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Solinger Bürgermeisterin: Wie Ioanna Zacharaki ein Vorbild sein will

Ioanna Zacharaki ist ehrenamtliche Bürgermeisterin der Stadt Solingen. Die aus Griechenland stammende Sozialdemokratin will ein Vorbild sein, um vor allem mehr junge Frauen für Kommunalpolitik zu begeistern.

von Jonas Jordan · 26. August 2024
Ioanna Zacharaki ist Bürgermeisterin in Solingen.

Ioanna Zacharaki ist Bürgermeisterin in Solingen.

Aus ihrer Heimat Griechenland kam Ioanna Zacharaki mit 19 Jahren nach Deutschland, ­ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Heute ist sie seit vier Jahren ehrenamtliche Bürgermeisterin der Stadt Solingen. In dieser Funktion ist sie immer noch eine Ausnahme – als Frau mit Migrationsgeschichte. „Ich bin nicht die Norm“, sagt sie selbst und will das ändern. Zacharaki findet: „Es wäre gut, wenn Politik bunter wäre. Oft bin ich bei Repräsentationsterminen und sehe viele Männer in schwarzen ­Anzügen.“

Deswegen begleitet sie als Schirmfrau in Solingen das Projekt „Frauen.Macht.Politik“. Es geht darum, jungen Frauen Mut zu machen, sich zu engagieren, ihnen ein Vorbild zu sein. Das ist ­Zacharaki nach nun 25 Jahren in der Solinger Kommunalpolitik definitiv, findet offenbar auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sie kürzlich gemeinsam mit 79 weiteren ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern im Schloss Bellevue empfangen hat.

Schmerzhafte Erinnerung

Es war schon ihr dritter Besuch bei einem Bundespräsidenten. Das erste Mal war sie 1994 dort, das Staatsoberhaupt hieß noch Roman Herzog und Zacharaki war als Vertreterin der Solinger Zivilgesellschaft eingeladen. Wenige Monate nach dem Brandanschlag im Mai 1993, bei dem fünf Menschen starben. Die gebürtige Griechin war erschrocken, als ein Mitarbeiter Herzogs zu ihr kam und sagte: „Ich habe ein Attentat auf sie vor.“ Es war die unglücklich formulierte Bitte, ob sie sich vorstellen könne, beim Abendessen neben dem Bundespräsidenten zu sitzen. Heute kann sie darüber lachen. „Damals haben meine Beine gezittert und ich wusste nicht, was mit mir passiert, weil ich den Ausdruck vorher nicht kannte“, erzählt sie.

Die Erinnerung an den Brandanschlag ist in der Solinger Stadtgesellschaft bis heute präsent. Nur knapp ein Kilometer ist es vom Rathaus der rund 160.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Stadt in Nordrhein-Westfalen bis zum damaligen Tatort. „Dieses Trauma haben viele nicht verarbeitet. Die Lücke bleibt, die Leere bleibt. Man ist sprachlos, wie gelähmt. Gerade für Menschen in der Integrationsarbeit war diese Erfahrung umso schmerzhafter“, berichtet Zacharaki.

„Wenn Leute in Not sind, ist Hilfe angesagt“

Im Beruf ist sie als Referentin beim ­Diakonischen Werk Rheinland-­Westfalen-Lippe für die Themen Flucht, Migration und Integration zuständig. Doch ihr Einsatz endet nicht mit dem Feierabend. Für ihr humanitäres Engagement erhielt sie im Jahr 2019 das Bundesverdienstkreuz, im Jahr darauf den Agenda-Preis der Stadt Solingen. Dabei ist für sie das, was sie tut, eigentlich selbstverständlich. „Wenn Leute in Not sind, ist Hilfe angesagt. Das geht nicht anders, wegen der Menschlichkeit“, erklärt sie knapp, aber nachdrücklich.

Seit 2015 engagierte sie sich auf der griechischen Mittelmeerinsel Lesbos und unterstützte Geflüchtete. Was sie dort erlebte, vor allem im Lager Moria, beschreibt sie als zweites Trauma. „Das kann uns allen passieren. Jeder kann Flüchtling werden.“ Niemand verlasse freiwillig sein Zuhause, um sich auf einen so gefährlichen Weg über das Meer zu begeben, ohne schwimmen zu können. Das geschehe nur in großer Not, zeigt sie sich überzeugt und erinnert an die Geschichte der Familie ihres Mannes. Dessen Großeltern mussten vor gut 100 Jahren ihr Zuhause in der Türkei zurücklassen und nach Griechenland fliehen.

Aufgewachsen in Griechenland

Zacharaki hat auch einen langen Weg hinter sich. Seit 2020 ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin in Solingen. „Es ist ein würdevolles Ehrenamt. Die Bürgerinnen und Bürger freuen sich, wenn eine Bürgermeisterin oder ein Bürgermeister da ist“, sagt sie. Geboren wurde sie im griechischen Bergdorf Chrysomilia. Als sie acht Jahre alt war, ging ihre Mutter als Gastarbeiterin nach Deutschland, wenige Jahre später folgte ihr Vater. Zacharaki selbst blieb bis zum Abitur in Griechenland. Dann ging auch sie nach Deutschland, ohne die Sprache zu können. Sie studierte Soziologie und Germanistik in Aachen, wo sie 1987 ihren Hochschulabschluss erhielt.

Bis zum Beginn ihrer kommunalpolitischen Karriere im Jahr 1999 dauerte es noch einmal zwölf Jahre. Und doch war es der frühestmögliche Zeitpunkt. „Damals habe ich als Europäerin griechischer Abstammung zum ersten Mal das kommunale Wahlrecht bekommen. Ich sah das und sehe es noch immer als Verpflichtung an, mich zu engagieren“, sagt sie. Diese Verpflichtung leitet sie unmittelbar aus der antiken griechischen ­Ideengeschichte ab.

„Schon Aristoteles hat gesagt: ‚Wir sind politische Wesen und sollen Verantwortung übernehmen‘“, erklärt sie und zitiert weiter: „Jeder, der nicht politisch engagiert ist, ist laut Aristoteles ein Privatmann oder eine Privatfrau. Das heißt auf Griechisch idiotis.“ Mit anderen Worten: Es wäre idiotisch, sich nicht kommunalpolitisch zu engagieren. Zacharaki ist fest überzeugt: „Wenn es dem Staat gut geht, geht es den Menschen auch gut.“

Beunruhigende Entwicklungen

Eine Überzeugung, die sie auch zur Sozialdemokratie führte: „Ich habe Respekt vor der Geschichte der Sozialdemokratie. Ohne Sozialdemokratie wäre die Gesellschaft nicht so weit. Viele soziale Errungenschaften wären gerade für Frauen nicht denkbar gewesen.“ Zugleich sieht sie manches mit Sorge: die zunehmenden Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, die Entfremdung vieler Menschen von den Volksparteien, die Radikalisierung junger Menschen. „Die Lage ist explosiv“, sagt sie. Vor wenigen Wochen gab es einen Fall von Brandstiftung in ­Solingen. Eine vierköpfige Familie aus Bulgarien starb. Auch wenn das Motiv wohl kein ausländerfeindliches war, seien bei vielen Menschen sofort die Erinnerungen an 1993 wieder hochgekommen.

Auch der Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke Anfang Mai in Dresden hat Zacharaki erschüttert. An Infoständen erlebe sie ebenfalls Beleidigungen, berichtet sie. „Das beunruhigt. Ich bin gefährdet“, sagt sie und will sich trotzdem nicht davon unterkriegen lassen. Im Gegenteil: Sie betont, wie wichtig ihr die Gespräche mit den Menschen sind und hat dabei die „Hebammen-­Methode” von Sokrates im Hinterkopf: den Gesprächspartner durch geeignete Fragen, dazu zu bringen, einen Sach­verhalt ­richtig zu verstehen.

Sie will Wege ebnen

Im nächsten Jahr sind in Nordrhein-Westfalen wieder Kommunalwahlen. Kandidiert Zacharaki dann? „Ich habe es wieder vor“, sagt sie, ohne zu zögern. Insbesondere für junge Frauen, die so alt wie ihre Töchter sind, möchte sie den Weg in die Kommunalpolitik ebnen, sie begleiten und als Mentorin ihre eigenen Erfahrungen weitergeben. Auch, um keine Exotin mehr zu sein.

Dieser Text erschien zuerst im vorwärts-Kommunal im Mai 2024.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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