„Die Saat des heiligen Feigenbaums“: Pulverfass Iran als Familiendrama
Die Massenproteste nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini 2022 brachten viele Gewissheiten ins Wanken: Am Beispiel einer Familie schildert „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ die Zerrissenheit der iranischen Gesellschaft. Der Film ist Deutschlands Kandidat für die Oscars.
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Diese Familie hat Gesprächsbedarf: Die Massenproteste im Iran setzen auch im Privaten ungeahnte Dynamiken frei.
Als vor gut zwei Jahren die Demonstrationen unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ den Iran erschütterten, saß Mohammad Rasoulof im Gefängnis. Weil er mit anderen Filmschaffenden einen offenen Brief gegen Polizeigewalt unterzeichnet hatte, wurde ihm die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und die Zusammenarbeit mit Regimegegner*innen vorgeworfen.
Die Bilder von den später brutal niedergeschlagenen Kundgebungen drangen bis hinter die Gefängnismauern. Ein Wärter berichtete Rasoulof von seinen Selbstzweifeln darüber, ausgerechnet in diesen Zeiten dem Sicherheitsapparat der Mullahs zu dienen. „Oft überlege ich, mich hier aufzuhängen“, soll er gesagt haben. Das war die entscheidende Inspiration für das nächste Projekt des 52-Jährigen Filmemachers Rasoulof. Und es grenzt an ein Wunder, dass er es abschließen konnte.
Karrieresprung in Krisenzeiten
Gemeint ist das Drama „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, das jetzt in den Kinos angelaufen ist. Der Film blickt aus zwei Perspektiven auf die vor allem von jungen Menschen getragenen Unruhen, von denen viele gehofft hatten, sie würden nachhaltige Veränderungen im Iran bewirken.
Im Film erlebt der strenggläubige Jurist Iman während dieser Zeit einen Karrieresprung: Er wird zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht befördert. Nicht wegen seiner Kompetenz, sondern weil die Staatsführung nach mehr Todesurteilen giert. Doch das wird Iman erst später klar. Immerhin verspricht der Posten Prestige, ein höheres Gehalt und womöglich sogar eine größere Wohnung in Teheran.
Das freut seine ebenfalls regimetreue Ehefrau Najmeh, nicht aber die beiden Töchter: Rezvan und Sana haben Kontakt zu Protestierenden an den Universitäten und verfolgen das Geschehen auf ihren Handys.
Während ihr Vater die Menschen, die gegen das klerikale Regime aufstehen, verunglimpft, werfen ihm seine Töchter vor, eng mit der Unrechtsherrschaft verbandelt zu sein. Eine Lösung dieses innerfamiliären Konflikts, der die gesamtgesellschaftliche Lage widerspiegelt, ist nicht in Sicht. Als eines Tages Imans Dienstwaffe aus einer Schublade im Schlafzimmer verschwindet, kippt die Situation endgültig.
Die Paranoia des Vollstreckers
Schon in seinem 2020 bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Episodenfilm „Doch das Böse gibt es nicht“ hat sich Rasoulof mit der Erfahrungswelt jener Menschen beschäftigt, die den Unterdrückungsapparat im „Gottesstaat“ am Laufen halten. In „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ treibt er dieses Thema in einem ganz anderen Rahmen auf die Spitze.
Fast drei Stunden lang ist zu beobachten, wie ein Vollstrecker der Macht immer mehr von einer Paranoia erfasst wird und im Grunde zum Scheitern verurteilt ist. Das lässt sich als Parabel auf die Machtverhältnisse im Iran sehen: Demnach gehört die Zukunft denen, die für Freiheit und Menschlichkeit eintreten, allen Widrigkeiten zum Trotz. Davon zeugen nicht nur die realen Aufnahmen von den Protesten, die immer wieder in die Erzählung eingeflochten werden und diese auch beschließen.
Es liegt auf der Hand, dass auch Rasoulofs neuer Film den Herrschenden in Teheran übel aufstoßen musste. Iranische Stellen hatten versucht, die Weltpremiere bei den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes, wo das Werk mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, zu verhindern. Produktionsagent*innen und Darsteller*innen wurden von den Sicherheitsbehörden vorgeladen und an der Ausreise gehindert.
Dreharbeiten im Verborgenen
Und auch dieser Film konnte nur unter konspirativen Bedingungen gedreht werden. Wie bei vielen anderen gesellschaftskritischen Arthouse-Werken aus dem Iran spielt sich die Handlung größtenteils innerhalb einer Wohnung ab. Das verleiht dem Ganzen etwas Klaustrophobisches, manchmal aber auch Ermüdendes. Erst zum Ende hin, wenn sich das Geschehen aufs Land verlagert, sind längere Außenszenen zu sehen.
Man könnte einwenden, dass bei Rasoulofs zehnter Regiearbeit visuell oder bei der Figurenzeichnung mehr drin gewesen wäre. Dem steht allerdings eine kompromisslose gesellschaftspolitische Positionierung gegenüber, die mit einer packenden, mitunter thrillerartigen Handlung verwoben wird.
Außerdem sollte man sich vor Augen halten, unter welchen Umständen der Film entstanden ist. Zu den erschwerten Drehbedingungen (der Schnitt erfolgte in Hamburg) kam das kurze Zeitfenster, das dem nunmehrigen Exil-Iraner blieb, um ein Skript zu entwerfen und die Produktion vorzubereiten.
Flucht aus dem Iran
Kurz nach seiner Haftentlassung im Februar 2023 wurde ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Rasoulof eingeleitet. Im Mai 2024, nur wenige Wochen vor der Premiere von „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ in Cannes, floh Rasoulof aus dem Iran: Kurz zuvor hatte das Regime gegen ihn eine achtjährige Haftstrafe und Peitschenhiebe verhängt.
Nicht nur, aber gerade vor diesem Hintergrund kann seine mutige Würdigung der Opposition im Iran nicht hoch genug geschätzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Gedanke eine Rolle spielt, wenn am dritten März in den USA der Oscar für den besten internationalen Film verliehen wird: Die deutsch-französisch-iranische Koproduktion geht für Deutschland ins Rennen.
„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (Deutschland, Frankreich, Iran 2024), ein Film von Mohammad Rasoulof, mit Misagh Zare, Soheila Golestani, Mahsa Rostami, Setareh Maleki u.a., 167 Minuten
Im Kino. Weitere Informationen zum Film auf alamodefilm.de