Inland

Bund plant Pflegereform: „Die SPD schließt Leistungskürzungen aus“

Die schwarz-rote Bundesregierung bereitet eine große Pflegereform vor. Der SPD-Gesundheitsexperte Christos Pantazis erklärt, wie Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entlastet werden sollen und worauf es aus Sicht der Sozialdemokratie ankommt. 

von Nils Michaelis · 17. Juni 2025
Eine Pflegekraft versorgt einen Heimbewohner

Die Zahl der Pflegebedürftigten in Deutschland hat sich seit dem Jahr 2014 auf gut 5,6 Millionen verdoppelt.

Eine umfassende Pflegereform haben schon viele Bundesregierungen angekündigt, das Ergebnis blieb bislang überschaubar. Doch der Bedarf für einen großen Wurf wächst: Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland hat sich laut dem Medizinischen Dienst Bund seit dem Jahr 2014 auf gut 5,6 Millionen verdoppelt. Derweil wächst das Loch im beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssystem. Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagfraktion, hält die Rettung des Systems für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Christos Pantazis: SPD will Sicherheit im Wandel 

Sie haben eine sozialdemokratische Handschrift für die Gesundheitspolitik gefordert. Was heißt das mit Blick auf die Pflegereform?

Eine sozialdemokratische Gesundheitspolitik bedeutet: Sicherheit im Wandel zu schaffen. Gerade in der Pflege müssen sich die Menschen darauf verlassen können, dass Beiträge bezahlbar bleiben – auch unter schwierigen Rahmenbedingungen. 

Leistungskürzungen schließen wir aus. Angehörige und pflegende Familienmitglieder geraten zunehmend in finanzielle Notlagen. Gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegebedürftigen stetig an. Das zeigt: Wir brauchen eine umfassende Reform – nicht nur punktuelle Korrekturen. Die Pflege ist eine der zentralen sozialen Zukunftsfragen. Wenn wir am Umlage- und Vollkostensystem festhalten, braucht es mehr Solidarität – innerhalb der Versichertengemeinschaft und darüber hinaus.

Im SPD-Programm für die Bundestagswahl wurde gefordert, die Eigenanteile bei den Pflegekosten bei 1.000 Euro monatlich zu deckeln. Das entspricht in etwa Forderungen aus der Sozialwirtschaft nach einem Sockel-Spitze-Tausch. Wird die SPD daran festhalten?

Ja, wir halten an dem Ziel fest, die Eigenanteile bei den Pflegekosten deutlich zu begrenzen. Die Deckelung auf 1.000 Euro im Monat ist ein wichtiges Signal für mehr Planungssicherheit und Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Der sogenannte Sockel-Spitze-Tausch ist dabei ein denkbares Modell: Der Eigenanteil wird gedeckelt, alle darüber hinaus gehenden Kosten übernimmt die Pflegeversicherung. Ein solcher Systemwechsel muss allerdings solide gegenfinanziert sein.

Arzt und Politiker

Seit Ende Mai 2025 ist der Braunschweiger Abgeordnete Christos Pantazis gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Bis 2013 arbeitete er als Arzt in der Neurochirurgischen Klinik.

Christos Pantazis im Bundestag

Schaut man auf die wachsenden Eigenanteile bei der stationären Pflege und die Situation in vielen Pflegeheimen, könnte man meinen, dass sich gute Pflege bald nur noch Besserverdienende und Reiche leisten können. Was tut die SPD, um das zu verhindern?

Die Pflege darf kein Luxusgut werden – und schon gar nicht vom Geldbeutel abhängen. Für uns als SPD ist klar: Jeder Mensch muss Zugang zu guter und menschenwürdiger Pflege haben, unabhängig vom Einkommen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Pflegeversicherung finanziell auf ein breiteres Fundament zu stellen. Dazu gehört auch, die Eigenanteile spürbar zu begrenzen – und diese Begrenzung verlässlich zu refinanzieren. 

Wie genau die Neuausrichtung aussehen kann, werden wir in der Koalition gemeinsam beraten. Klar ist: Es braucht mehr Solidarität bei der Finanzierung – und dafür muss die Einnahmeseite gestärkt werden. Auch bei CDU und CSU wächst zunehmend das Bewusstsein, dass wir hier handeln müssen. Denn, wenn Pflege unbezahlbar wird, ist nicht nur der soziale Zusammenhalt, sondern auch die Akzeptanz unseres Pflegesystems in Gefahr. 

Für solidarische Pflegeversicherung fehlt Mehrheit

Stichwort Einnahmeseite: Warum fordert die SPD nicht die Auflösung der privaten Pflegeversicherung, um so mehr Geld in die Kasse der sozialen Pflegeversicherung zu spülen?

Die Einführung einer solidarischen Pflegeversicherung, in die alle einzahlen, wäre eine konsequent sozialdemokratische Lösung. Allerdings fehlt für diese grundlegenden Strukturreformen aktuell die parlamentarische Mehrheit. Deshalb arbeiten wir an pragmatischen Schritten, mit denen wir bereits heute Entlastung schaffen können. Dazu gehört, über die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze zu sprechen oder gezielte Dämpfungsmaßnahmen bei den Eigenanteilen weiter auszubauen. Diese Schritte tragen bereits eine klare sozialdemokratische Handschrift, denn sie entlasten die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen spürbar.

Christos Pantazis

Die Pflege darf kein Luxusgut für Reiche und Besserverdienende werden.

Wie viele Milliarden fehlen in der sozialen Pflegeversicherung?

Für das laufende Jahr wird ein Minus von 1,65 Milliarden Euro erwartet, dass sich 2026 auf 3,5 Milliarden Euro erhöhen könnte. Mit der jüngsten Finanzspritze von 800 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt haben wir das System nur kurzfristig stabilisiert. Allerdings sehe ich beim neuen Bundesfinanzminister Lars Klingbeil ein großes Problembewusstsein. Alles Weitere werden die anstehenden Haushaltsberatungen ergeben. 

Wir dürfen nicht vergessen: Gesundheitspolitik bietet erhebliches Verhetzungspotential – und genau das nutzen Populisten gezielt aus, wenn wir keine überzeugenden Antworten liefern. Wir müssen handeln, bevor andere das Thema missbrauchen. 

Wo könnten Kosten gespart werden, ohne dass die Qualität der Pflege darunter leidet?

Kosten können dort eingespart werden, wo Strukturen effizienter gestaltet werden – ohne dass die Qualität leidet. Ein zentrales Beispiel ist die Entbürokratisierung: Pflegekräfte müssen von überflüssiger Dokumentation entlastet werden, damit mehr Zeit für die direkte Versorgung bleibt. 

Christos Pantazis: So gelingt nachhaltige Pflege  

Auch der gezielte Einsatz digitaler Technologien sowie eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten, inklusive innovativer Wohn- und Versorgungsformen, können Kosten senken und gleichzeitig die Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen stärken. Eine intelligente Personalplanung, faire Arbeitsbedingungen und gezielte Prävention können Pflegebedarfe reduzieren und die Versorgung nachhaltiger machen

Wie sollte sich Deutschland auf den weiteren Anstieg der Pflegebedürftigen vorbereiten?

Ich habe große Erwartungen an die Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Pflegereform. Mit ihren Eckpunkten wird sie der Politik bis Ende des Jahres eine Orientierung geben, die wir im Anschluss mit unserem Koalitionspartner intensiv auswerten werden. Wir werden darauf achten, dass es zu keiner Schlechterstellung der Versicherten kommt. Uns ist dabei wichtig, das System zu stabilisieren und zukunftsfest aufzustellen. Dabei darf es keine Denkverbote geben.

Weitere interessante Rubriken entdecken

Noch keine Kommentare
Schreibe einen Kommentar

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.