Kultur

Sozialdrama „Leere Netze“: Wie das Leben im Iran zur Sackgasse wird

Neben den politischen gibt es auch wirtschaftliche Fesseln: Anhand von einem jungen Paar skizziert das Sozialdrama „Leere Netze“ die desparate Lebenssituation junger Menschen im Iran.

von Nils Michaelis · 19. Januar 2024
Iranisches Sozialdrama "Leere Netze"

Narges (Sadaf Asgari) und Amir (Hamid Reza Abbasi) träumen von einer gemeinsamen Zukunft.

Wenn Amir mit seinem alten Motorrad den Strand des Kaspischen Meeres entlangruckelt, wirken die Bilder wie ein Versprechen von Freiheit und Weite, auch dank der großzügigen Kameraperspektive. Die blanke Not hat den jungen Mann in diese trügerische Idylle geführt. Sie wird sich als Falle entpuppen.

Gerade Irans Jugend hat die jüngsten Proteste gegen das Mullah-Regime getragen. Wer sich einen anderen Iran wünscht, sieht in jenen mutigen jungen Frauen und Männern die Zukunft des Landes. Ihre Zukunftsaussichten könnten indes kaum trüber sein. 

Nicht nur die restriktiven politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse machen ihnen das Leben schwer. Auch ökonomisch könnte die Lage kaum schlechter sein. Die seit Jahren schwächelnde Wirtschaft geht mit einer hohen Arbeitslosigkeit und einer Verarmung breiter Bevölkerungskreise einher. Selbst die, die sich beim Start ins Berufsleben nach Kräften abstrampeln, haben selten Aussichten auf einen auskömmlichen Job und damit auf ein selbstbestimmtes Leben.

Leidenschaft und Lebenslust

In all dieser Trübnis ist aber auch Platz für Leidenschaft und Lebenslust. Auch davon erzählt das berührende Sozialdrama des deutsch-iranischen Filmemachers Behrooz Karamizade. Amir und Narges lieben sich und träumen von einem gemeinsamen Leben. Diesem Traum stehen allerdings hohe soziale und materielle Hürden entgegen. 

Mit seiner Mutter lebt Amir in einem ärmlichen Häuschen. Seinen Job als Kellner hat er gerade verloren. Narges hingegen entstammt einer wohlsituierten Familie. Ihre Eltern möchten sie auch zukünftig gut versorgt wissen. Entsprechend hoch ist das Brautgeld, das sie nach Landessitte von Amir fordern. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Amir will alles tun, um eine gemeinsame Zukunft mit Narges möglich zu machen. In seiner Verzweiflung heuert er bei einem Trupp von Fischern am Kaspischen Meer an. Schlecht bezahlte und harte Arbeit, aber besser als nichts. Zumal sich dort die unverhoffte Möglichkeit eines Zuverdienstes offenbart: Amir beteiligt sich an der illegalen Störfischerei. Doch wird ihn der lukrative Kaviarschmuggel seinem Lebenstraum näherbringen?

Der lange Arm Teherans

„Leere Netze“ verbindet nüchternen sozialen Realismus mit visuell starker Metaphorik. Das Meer tritt uns nicht nur als Raum von Möglichkeiten, sondern auch als Hort der Gefahr entgegen. Eines Abends erfährt Amir von seinem Kollegen Omid, dass er den Iran über den Seeweg verlassen will. Als kritischen Blogger haben ihn die Sicherheitsbehörden im Visier. „In diesem Land gerät man immer in eine Sackgasse, man kann sich nicht verwirklichen“, sagt er komplett hoffnungslos. Der Ausgang seiner Flucht lässt das Meer wie den langen Arm Teherans erscheinen.

Den rauen Alltag der Fischer bringt uns der Film in eindringlichen, nahezu dokumentarischen Bildern nahe - gedreht wurde unter anderem in einem iranischen Fischereibetrieb. Im Grunde erlebt Amir in der ungewohnten Umgebung kaum etwas Neues: Auch dieses Leben wird von Kontrolle, Hierarchie und Ausbeutung bestimmt. 

Doch diese Szenen stehen auch für eine andere Ebene dieser Erzählung. „Ich sehe in den Netzen und den Fischen, die darin zappeln, eine bildliche Metapher für das Leben der Menschen im Iran - insbesondere der jungen Generation“, so Behrooz Karamizade in einem Interview. „Die täglichen Probleme, Einschränkungen und Hoffnungslosigkeit wickeln sich um diese jungen Menschen wie ein feinmaschiges Netz. Wie gefangene Fische winden sie sich darin und versuchen, nach Luft zu schnappen.“

Einziger Ausweg aus der Perspektivlosigkeit

„Leere Netze“ zeigt, wie selbst vermeintlich kleine persönlichen Träume unerreichbar erscheinen, von großen politischen Entwürfen ganz zu schweigen. Und warum viele in der Flucht den einzigen Ausweg aus der Perspektivlosigkeit sehen.

Nichtdestotrotz setzt der Film auch optimistische und lebensbejahende Akzente. Häufig hängen sie mit Narges zusammen. Mit locker getragenem Kopftuch und modischen Klamotten steht sie für die vielen modernen und selbstbewussten (jungen) Frauen in der Islamischen Republik. An den rigiden Normen der Gesellschaft kann aber auch diese Tochter aus gutem Hause nicht rütteln.

Als unverheiratetes Paar ist es für Narges und Amir so gut wie unmöglich, sich zu treffen. Heimlich verabreden sie sich immer wieder im Rohbau eines Hochhauses. In diesem unfertigen Setting schwingt das Prekäre ihrer Beziehung auch optisch mit. Erst recht, als Amir immer tiefer in den kriminellen Sumpf hineingerät und Narges zu verlieren droht.

Was hinter "Fluchtursachen" verborgen bleibt

Zum Ende hin holpert die Dramaturgie in Behrooz Karamizades Langfilmdebüt etwas. Insgesamt ist diese Erzählung aber sehr stimmig und packend. Auch, weil der Mitte der 80er-Jahre aus dem Iran in die Bundesrepublik eingewanderte Regisseur und Drehbuchautor das Land seiner frühen Kindheitsjahre gleichsam in hellen und düsteren Farben malt. Sein Film rückt Dinge ins Bewusstsein, die hinter dem abstrakten Begriff „Fluchtursachen“ meist verborgen bleiben. Der Fokus auf den Konflikt zwischen individuellen Lebensentwürfen und dem gesellschaftlichen Kontext reicht weit über Iran hinaus.

 

Info:

„Leere Netze“ (Iran, Deutschland 2023), ein Film von Behrooz Karamizade, mit Hamid Reza Abbasi, Sadaf Asgari, Keyvan Mohamadi, Pantea Panahiha u.a., OmU, 101 Minuten, ab zwölf Jahre.

https://port-prince.de/projekt/leere-netze/

Im Kino 

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