gefahr. Gerade im Gebäude- und im Verkehrsbereich haben Deutschland und Europa einen großen Nachholbedarf und ich habe Sorge, dass sich die CO2-Reduktion dort deutlich langsamer als nötig vollzieht. Zumal die Erderwärmung vor allem eine soziale Krise ist.

Inwiefern?

Zunächst mal betreffen Klimaveränderungen als erstes diejenigen, die am wenigsten haben: Lebensmittel werden teurer, die günstigere Dachwohnung im Sommer heißer Wir müssen aufpassen, dass der Einsatz für eine enkeltaugliche Zukunft nicht vor allem die teuer zu stehen kommt, die wenig haben. Natürlich kann man den Preis für CO2 drastisch erhöhen. Dann werden manche Dinge wie Auto fahren oder Fliegen aber ein Luxus, den sich nur noch sehr wenige leisten können. Das wird die Akzeptanz für den Klimaschutz nicht erhöhen. Klar ist: Alles, was wir jetzt nicht tun, fällt uns und unserer Gesundheit bald zehnfach auf die Füße.

Julius
Neumann

Kein Automobilhersteller in Europa hat ein Interesse daran, weiter in Verbrennungsmotoren zu investieren.

Bei der Europawahl befürchten viele einen weiteren Rechtsruck. Was würde der für den Klimaschutz bedeuten?

Ein Rechtsruck wäre fatal für die Europäische Union, nicht nur beim Klimaschutz. Hier würden aber vermutlich konkrete Maßnahmen der vergangenen Jahre deutlich zurückgedreht. Die Kampagne der CDU gegen das angebliche Verbrenner-Verbot gibt da ja gerade einen Vorgeschmack. Wobei ich mir hier konkret keine Sorgen mache, denn die Elektroautos werden sich ohnehin durchsetzen, weil die Preise für fossile Energie absehbar stark steigen werden. Kein Automobilhersteller in Europa hat deshalb ein Interesse daran, weiter in Verbrennungsmotoren zu investieren. Kritischer wäre sicher der Umgang mit Subventionen etwa in der Landwirtschaft. Hier müsste die EU bei der Vergabe von Geldern viel stärker auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit achten. Das halte ich bei einer rechten Mehrheit für sehr herausfordernd.

Was kann der Klimastreik eine gute Woche vor der Europawahl noch bewirken?

Sehr viel! Es geht darum, für Aufmerksamkeit zu sorgen und zu sensibilisieren. Durch die Absenkung des Wahlalters auf 16 dürfen bei dieser Europawahl so viele junge Menschen wählen wie noch nie. Bei ihnen kann der Klimastreik nochmal das Bewusstsein schärfen, dass diese Wahl für die kommenden Jahre entscheidend und ihre Stimme wichtig ist.

Julius Neumann ist Wirtschaftsingenieur und Klima-Moderator. Bei „SPD.Klima.Gerecht“ setzt er sich „für ein enkeltaugliches Morgen“. Bei der Kommunalwahl in Halle (Saale) am 9. Juni kandidiert er für ein Mandat im Stadtrat.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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2 Kommentare

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Do., 06.06.2024 - 12:59

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Es ist gut und nur zu begrüßen, dass Julius Neumann weiterhin die Fahne des Klimaschutzes/Umweltschutzes/Naturschutzes prinzipiell hoch hält. Denn Klimaschutz/Umweltschutz/Naturschutz sind absolut unverzichtbar. Diese sind
existenziell höchst wichtig!
NUR: Der europäische und somit auch der deutsche Green Deal in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung ist sehr, sehr weitgehend "marktkonform'', d.h. den kapitalistischen, neoliberalen Spielregeln unterworfen. Klimaschutz/Umweltschutz/Naturschutz findet sehr weitgehend nur dann statt, wenn er sich "rechnet"/rentabel/profitabel für die Kapitalseite/die Wirtschaft ist. Die Kapitalseite/die Wirtschaft gibt dem Staat, der Regierung mit radikalem Lobbyismus vor, was IHR bei der Bearbeitung von Klimaschutz etc. nützt. Aber wenn Klimaschutz etc. rational und gemeinwohlgerecht und daseinsfürsorgeorientiert bearbeitet werden soll, muss auch eine Vielzahl von Maßnahmen durchgeführt werden, die sich nicht "rechnen", aber absolut notwendig sind. Das muss der Staat dann finanzieren. Das geht am besten durch ein effektives, vor allem zwingend solidarisches und gerechtes Steuererhebungssystem. "Starke Schultern" tragen mehr, schwache weniger." Aber dann kommen wieder die Bedenkenträger aus allen Lagern: Kapital ist ein scheues Reh ...
Und dann ???!!!