Sozen-Wirtschaft

Industriestrompreis? Das Instrument für günstigen Strom gibt es schon

Gustav Horn15. Mai 2023
Begehrtes Gut: In der Transformation wird Strom immer wichtiger. Die Instrumente, den Strompreis zu begrenzen, sind bereits da, sagt der Ökonom Gustav Horn.
Begehrtes Gut: In der Transformation wird Strom immer wichtiger. Die Instrumente, den Strompreis zu begrenzen, sind bereits da, sagt der Ökonom Gustav Horn.
Auf dem Weg zur CO2-Neutralität spielt Strom eine wichtige Rolle. Unternehmen fordern deshalb einen subventionierten „Industriestrompreis“. Der Ökonom Gustav Horn bevorzugt ein anderes Instrument.

Der Druck ist hoch. Die Industrie in Deutschland droht mit Abwanderung, wenn die Energiepreise  in Deutschland, die im internationalen Vergleich insbesondere zu den USA sehr belastend sind, nicht sinken. Tatsächlich ist Deutschland im Vergleich zu Volkswirtschaften, die selbst Energieproduzenten sind wie eben die USA, in besonderem Maße von der Abkehr von Russland als günstigem Energielieferanten betroffen. Jeder erinnert sich an den explosionsartigen Anstieg der Strom- und Gaspreise am Beginn und während der ersten Phase des Krieges in der Ukraine.  Die Sorgen der Industrie sind also verständlich.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, wenn nun die Einführung eines „Industriestroms“ geplant wird, der zu Lasten der Steuerzahler den Strompreis für die Industrie auf ein Wettbewerbs freundlicheres Niveau herunter subventioniert (Konzept hier). Schon vorher hatte die SPD eine ähnliche Forderung erhoben (hier und hier).  Bevor man aber zur Tat schreitet, sollte man das Problem in einem weiteren Kontext sehen, um letztlich das Richtige zu machen.

Massive Investitionen in Erneuerbare Energien

Wir stehen mitten in einem doppelten Umbruch. Die Wirtschaft ist auf dem Weg in ein post fossiles, digitales Zeitalter, und das Welthandelssystem wandelt sich von dem Versuch multilateraler ökonomischer Kooperation in einen Zustand geopolitischer Konfrontation. Beides senkt allseitig zumindest kurzfristig Lebensstandard und erzwingt die Notwendigkeit massiver Investitionen insbesondere in Erneuerbare Energien und neue Technologien, um unter den veränderten Rahmenbedingungen wirtschaftliche Dynamik mit wieder wachsendem Lebensstandard zu erzeugen. Zudem ist dieser Weg unsicher, er kann jederzeit von Preisschüben begleitet sein, die die Kaufkraft der Haushalte und die Rentabilität der Unternehmen überfordern.   

Vor diesem Hintergrund muss alles getan werden, um privaten Haushalten wie Unternehmen diesen Umstieg mit möglichst geringen Kosten und möglichst hohem Nutzen zu ermöglichen. Ziel ist zum einen, die Kaufkraft der Haushalte stabil zu halten, damit sie den Umstieg finanziell bewältigen können. Zum zweiten sollten die Unternehmen wettbewerbsfähig produzieren können, um sie und damit Beschäftigung während des Umbruchs am Standort halten zu können. Ihr Wegzug wäre aus klimapolitischer Sicht ohnehin wirkungslos. Es ist schließlich egal, an welchem Ort Emissionen entstehen. Gleichzeitig würde ein Weggang dem Standort nicht nur Kaufkraft entziehen, sondern die Möglichkeit nehmen, die Fertigkeiten zu entwickeln, die für eine post fossile Wirtschaft erforderlich sind. Dies sichert künftigen Wohlstand.

Aus all diesen Gründen bedarf der Umstieg staatlicher Unterstützung. Insbesondere gilt es die Kosten der Energieversorgung auf einem Pfad zu halten, der allseits bewältigbar ist. Dies gilt für alle Bereiche.

Die richtigen Instrumente gibt es schon

Eigentlich sind die Instrumente hierzu bereits am Platz. Sie heißen Gas- und Strompreisbremse. Beide sichern sowohl die Haushalte als auch die Unternehmen gegen starke Preissprünge nach oben ab, indem sie 80 Prozent des Verbrauchs zu einer für tragfähig gehaltenen Obergrenze absichern. Dies schafft einerseits Sicherheit und erhält andererseits wegen der nicht abgesicherten 20 Prozent  den Anreiz zu sparen. Finanziert werden die Preisbremsen aus Steuermitteln und beim Strom teilweise durch eine Zufallsgewinnabgabe für jene Stromproduzenten, die  wie  bei den Anbietern deutlich preiswerter zu produzierenden Erneuerbaren Energien erhebliche Gewinne erzielen.  

Diese Instrumente können als Ausgangsbasis dienen, um die Energiekosten während des Umbruchs für alle weiterhin zu begrenzen. Man müsste die Gültigkeit der Preisbremsen einfach nur verlängern. Im Zuge eines solchen Schritts können die Obergrenzen so angepasst werden, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sichern und die Kaufkraft der Haushalte stabilisieren.

Damit würde eine Art gesamtwirtschaftlicher Versicherung gegen Energiepreisschocks geschaffen. Übersteigen die Preise die Obergrenze, wird ist sie wirksam. Liegen sie darunter, wie teilweise aktuell, passiert nichts und sie kosten auch kein Geld. Im Laufe der Zeit sollte sie mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien sogar schlicht überflüssig werden.  

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Kommentare

Industriestrompreis?

Dem Vorschlag von Gustav Horn sollte gefolgt werden. Habeck sollte sich im Klaren sein, warum seine Partei in Bremen Stimmenverluste hinnehmen musste.
Vielleicht ist er - im Gegensatz zu Lindner- klug genug, hinzu zu lernen.

„Abkehr von Russland“_1

Ökonom Gustav Horn bringt es auf den Punkt: „Die Abkehr von Russland als günstigem Energielieferanten“ hat zu einem „explosionsartigen Anstieg der Strom- und Gaspreise“, die sich auf fast alle anderen Güter preissteigernd ausgewirkt haben, geführt und „senkt allseitig zumindest kurzfristig (unseren) Lebensstandard“. Was in der nüchterne Sprache des Makroökonomen nicht sehr bedrohlich wirkt, bedeutet für knapp 17,3 Millionen Menschen (21,0 % der Bevölkerung), die 2021 schon von Armut bedroht waren, eine dramatische Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Die Gas- und Strompreisbremse ändert daran nicht viel. (Von den wirtschaftlichen Kollateralschäden im Globalen Süden gar nicht zu reden.)

Auch unsere Industrie ächzt unter den Energiepreisen, sodass deren teilweise „Abwanderung droht“, manche fürchten gar eine Deindustrialisierung. Wenn wir nicht durch Subventionen „zu Lasten der Steuerzahler“ gegenhalten, verlieren wir viele Arbeitsplätze. Ein Teufelskreis droht, in dem unsere „Abkehr von Russland als günstigem Energielieferanten“, sich wechselseitig antreibend, „die Kaufkraft der Haushalte und die Rentabilität der Unternehmen überfordert“.

„Abkehr von Russland“_2

Und als wäre das noch nicht genug, begeben wir uns (siehe auch KIP) „in einen Zustand geopolitischer Konfrontation“, der dem „Versuch multilateraler ökonomischer Kooperation“ im Wege steht. Gleichzeitig – und das ist wirklich alternativlos – müssen wir uns schnell „in ein post fossiles, digitales Zeitalter“ transformieren, das erst mittel- bis langfristig zu günstigen Energiepreisen führen wird.

Die bedrohliche Lage, in der wir uns befinden, ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Warum konnten wir sie nicht verhindern? Vielleicht, weil „nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung Deutschland (erst) heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem“ gefunden hat, wir nicht „in Szenarien denken“ können oder bisher „militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“ uns nicht möglich war (Klingbeil, 21.6.22)?
Vielleicht hat „die SPD-Linke“, die sich am 11.5. mit Folgerungen aus der neuen „Steuerschätzung“ zurückmeldete, dazu gute Antworten?

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