Inland

Kann Andreas Scheuer für das Maut-Desaster haftbar gemacht werden?

Verkehrsminister Volker Wissing lässt prüfen, ob die Bundesregierung von seinem Amtsvorgänger Andreas Scheuer 243 Millionen Euro verlangen kann – als Schadenersatz für das von ihm verursachte Maut-Desaster. Die Erfolgsaussichten sind jedoch gering.
von Christian Rath · 2. August 2023
Verhandelte als Bundesverkehrsminister die Maut-Verträge: Andreas Scheuer (CSU)
Verhandelte als Bundesverkehrsminister die Maut-Verträge: Andreas Scheuer (CSU)

Dass Deutsche im Ausland PKW-Maut zahlen müssen, während Ausländer*innewn in Deutschland kostenlos fahren, regt viele Autofahrer*innen auf. Die CSU forderte deshalb eine Ausländer-Maut. 2015 beschloss die große Koalition eine abgewandelte Fassung. Die PKW-Maut wird für alle Autofahrer*innen eingeführt, aber nur in Deutschland gemeldete Autofahrer*innen bekommen eine finanzielle Kompensation. Die PKW-Maut war also von Beginn an ein CSU-Projekt. Doch damals war noch Alexander Dobrindt (CSU) Verkehrsminister und nicht sein Nachfolger Andreas Scheuer.

Scheuers verhängnisvoller Fehler

Scheuers entscheidender Fehler als Verkehrsminister erfolgte Ende 2018, als er einen Vertrag mit dem ausgewählten Betreiberkonsortium aus den Firmen CTS Eventim und Kapsch schloss, bevor der Europäische Gerichtshof (EuGH) über eine Klage Österreichs gegen das Mautgesetz entschied. Tatsächlich erklärte der EuGH im Juni 2019 das deutsche Gesetz dann für rechtswidrig, weil es Bürger*innen aus anderen EU-Staaten diskriminiere.

Scheuer kündigte nun sofort die Verträge mit den Maut-Betreibern, angeblich hätten diese schlecht gearbeitet. Dieser Trick nützte aber nur Scheuer, weil er nicht sofort zurücktreten musste, sondern auf den anstehenden Prozess vor einem privaten Schiedsgericht verweisen konnte. Denn das Konsortium akzeptierte die Kündigung natürlich nicht und verklagte Deutschland auf 560 Millionen Euro Schadenersatz. 2022 kam das Schiedsgericht zum Zwischenergebnis, dass Scheuers Vertragskündigung rechtswidrig war. 2023 einigte man sich vor dem Schiedsgericht auf einen reduzierten Schadenersatz von immer noch 243 Millionen Euro, die Deutschland an CTS Eventim und Kapsch zahlen muss.

Gibt es eine Rechtsgrundlage für  Regress?

Verkehrsminister Volker Wissing will nun von der Berliner Kanzlei Müller-Wrede ergebnisoffen wissen, ob der Bund die 243 Millionen Euro von Ex-Minister Scheuer als Privatperson zurückverlangen kann. Auch wenn das Gutachten dies am Ende verneinen dürfte, hat Wissing die CSU damit öffentlich an den Pranger gestellt und auch gezeigt, dass er nicht vorschnell aufgegeben hat.

Die Kanzlei muss nun erstens prüfen, ob es eine Rechtsgrundlage für eine derartige Forderung gegenüber Scheuer gibt, und zweitens, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Wenn Amtsträger*innen eine*n Bürger*in schädigen, hat diese*r einen Schadensersatz-Anspruch gegenüber dem (leistungsfähigeren) Staat. Das steht in Artikel 34 Grundgesetz. Danach kann sich der Staat das Geld aber von den Amtsträger*innen zurückholen, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig handelten.

Da es um Eingriffe gegenüber den Amtsträger*innen geht, ist für einen solchen Regress ein Gesetz erforderlich. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage besteht aber nur für Regress-Forderungen gegenüber Beamt*innen (Paragraf 75 Bundesbeamtengesetz). Dagegen gibt es im Bundesministergesetz keine Rechtsgrundlage für Regresse gegenüber Minister*innen. Diese sollen in ihrer Entschlussfreudigkeit nicht gehemmt werden.

Handelte Scheuer fahrlässig?

Es gibt zwar in der öffentlichen Debatte Versuche, doch noch eine Rechtsgrundlage zu finden. So argumentierte der Staatsrechtler Joachim Wieland auf spiegel.de, Scheuer habe gegen seine „Vermögensbetreuungspflicht“ verstoßen, die aus seinem Amtsverhältnis folge. Es spricht aber viel dafür, dass das bewusste Schweigen des Ministergesetzes solche Umgehungskonstruktionen sperrt.

Hier könnte das Gutachten schon zu Ende sein: Ohne Rechtsgrundlage ist auch kein Regress bei Andi Scheuer möglich. Aber vermutlich wird die Kanzlei den Auftrag umfassend bearbeiten und auch prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt wären, falls doch noch eine Rechtsgrundlage konstruiert wird. Es läge sehr nahe, dass eine Haftung Scheuers dann jedenfalls – wie bei Beamten – auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt wäre.

Scheuer beeinflusste den drohenden Schaden mit

Dass Scheuer auf einen Erfolg beim EuGH hoffen konnte, ist nicht so abwegig, wie es heute oft dargestellt wird. Zwar gab es immer schon Warnungen, dass die PKW-Maut-Pläne gegen EU-Recht verstoßen. So stellte der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags 2014 fest, die Pläne der Bundesregierung verstießen gegen EU-Recht. Allerdings hat die EU-Kommission 2017 ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingestellt, nachdem die Bundesregierung eine günstige Kurzzeit-Vignette für Ausländer*innen zusagte.

Und im Februar 2019 hielt der unabhängige Generalanwalt am EuGH das deutsche Gesetz ausdrücklich für EU-rechtskonform. Es war also wohl nicht grob fahrlässig, dass Scheuer den Vertrag mit den Mautbetreibern unterzeichnete, bevor der EuGH entschieden hatte.

Fragwürdig war eher, warum Scheuer beim Vertragsschluss nicht auf dem naheliegenden Vorbehalt bestand, dass der Vertrag bei einem negativen EuGH-Urteil rückabgewickelt wird. Außerdem hat Scheuer die Höhe des drohenden Schaden mitbeeinflusst, indem er den Betreibern im Vertrag für die gesamte 12-jährige Laufzeit ihren Gewinn garantierte – eine ungewöhnliche Klausel, wie Sachverständige später feststellten.

Alles nur PR für Volker Wissing?

Wenn sich die beauftragte Kanzlei detailliert mit Scheuers Maut-Vertrag beschäftigt, wird sich also noch viel Dubioses und Halblegales ergeben. Das Minderheitsvotum, das FDP, Grüne und Linke 2021 im Bundestags-Untersuchungsausschuss vorlegten, ist eine wahre Fundgrube hierfür.

Soweit es aber keine Rechtsgrundlage für finanzielle Forderungen gegenüber Andreas Scheuer gibt, ist die Auflistung aller Verfehlungen nur PR für Volker Wissing. Noch ist auch unklar, bis wann die Kanzlei ihr Gutachten fertigstellen muss. Das Ministerium hat keine Frist gesetzt.

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