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Vor Europawahl: Was der Streit in der französischen Linken bedeutet

Das französische Linksbündnis NUPES ist uneins, wie es zu den Europawahlen 2024 antreten soll: La France Insoumise (LFI) drängt auf eine gemeinsame Kandidatur, die Sozialist*innen sind unentschieden, Grüne und Kommunist*innen skeptisch.
von Kay Walter · 3. Mai 2023
Jean-Luc Melenchon bei einer Demonstration in Paris: Kann er auch zur Europawahl wieder ein Linksbündnis schmieden?
Jean-Luc Melenchon bei einer Demonstration in Paris: Kann er auch zur Europawahl wieder ein Linksbündnis schmieden?

Das französische Linksbündnis NUPES wurde im Juni 2022 eigens für die damaligen französischen Parlamentswahlen gegründet. Vier linke Parteien – der linksradikale LFI von Jean-Luc Mélenchon, Sozialisten, Kommunist*innen und Grüne – kamen erstmals zusammen, um gemeinsam zu kandidieren. Das war ein enormer Fortschritt für die traditionell heftig zerstrittenen Parteien der französischen Linken, die zuvor einzeln immer weiter marginalisiert worden waren.

Mélenchon profitiert am meisten

Hauptbetreiber war von Beginn an Mélenchon. Und er ist auch der Hauptnutznießer – sein LFI und vor allem er ganz persönlich wurden gestärkt, im Gegensatz zu den anderen Parteien. Diese haben an eigenständigem Profil verloren. Und ebenso an Einfluss und Wählerstimmen. Auch an Posten, wie zum Beispiel Bürgermeister*innen. Nicht an Rechte, sondern an den LFI.

Einig sind sich die vier NUPES-Parteien vor allem in der Ablehnung der Politik von Präsident Macron, besonders seiner Rentenreform. Aber sobald es um programmatische Fragen für die Zukunft geht, also um eigene Politikvorstellungen und Ideen, droht permanent die Spaltung des Bündnisses in seine Einzelparteien. Zu weit liegen die Ziele auseinander. Das gilt für die französische Innenpolitik, erst recht aber für die Außenpolitik.

Gemeinsam für Europa?

Ein Jahr vor den Wahlen zum EU-Parlament muss nun geklärt werden, ob man auch in Europa als NUPES antritt oder nicht. Eine gemeinsame Liste demonstriere die Geschlossenheit der französischen Linken, argumentiert vor allem der LFI, das Gros der Anderen treibt die Sorge, dass die ideologischen Unterschiede deutlich zu groß sind, gerade und vor allem in Fragen der EU- und Außenpolitik.

Es gibt natürlich einen zweiten gemeinsamen Gegner, den Rassemblement National von Marine Le Pen, die schon traditionell bei den Europawahlen überdurchschnittlich gut abschneiden. Den ultrarechten, so betont es der LFI immer wieder, könne man nur gemeinsam das Wasser abgraben. Skepsis gegenüber Europa ist in Frankreich verbreiteter als zum Beispiel in Deutschland, aber: Gerade Mélenchon und sein LFI tragen ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür, denn er steht mit seinen antieuropäischen Polemiken den Rechtsextremen um Marine Le Pen praktisch in Nichts nach. Eine gemeinsame NUPES-Kandidatur halten die Grünen eben deshalb für nicht machbar.

Keine gemeinsame Position zur NATO

Der Sozialist Pierre Jouvet erklärte unterdessen, er sei „bereit, über eine koalitionsweite Liste bei den Europawahlen zu diskutieren“ und schloss sich damit der Forderung der LFI nach einer gemeinsamen Liste an. Allerdings, so Jouvet, brauche eine gemeinsame Liste „Substanz und eine Idee“, weil „die europäische Frage immer das schwierigste Thema der Linken gewesen ist.“

Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Nicolas Mayer-Rossignol, warnte dagegen auf Twitter wörtlich vor „Verrenkungen“ bei der Einigung auf eine gemeinsame Plattform mit der radikalen Linken.  Er bevorzuge „ein sozial-ökologisches Europa, das seine Verteidigung stärkt und eine klare Haltung zur NATO, zur Ukraine, zu den Uiguren und zu Taiwan hat.“

All das ist mit den Kommunist*innen kaum zu machen und mit Mélenchon schon dreimal nicht. Anders als Sozialist*innen und Grüne lehnt der LFI die NATO und die französische Mitgliedschaft ab. Auch was Taiwan betrifft, liegt der LFI weit ab von allem, was den Ansichten im Rest Europas entspricht: Jean-Luc Mélenchon hat den Inselstaat wiederholt als „vollwertigen Bestandteil Chinas“ bezeichnet. Zudem enthielt sich die LFI bei der Resolution, die die Verbrechen russischer Söldnerfirmen wie der Wagnergruppe verurteilt wurden.

Viel zu wenig Einigkeit

Die Grünen vertreten im Viererbündnis NUPES am resolutesten die pro-europäische Seite. Mit Kommunist*innen und dem LFI haben sie auch sonst kaum programmatische Überschneidungen. Aber auch das Gros der Sozialist*innen eint ein positiver EU-Bezug. Genau das macht ihnen Ian Brossat, bei den letzten EU-Wahlen erfolgloser Spitzenkandidat der Kommunist*innen zum Vorwurf: Einerseits seien „die Grünen Föderalisten“ und andererseits habe „die Mehrheit der Sozialisten alle europäischen Verträge unterstützt“. Nichts, dem die Kommunist*innen zustimmen könnten.

Prinzipiell und strategisch ist nicht bezweifelbar, dass die Chancen einer geeinigten Linken deutlich besser sind als die von Kandidaturen der je einzelnen Parteien. Praktisch inhaltlich aber sind die Hürden enorm groß. Genauer betrachtet eint die vier Parteien wenig, viel zu wenig, um einer NUPES-Kandidatur zur den Europawahlen eine Erfolgsprognose zu stellen.

Käme es am Ende doch dazu, wäre zudem höchst unwahrscheinlich, dass EU-freundliche Positionen im Zentrum ihrer Haltungen stünden. Aber nur dann, machte eine gemeinsame Kandidatur aller Linken in einem sich dadurch vertiefenden Bündnis Sinn. Es gibt gute Gründe, die einheitliche Kandidatur als Ziel anzustreben. Davor steht aber zunächst die Arbeit daran, tragfähige gemeinsame Positionen zu entwickeln. Und da ist noch sehr viel zu tun. 2024, so scheint es, kommt zu früh.

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Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist.

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