Thüringer SPD-Landtagsabgeordneter Lutz Liebscher: TikTok ist seine Taktik
Als der Bundeskanzler im April seinen TikTok-Kanal startet, trendet Lutz Liebscher dort schon seit Jahren. Der Thüringer ist ein Polit-Star auf der Videoplattform.
Dirk Bleicker
Der SPD-Landtagsabgeordnete Lutz Liebscher (links) mit seinem Mitarbeiter Morten.
Auf den ersten Blick ist Lutz Liebscher kein auffälliger Typ. Grauer Anzug, weißes Hemd, Lederschuhe. Fester Handschlag, fester Blick. Ein „Hinterbänkler aus Thüringen“, wie er selbst sagt, ein Landtagsabgeordneter aus Jena, den bundesweit wohl wenige kennen. Doch der Anschein trügt, denn Liebscher gehört mit mehr als fünf Millionen Likes zu den Top Drei der erfolgreichsten deutschen Politiker auf TikTok, einer Video-Plattform, die laut einer Statista-Studie von 2023 vor allem von der Generation Z genutzt wird. Nur ein AfD-Mann und eine Linken-Politikerin haben aktuell mehr Likes.
Ein Video zeigt Liebscher auf TikTok rappend in einem Bahnhofstunnel. Ein anderes mit einem Brokkoli in der Hand im Gewächshaus, wo er die Cannabis-Legalisierung erklärt. Ein weiterer Clip hatte mehr als drei Millionen Klicks. „Ich piss‘ auf das Mic und die Mucke klingt fetter“, spricht Liebscher den Songtext von Rapper SSIO nach. Dazu steht geschrieben: „Wer glaubt, dass die AfD irgendwelche Probleme löst, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“ Der Song heißt „0,9“. Liebscher will damit sagen: Mehr Prozent Stimmen soll die AfD nicht holen.
Barrieren durchbrechen
An einem warmen Tag im Juli sitzt der 39-Jährige in seinem Büro in Jena und erklärt, wie er zu TikTok fand. 2019 wird das Mitglied im SPD-Landesvorstand Abgeordneter im Thüringer Landtag. Liebscher überlegt sich, dass er keine „08/15-Politik“ machen will. „Die Frage war: Wie kann ich Menschen erreichen, die sonst an meinem Wahlstand vorbeigehen?“, berichtet er. „Morten hat damals gesagt, TikTok hat Potenzial. Also haben wir das einfach mal gemacht.“
Morten, das ist Liebschers studentischer Mitarbeiter. Wenn der 25-Jährige über Social Media spricht, lässt er Fachbegriffe fallen und zählt Rankings auf. „Das ist Nerdwissen“, gibt er zu, weist aber weit von sich, er sei Experte. Privat nutzt Morten Social Media nicht. Beruflich hat er aber offenbar den richtigen Riecher. 2020 hatte keine App so viele Downloads wie TikTok, sagt Morten, aber kaum ein deutscher Politiker hatte ein Profil. „Wir haben nicht verstanden, warum.“
Lutz
Liebscher,
SPD-TikToker
„TikTok durchbricht Barrieren.“
Denn TikTok bietet mehr Möglichkeiten als andere Plattformen. Den Nutzern der App werden auch Beiträge von Accounts angezeigt, denen sie noch gar nicht folgen. Der Algorithmus von Instagram oder Facebook konzentriert sich eher auf die eigene Bubble. „TikTok durchbricht Barrieren“, sagt Liebscher. Bei rund 21 Millionen aktiven Nutzerinnen und Nutzern in Deutschland keine schlechte Sache.
Auf Trends aufspringen
Und so schreiten der Abgeordnete und sein Mitarbeiter zur Tat. Am Anfang hätte keiner gewusst, wie die App funktioniert, sagt Liebscher. Also drehen sie zunächst nach üblichem Schema: Kamera an, Politik erklären. Morten filmt, Liebscher redet. Aber Follower und Likes halten sich in Grenzen. Doch das „kongeniale Duo“, wie Liebscher es nennt, findet Spaß am Wettstreit um die Klicks.
Bei TikTok drehe sich viel um Trends, erklärt Liebscher. „Wir schauen immer, ob wir eine Chance haben, unsere politische Botschaft mit einem Trend zu verbinden.“ Bei einem Video gegen Diskriminierung von Schwulen und Lesben sieht man ihn mit Kapuze, er lästert, dass einer „auf Typen“ stehe. Dann folgt ein Schnitt – und der Abgeordnete trällert synchron mit den Ärzten: „Manche Männer lieben Männer, manche Frauen lieben Frauen. Da gibt’s nix zu bedauern und nix zu staunen.“ Der Trend macht zu dem Zeitpunkt auf TikTok die Runde – und Liebscher springt mit auf den Zug. Der 13-Sekunden-Clip wurde mehr als eine Millionen Mal geklickt.
@lutz.liebscher 🥰 Lieb doch wen du willst 🏳️🌈 #gay #queer #queertok #love #lgbt #lgbt🌈 ♬ Originalton - CENKGO
Liebscher wäre nicht der erste Politiker, der bei dem Versuch, „cool“ zu wirken, scheitert. Hat er Angst davor? Der Sozialdemokrat bleibt gelassen. Es sei eben wichtig, authentisch zu bleiben. Hauptsache Spaß – und nicht auf Knopfdruck. Wenn sich kein guter Trend finde, müsse ein Thema eben platzen, auch wenn es noch so wichtig ist, sagt der Abgeordnete. „Verkrampft nach Ideen suchen, das machen wir nicht.“
Gegen Windmühlen rennen
Leichtes Spiel hat der Sozialdemokrat auf TikTok nicht. Gerade einmal zehn Prozent der App-Nutzerinnen und Nutzer würden die SPD wählen, natürlich sei da der Ton etwas rauer. „Es ist manchmal, wie gegen Windmühlen kämpfen.“ Die Rechtsextremen seien schneller erfolgreich auf der Plattform gewesen. Mitarbeiter Morten erklärt warum: „Sie produzieren wesentlich mehr. Sie haben den Algorithmus verstanden, ihre Verbreitungsmaschine funktioniert besser, sie haben es früh parteigesteuert gemacht.“
Nach wie vor haben viele Politikerinnen und Politiker Bedenken gegen die „Schmuddel“-App aus China, auch wegen des Datenschutzes. Das schreckt den Abgeordneten aber nicht ab. „Bis ich keine konkreten Nachweise habe, überlasse ich den anderen nicht das Feld“, betont Liebscher. Ob ihn die anderen Sozialdemokraten nach Tipps fragen? Innerhalb der Partei hätten sie immer wieder auf die Relevanz der App hingewiesen, sagt Morten, die Jugendlichen kommunizierten nun einmal dort. „Aber die demokratischen Parteien haben geschlafen.“
Die Lorbeeren ernten
Immerhin: Was die Anzahl an Accounts angeht, haben die Genossinnen und Genossen die AfD laut einer Statistik von Herbst 2023 fast eingeholt. Allerdings mit deutlich weniger Likes und Reichweite. Seit Ende April ist auch der Bundeskanzler auf TikTok, stapelt Unterlagen und spricht über seine Aktentasche. Noch mit weniger Likes als Liebscher, aber vielen Followern. Doch selbst bei der Cannabis-Legalisierung im Frühjahr habe die Bundesregierung nicht ausreichend mit Jugendlichen kommuniziert, findet Morten. „Dabei war das ein Gewinner-Thema. Also haben wir das gemacht und die Lorbeeren geerntet.“