Kinodrama „Reality“: Auf einsamer Mission gegen Donald Trump
Sie machte öffentlich, wie die US-Präsidentschaftswahl von 2016 beeinflusst wurde: Das kammerspielartige Drama „Reality“ rekonstruiert dramatische Stunden im Leben der Whistleblowerin Reality Winner.
Grandfilm/Mickey&Mina
Reality Winner (Sydney Sweeney) legt sich mit den Sicherheitsbehörden der USA an.
Die Eingangsszene weckt Urängste vor der Allmacht von Sicherheitsbehörden: Als die junge Frau an einem Samstagnachmittag des Jahres 2017 vor ihrem Haus vorfährt, ist das FBI schon da.
Zwei freundliche, aber sehr bestimmte Herren machen ihr klar, dass ab diesem Moment nichts mehr so sein wird, wie es mal war. Die Ermittler werfen ihr vor, als geheim eingestuftes Material verbreitet zu haben. Die anschließende Hausdurchsuchung mit ganz großem Besteck ist nur der Anfang.
Die Frau heißt Reality Winner. Die Sprachwissenschaftlerin arbeitet für eine Nachrichtendienststelle im US-Bundesstaat Georgia. Und das mit Top-Secret-Freigabe.
Zuvor war die auf Farsi, Dari und Pashto spezialisierte Linguistin für die U.S. Airforce tätig. Die Befragung durch die FBI-Agenten bringt eine Biografie ans Licht, die seit Jahren aufs Engste mit sensiblen Inhalten verknüpft ist. Auch deswegen wird schnell klar, dass sich die Anschuldigung im Reich des Möglichen bewegen könnte.
Erklärte Gegnerin von Donald Trump
Die Geschichte hat ein Vorbild in der Realität. 2017 hat Reality Leigh Winner, die Mitarbeiterin eines Informationsdienstleisters des Geheimdienstes NSA, Hinweise darauf, dass Russland die US-Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusst haben soll, an die Redaktion der Website The Intercept weitergegeben. Die erklärte Gegnerin von Wahlsieger Donald Trump flog auf und wurde zu einer 63-monatigen Haftstrafe verurteilt.
In den USA sorgte dieser Vorgang für großes Aufsehen. Bereits 2019 wurde er in der Theaterinszenierung „Is This A Room“ aufgegriffen.
Regisseurin Tine Satter adaptierte die Handlung für ihr Spielfilmdebüt, das 2023 auf der Berlinale gezeigt wurde. Der Film basiert auf dem Audioprotokoll der Vernehmung von Winner durch das FBI. Gleichzeitig will er auch das erzählen, was sich außerhalb des Protokolls abgespielt hat.
„Ich wollte kein Edward Snowden sein“, sagt Reality Winner im Film mit Blick auf den prominenten Whistleblower. Doch was wollte sie wirklich? Und warum? In einem muffigen Hinterzimmer ihres Hauses treiben sie die beiden FBI-Agenten immer mehr in die Enge und versuchen, hinter ihre Fassade zu blicken.
Klaustrophobische Wirkung
Dem Film ist anzumerken, dass es Verbindungen zum Theater gibt. Im Grunde ist der auf Enthüllung angelegte Dialog zwischen zwei Männern und einer Frau ohnehin am besten auf einer Theaterbühne aufgehoben. Dank der beklemmenden Bildsprache und der hervorragenden Schauspieler*innen funktioniert das klaustrophobische Kammerspiel aber auch bestens auf der Kinoleinwand.
Wie sich Reality Winner im Spiel von Hauptdarstellerin Sydney Sweeney (bekannt unter anderem durch die US-Serie „The Handmaid’s Tale“) von einer scheinbar unbekümmerten und unauffälligen jungen Frau zur verzweifelten Angeklagten wandelt, berührt zutiefst. Nicht minder beklemmend ist das scheinbar besonnene, aber sehr zielgerichtete Vorgehen der von Josh Hamilton und Marchánt Davis verkörperten FBI-Agenten.
Zu der packenden Wirkung trägt gerade auch die Nähe zu jenem Protokoll bei. Dadurch fanden aber auch Beiläufiges und sogar Witzeleien Eingang in Gesprächssituationen. Das verleiht der für die Protagonistin bedrohlichen Situation mitunter etwas Absurdes. Doch die Regie des FBI kann die Stimmung jederzeit kippen lassen.
Bedrückend aktuell
Die eigentliche Handlung spielt sich ausschließlich im oder vor Reality Winners Haus in der Stadt Augusta ab. Um eine weitere Erzählebene zu schaffen, werden Social-Media-Einträge der realen Reality eingeblendet.
Die optisch wie personell sehr reduzierte Erzählung zieht einen im Nu in ihren Bann. Auch, weil sie angesichts eines drohenden Comebacks von Donald Trump im Weißen Haus von bedrückender Aktualität ist. Die echte Reality Winner hatte Trumps erste Präsidentschaft seinerzeit als „das Gefährlichste für die USA“ bezeichnet.
Diese politische und moralische Implikation wird in dem Film nur angedeutet. Und doch offenbart sich die ganze Tragweite dieses Versuchs einer jungen Frau, es mit dem mächtigen Sicherheitsapparat der USA aufzunehmen und gerade dadurch dem Wohl ihres Landes zu dienen.
„Reality“ (USA 2023), ein Film von Tina Satter, mit Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis u. a.,83 Minuten, OmU, ab zwölf Jahre.
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