SINUS-Jugendstudie: So blicken junge Menschen in Deutschland in ihre Zukunft
Alle vier Jahre untersucht die SINUS-Jugendstudie die Lebenswelten junger Menschen in Deutschland. Trotz zahlreicher Krisen ist der Optimismus bei 84 Prozent der 14- bis 17-Jährigen stabil. Zwei Sorgen beschäftigen sie besonders.
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Trotz zahlreicher Krisen bleiben junge Menschen in Deutschland laut der SINUS-Studie optimistisch.
Vier Jahre können eine lange Zeit sein, insbesondere dann, wenn just in jene vier Jahre multiple Krisenphänomene wie die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die daraus resultierende Inflation und Energiekrise fallen, mal ganz abgesehen von den massiv spürbaren Auswirkungen des Klimawandels. Vier Jahre lagen auch zwischen der turnusgemäß bislang letzten Vorstellung einer SINUS-Jugendstudie und der heutigen.
„Zukunftsoptimismus bleibt stabil“
Wer nun aber den Blick auf eine verzweifelte und niedergeschlagene Generation erwartet hatte, wurde eines Besseren belehrt. „Der Zukunftsoptimismus bleibt stabil“, führte Marc Calmbach aus, der die Studienreihe seit der ersten Stunde im Jahr 2008 verantwortet. Es gebe keine Euphorie unter den jungen Menschen zu verzeichnen, sondern einen realistischen Blick auf die Dinge. „Das ist auch eine gute Sache“, sagte er.
Ähnlich äußerte sich auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, am Mittwochvormittag in Berlin. „Es ist ein interessanter Befund, dass das nicht in Pessimismus führt, sondern eher in einen konditionierten Optimismus“, sagte er. Insgesamt wurden für die qualitative Studie 72 junge Menschen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in 26 Regionen in Deutschland befragt.
72 junge Menschen befragt
Ein Zahl, die auf den ersten Blick recht niedrig erscheinen mag. Doch der Fokus lag hierbei auf intensiven Gesprächen von rund zwei Stunden mit jungen Menschen aus unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen sozialen Schichten. Der Aufwand war nach Angaben der Studienleiter*innen deutlich höher als beispielsweise bei einer quantitativen Online-Befragung mit 2.000 Teilnehmer*innen. Im Vorfeld der Befragungen sollten die Jugendlichen bereits ihren Alltag in einer Art Tagebuch unter dem Titel „So bin ich, das mag ich“ festhalten. Beispielsweise wurde dabei nach Vorbildern gefragt. Wieder einmal am meisten genannt wurde der portugiesische Fußballstar Cristiano Ronaldo.
Zentrale Befunde dieser qualitativen Befragungen sind, dass die Jugendlichen inmitten von multiplen Krisen aufwachsen und demnach gesellschaftliche und ökonomische Krisen bereits als eine Art Normalzustand empfinden. Trotzdem blicken 84 Prozent von ihnen positiv in die Zukunft. Dabei entspreche die Weltsicht der Jugendlichen keineswegs dem Klischee der verwöhnten Jugend, referierte Tim Gensheimer vom SINUS-Institut bei der Vorstellung der Studie. Stattdessen dominiere die Bodenhaftung. „Was viele wollen, ist, einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu finden“, sagte Gensheimer.
Ein Platz in der Mitte der Gesellschaft
Diese Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Geborgenheit beschreiben die Macher*innen der Studie als „Regrounding“. Wovon viele träumen, sei eine glückliche und feste Partnerschaft oder Ehe, Kinder, Haustiere, ein eigenes Haus oder eine Wohnung, ein guter Job und genug Geld für ein sorgenfreies Leben.
Die aktuellen politischen Krisen werden von den Jugendlichen registriert, emotional stärker treiben sie allerdings Probleme wie Klimawandel und Diskriminierung um. Gerade Diskriminierung gehört für viele zum Alltag, insbesondere in der Schule. Unabhängig von Schultyp und Herkunft haben die meisten Jugendlichen laut der Studie Diskriminierung schon selbst erlebt oder im unmittelbaren Umfeld beobachtet. Zugleich sind sie sehr sensibel für strukturelle Ungleichheiten. Sie beobachten und kritisieren offene oder verdeckte Diskriminierung.
Politik spielt keine große Rolle
Demokratische Bildung und Praxis scheint in den Schulen eine untergeordnete Rolle zu spielen. Entsprechend hat trotz der allgegenwärtigen Krisen Politik einen eher geringen Stellenwert im Leben der Jugendlichen. Bei vielen gebe es eine geradezu abwehrende Haltung über Politik im Allgemeinen, insbesondere bei Jugendlichen, die geringere Bildungsabschlüsse anstreben. Zudem hat sich die Einschätzung der Lösungskompetenz der Politik seitens der Jugendlichen seit der vorherigen Studie im Jahr 2020 deutlich verschlechtert. Die Mehrheit der Jugendlichen befürwortet zwar beispielsweise das Wahlrecht ab 16 Jahren wie jüngst bei der Europawahl. Einige fühlen sich aber laut der Studie nicht ausreichend dafür vorbereitet.
„Sie fangen jetzt erst an, sich politisch zu interessieren, aber es gibt noch Berührungsängste“, sagte Calmbach. Entsprechend volatil sei ihr Wahlverhalten, was ein Erklärungsfaktor für die relativ hohe Zustimmung für die AfD unter den Erstwähler*innen bei der Europawahl sein könnte, wie er auf Nachfrage sagte.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo