Anklage gegen Ex-Minister: Hat Scheuer gelogen?
Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer droht ein Gerichtsverfahren. Denn die Staatsanwaltschaft Berlin ist überzeugt, dass der CSU-Politiker im Bundestag über „innere Tatsachen“ falsch ausgesagt hat.
Die Anklageschrift ist 171 Seiten lang und das Ergebnis umfassender Ermittlungen. Deshalb hat das bisherige Ermittlungsverfahren auch mehr als drei Jahre gedauert.
Was die Staatsanwaltschaft Scheuer vorwirft
Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor, er habe am 1. Oktober 2020 im Maut-Untersuchungs-Ausschuss des Bundestag falsch ausgesagt. Konkret geht es nur um einen Satz: „Ein Angebot zur Verschiebung des Vertragsschlusses bis zu einer Entscheidung des EuGH durch die Betreiber hat es nach meiner Erinnerung nicht gegeben.“
Der Untersuchungsausschuss sollte auf Antrag der damaligen Oppositionsfraktionen FDP, Linke und Grüne klären, ob Minister Scheuer bei der geplanten Einführung einer PKW-Maut Fehler machte. Das Projekt wurde im Juni 2019 auf Klage Österreichs vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestoppt, weil es einseitig Ausländer belastet hätte.
„Ausländer-Maut“ trotz rechtlicher Risiken
Dass es rechtliche Risiken gab, war bekannt. Doch Scheuer wollte die „Ausländer-Maut“, ein CSU-Wahlkampfversprechen, noch 2020 einführen, rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl in Bayern. Er drängte deshalb auf einen Vertragsabschluss noch vor der EuGH-Entscheidung. Die Opposition unterstellte ihm, dass er die rechtlichen und finanziellen Risiken aus parteipolitischen Gründen bewusst in Kauf nahm. Am Ende musste die Bundesrepublik den potentiellen Betreibern des Maut-Systems 243 Millionen Euro Entschädigung zahlen.
In diesem Zusammenhang war es von großem öffentlichen Interesse, dass die Betreiber am 29. November 2018 in einer informellen Sitzung mit Scheuer anboten, mit dem Vertragsschluss bis zum EuGH-Urteil zu warten. Der Spiegel hatte das im Februar 2019 aufgedeckt und Scheuer damit in große Erklärungsnot gebracht.
Hat Scheuer den Bundestag belogen?
Bei einer Befragung im Bundestag im September 2019 bestritt Scheuer noch rundweg, dass es ein solches Angebot der Betreiber gab. Im Untersuchungsausschuss äußerte sich Scheuer ein Jahr später schon vorsichtiger und fügte die wichtigen Worte „nach meiner Erinnerung“ ein.
Die Staatsanwalt geht nun davon aus, dass Scheuer über seine Erinnerung falsch ausgesagt hat; dass er sich also durchaus an das Angebot und seine Ablehnung erinnerte. Es handele sich, so die Staatsanwaltschaft, also um eine falsche Ausage über eine „innere Tatsache“.
Indizien für Scheuers Falschaussage
Die Anklage, die bisher noch geheim ist, muss wohl in zwei Schritten argumentieren. Zum einen muss sie beweisen, dass es das Angebot gab, was schon anspruchsvoll ist, da solche Gespräche nicht protokolliert wurden. Doch die Beteiligten von Betreiberseite haben hinterher mehreren Mitarbeitern und Geschäftspartnern von ihrem Angebot und Scheuers Ablehnung erzählt.
Im zweiten Schritt ging es dann wohl um Scheuers Erinnerung zum Zeitpunkt seiner Aussage im Untersuchungsausschuss. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte auf Nachfrage, dass „das Gesamtbild der Indizien und eine entsprechende Glaubwürdigkeitsbeurteilung“ für eine Falschaussage Scheuers spreche.
Bis zu fünf Jahre Haft drohen Scheuer
Über die Zulassung der Anklage muss nun das Landgericht Berlin I entscheiden. Falls die Anklage zugelassen wird, werden alle Zeugen in öffentlicher Verhandlung befragt und die Beweise erörtert. Der Umfang der Anklageschrift deutet darauf hin, dass es kein kurzes Verfahren würde.
Falschaussagen vor einem Untersuchungsausschuss können genauso bestraft werden, wie Falschaussagen vor Gericht. Scheuer droht deshalb eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren – die bei einem Ersttäter wie ihm aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde.
Warum Scheuers Vorwurf abwegig ist
Der Vorwurf von Scheuer, es handele sich um ein „politisch motiviertes“ Verfahren, ist abwegig. Zwar ist eine Staatsanwaltschaft nicht so unabhängig wie ein Gericht. Die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg gehört jedoch der CDU an und hat sicher kein Interesse, einem CSU-Politiker mit unsinnigen Anklagen bewusst zu schaden.
Die Erinnerungslücken eines Politikers spielten auch in einem anderen Verfahren jüngst eine Rolle. Der spätere Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im April 2021 vor einem Hamburger Untersuchungsausschuss zu kriminellen Cum-Ex-Steuermanipulationen aus, dass er sich nicht an ein Treffen mit dem einschlägig aktiven Bankier Christian Olearius erinnern könne. Dabei hatte Scholz ein Jahr zuvor in der Hamburger Bürgerschaft durchaus über Inhalte des Treffens gesprochen.
Der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate zeigte Scholz daraufhin wegen Falschaussage an. Doch die Hamburger Staatsanwaltschaft sah keinen Anfangsverdacht und nahm keine Ermittlungen gegen Scholz auf. Die Erinnerungen in Scholz erster Aussage seien vage und mehrdeutig gewesen. Und es könne nich ausgeschlossen werden, dass sich die Erinnerungslücken bis zur Aussage im Untersuchungsausschuss verfestigten. Mit einem ähnlichen Ausgang hatten die meisten Beobachter auch im Fall von Andreas Scheuer gerechnet.