Soziale Politik

Mehr Chancen: Wie die SPD für eine bessere Bildungspolitik sorgen will

Das Startchancenprogramm und eine strukturelle BAfÖG-Reform sind nur zwei geplante Projekte der Ampel-Regierung, um nach Corona Defizite in der Bildungspolitik aufzuholen. Insgesamt scheinen mehr Geld und eine bessere Ausstattung besonders notwendig.
von Jonas Jordan · 19. Juli 2023
Der Bildungserfolg der Kinder hängt in Deutschland immer mehr von der sozialen Herkunft ab. Das Startchancenprogramm der Bundesregierung soll daran etwas ändern.
Der Bildungserfolg der Kinder hängt in Deutschland immer mehr von der sozialen Herkunft ab. Das Startchancenprogramm der Bundesregierung soll daran etwas ändern.

Vieles liegt beim Thema Bildung in Deutschland im Argen. Das wird klar, wenn man auf Statistiken aus dem nationalen Bildungsbericht des vergangenen Jahres schaut. Demnach ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs in Deutschland von der sozialen Herkunft nach wie vor hoch und verstärkt sich tendenziell weiter. Fast 80 Prozent der Kinder aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status erreichen die Hochschulreife, jedoch nicht einmal jedes dritte Kind aus Familien, denen es gesellschaftlich nicht so gut geht.

Saskia Esken: Große Sorge über wachsende Kluft

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagt im Gespräch mit dem „vorwärts“ dazu: „Für die Sozialdemokratie hat das Bildungssystem die Aufgabe, allen Kindern gleiche Bildungschancen zu bieten. Dazu wäre es notwendig, herkunftsbedingte Nachteile soweit wie möglich auszugleichen. Mit großer Sorge müssen wir aber erkennen, dass die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom Elternhaus – von der Sprache, die dort gesprochen wird, aber vor allem vom Geldbeutel der Eltern und der Kommunen – nicht gemildert werden kann, sondern sogar noch anwächst.“

Das ziehe viele Folgen nach sich: Eltern mit geringen Einkommen hätten kein Geld für Nachhilfeunterricht und weniger Zeit, selbst zu helfen, weil sie trotz Vollzeitarbeit kaum über die Runden kommen. Den Kindern fehlte oft der Zugang zu guten Büchern und Angeboten im Netz. „Unser Bildungssystem basiert leider sehr stark darauf, dass am Nachmittag und am Wochenende Eltern dafür sorgen, dass es rund läuft. Das ist vielen aus verschiedenen Gründen nicht immer möglich“, sagt die SPD-Vorsitzende.

Zentrales Projekt der Ampel

Die Bundesregierung will daher mit dem geplanten Startchancenprogramm Abhilfe schaffen. Es ist das zentrale Bildungsprojekt der Ampel-Koalition. Mit einer Milliarde Euro pro Jahr will der Bund über einen Zeitraum von zehn Jahren 4.000 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Schüler*innen zusätzlich fördern. Die Länder sollen nach der Vorstellung der Bundesregierung noch einmal die gleiche Summe beisteuern. Letztlich könnte mehr als jede zehnte Schule in Deutschland von diesem Programm profitieren.

Auch wenn die Finanzierung zwischen Bund und Ländern noch nicht final beschlossen ist, sind bereits einige Eckpunkte des Programms bekannt. Der Start ist aktuell zum Schuljahr 2024/25 vorgesehen. Gefördert werden soll eine moderne, barrierefreie Einrichtung mit zeitgemäßer Lernumgebung, Stellen für schulische Sozialarbeit und ein Budget, um Unterricht und Lernangebote weiterzuentwickeln. „Das Startchancenprogramm der Ampel ist genau darauf ausgelegt, Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler besonders zu unterstützen“, erklärt Saskia Esken.

60 Prozent für Grundschulen

Laut einem internen Entwurf des Bundesbildungsministeriums soll die Verteilung der Gelder maßgeblich vom Anteil der unter 18-Jährigen abhängen, die nicht Deutsch als Muttersprache sprechen und die als armutsgefährdet gelten. 60 Prozent der geförderten Schulen sollten Grundschulen sein, 20 Prozent der Förderung soll an Berufsschulen gehen. Die Hälfte des Geldes soll in ein Investitionsprogramm für Schulbau fließen, um moderne, klimafreundliche und barrierefreie Schulen zu schaffen. Weitere 300 Millionen Euro pro Jahr sind zunächst für ein sogenanntes Chancenbudget vorgesehen. Damit sollen Schulen individuell entsprechende Maßnahmen nach eigenem Bedarf finanzieren können. Die verbleibenden 200 Millionen Euro pro Jahr sind dafür gedacht, dauerhaft 4.000 zusätzliche Stellen in der Schulsozialarbeit zu finanzieren.

Eine Maßnahme, die wohl auch Wiebke Maibaum begrüßen dürfte. Denn nach Meinung der Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz fehlt es deutschen Schulen an Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler durch Psychologen oder Sozialpädagoginnen. „Wir brauchen Fachpersonal an Schulen mit Blick auf die psychische Gesundheit der Schülerinnen und Schüler“, fordert sie im Gespräch mit dem „vorwärts“. Dass dies notwendig sei, habe die Corona-Pandemie gezeigt. „Es ist aus dem Fokus geraten, dass Schülerinnen und Schüler immer noch Menschen sind, deren Gesundheit im Vordergrund stehen sollte und nicht allein ihre Leistung. Da justiert man aktuell nach und schaut, wie man das wieder auffangen kann, aber der Schaden ist erst einmal da. Denn inzwischen haben wir viele Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensveränderung“, sagt Maibaum. Sie fordert zudem einen stärkeren Fokus auf die notwendige technische Ausstattung der Schüler*innen.

Sondervermögen für Bildung

Diese hat auch Saskia Esken im Blick, wenn sie über ihre Forderung nach einem Sondervermögen für Bildung in Höhe von 100 Milliarden Euro spricht. Allerdings soll dieses, anders als das vom Bundestag beschlossene Sondervermögen zu Verteidigungszwecken in gleicher Höhe, nicht alleine aus Bundesmitteln finanziert werden. „Bund, Länder und Kommunen müssen zusammenwirken, damit Gerechtigkeit möglich wird“, sagt die SPD-Vorsitzende.

Denn gerechte Bildungschancen bilden aus ihrer Sicht die Grundlage für die notwendige Emanzipation junger Menschen. „Wir wollen, dass in unseren Bildungsinstitutionen junge Menschen heranwachsen und entsprechend Unterstützung erfahren, die ihr Leben in die Hand nehmen und Selbstbestimmung erlangen können, ihr Leben entwerfen können, wie sie es gerne möchten, ihren Lebensunterhalt verdienen, aber auch teilhaben können an Gesellschaft und Demokratie.“, sagt sie. Denn Demokratie brauche aktive Demokratinnen und Demokraten, die schon in jungen Jahren politische Bildung erfahren und Selbstwirksamkeit erlangen.

Schnelle BAfÖG-Reform

Nicht unerheblich während der schulischen und universitären Ausbildung ist für viele junge Menschen das BAfÖG. Dieses 1971 von einer sozialliberalen Koalition geschaffene Instrument zu reformieren, hat sich die Ampel ebenfalls zur Aufgabe gemacht. Bereits im Sommer 2022 hat der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP im ersten Schritt eine deutliche Erhöhung des BAfÖG beschlossen. Auch die bis dahin geltenden Freibetragsgrenzen wurden angepasst, damit mehr Menschen BAfÖG erhalten können.

Doch dabei soll es nicht bleiben. So fordert Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: „Als Koalition müssen wir die nächsten Schritte hin zu mehr BAfÖG für mehr Menschen zügig einleiten: Erhöhung und gerade auch regelmäßige Erhöhung von Bedarfssätzen, Freibeträgen und Wohnpauschale, mehr Flexibilität bei der Inanspruchnahme des BAfÖG und einfachere Anträge.“ Auch seine Fraktionskollegin Lina Seitzl sagt im Interview mit dem „vorwärts“: „Wir brauchen einen Mechanismus, um eine regelmäßige Anpassung durchzuführen.“ Die Höhe des künftigen BAfÖG-Satzes solle dabei auch von den Regelungen zur Kindergrundsicherung abhängen, die noch im Herbst eingeführt werden soll, so die Planungen der Ampel-Koalition.

Auch die Juso-Bundesvorsitzende und SPD-Abgeordnete Jessica Rosenthal plädiert im Gespräch mit dem „vorwärts“ dafür, mehr Geld in eine strukturelle BAfÖG-Reform zu investieren, statt „denjenigen Geld in Rachen zu schmeißen, die es wirklich nicht brauchen“. Rosenthal richtet ihre Kritik insbesondere auch an die Adresse von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP): „Denn es kann nicht sein, dass die meisten Studierenden in Deutschland in Armut leben und gleichzeitig andere ihre Privatjets subventioniert bekommen. Mit dem aktuellen Haushaltsentwurf geschieht das aber. Es wäre unverantwortlich hier nicht noch mal nachzubessern.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare