Experten: Warum die aktuelle Politik das Klimaziel 2030 verfehlen würde
Wo steht Deutschland in Sachen Klimapolitik? Der von der Regierung beauftragte Expertenrat hat das in seinem neuen Gutachten untersucht – und weist auf grobe Fehler hin.
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Die deutsche Klimapolitik verfehlt wahrscheinlich das Klimaziel 2030.
Es sind keine guten Zeiten für Klimaschutz. Mit dem Erstarken der AfD dreht der politische Wind in eine Richtung, in der Klimapolitik in den kommenden Jahren aus dem Blickfeld geraten könnte. Umso wichtiger, dass der Expertenrat für Klimaschutz am Mittwoch sein zweijährliches Gutachten vorgestellt hat: Es enthält positive Nachrichten, aber auch viel Kritik.
Die gute Nachricht vorweg: Bei den erneuerbaren Energien ist Deutschland grundsätzlich gut vorangekommen. Die Jahresziele an CO2-Einsparungen für die Jahre 2021 bis 2023 werden – im Gegensatz zum Zeitraum davor – voraussichtlich erreicht, rechnete der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning, der Hauptstadt-Presse vor. Laut Henning sind die Emissionen in den vergangenen Jahren um 11,7 Prozent gesunken. In der Industrie und in der Energiewirtschaft seien die Einsparungen „erheblich“, wobei in der Industrie auch die wirtschaftliche Flaute dafür verantwortlich sein könnte, räumte der Vorsitzende ein.
Es müsste 1,5 Mal so schnell gespart werden
Aber: Auch wenn zuletzt deutlich schneller CO2 gespart wurde als vorher, wird Deutschland Henning zufolge die Klimaziele für 2030 nicht erreichen – die Emissionen werden also nicht auf 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zurückfallen. Um das zu ermöglichen, müsste jährlich rund 1,5 Mal so schnell gespart werden wie jetzt. Dabei hakt es insbesondere im Bereich Gebäude und Verkehr. Es würden nach wie vor zu wenige Wärmepumpen eingebaut, und E-Autos setzten sich nicht so gut durch wie erhofft. Im Verkehrssektor habe es sogar mehr Emissionen gegeben als vorher.
Der Vorsitzende des Expertenrats forderte deswegen eine politische Gesamtstrategie, die die Sektoren miteinander koordiniert. Dazu könnte die Regierung das Klimakabinett neu auflegen. Das Gremium stammt noch aus der Regierungszeit von Angela Merkel (CDU), seine Vorschläge stießen mehrfach auf Kritik von NGOs und Wissenschaftler*innen. So oder so: Eine neue Bundesregierung muss sich anstrengen, denn die Klimaziele für 2030 sind europarechtlich verbindlich – Deutschland drohen hohe Strafen aus Brüssel, werden sie nicht erreicht. Verfehlt Deutschland auch die Einsparungsziele im Bereich Verkehr und Gebäude, muss es CO2-Verschmutzungsrechte von anderen Staaten kaufen.
Union will Heizungsgesetz zurückdrehen
Eine neue Bundesregierung ist durch das Klimaschutzgesetz ohnehin dazu verpflichtet, im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode ein neues Klimaschutzprogramm vorzulegen. Die Union hat dagegen angekündigt, das von der Ampel-Regierung eingeführte Heizungsgesetz wieder abzuwickeln, sollte sie die Regierungsverantwortung übernehmen. Henning sagte dazu, „das jetzt leichtfertig zurückzudrehen, weil es letztlich ein Gesetzespaket ist, was in der Summe durchaus stimmig ist", sei gefährlich.
Die Gutachter*innen kritisierten zudem, dass die Klimapolitik in Deutschland die soziale Ungleichheit verstärke. Von den bisherigen Förderungen hätten bislang eher reichere Menschen profitiert. Brigitte Knopf, Vorsitzende des Sachverständigenrates, sagte: „Das ist zum Beispiel der Fall beim Umweltbonus für Elektroautos, oder auch bei der Gebäudeförderung, was vor allem für obere Einkommen dann profitabel war.“
Mehr Anreize schaffen
Knopf befürchtet einen sogenannten Fossil-Log-In: Ärmere Personen könnten sich den Ausstieg aus fossilen Energien nicht leisten, auch weil die steigenden CO2-Preise die Heizkosten und die Kosten für Mobilität in die Höhe treiben. Das könnte zu sozialen Spannungen führen – und zu mehr Ablehnung von klimafreundlicher Politik. Die Expert*innen fordern deswegen Förderungen, die sich an den sozialen Schichten orientieren oder ärmere Menschen finanziell ausgleichen.
Anlässlich der Veröffentlichung des Gutachtens sieht Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, die Bedeutung von „investitionssichernden Anreizen im Umstieg auf Erneuerbare Energien“ bestätigt. Der Fokus solle weiterhin auf Anreizen für den Umstieg auf bezahlbare erneuerbare Energien liegen, sagte Scheer am Mittwoch. Sie forderte außerdem Entlastungen bei den Netzentgelten, von denen nicht nur heutige Nutzer*innen, sondern auch die nachfolgenden Generationen profitieren würden.