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Linkes Bündnis: So will Mélenchon Präsident Macron Konkurrenz machen

Frankreichs Linke hat sich unter Mélenchon zu einem Bündnis geeint. Bei der Parlamentswahl könnte es Macrons stärkste Konkurrenz werden.
von Thomas Manz · 10. Juni 2022
Mit einem linken Bündnis will Luc Mélenchon Präsident Macron Konkurrenz machen.
Mit einem linken Bündnis will Luc Mélenchon Präsident Macron Konkurrenz machen.

Die Erleichterung war groß, als sich Emmanuel Macron in der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahl im April letztlich deutlich gegen seine rechtspopulistische Herausforderin Marine Le Pen durchsetzte. Bei der Fixierung auf die Wiederauflage des Duells der beiden, bei dem Umfragen zwischenzeitlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostizierten, trat allerdings in den Hintergrund, dass der Vertreter der radikalen Linken Jean-Luc Mélenchon mit 22 Prozent im ersten Wahlgang nur ganz knapp hinter Le Pen geblieben war und den Einzug in die Stichwahl verpasste. Offenkundig hatte die unter den Linken weit verbreitete Sehnsucht nach Einheit weite Teile der Wählerschaft zu einem strategischen Stimmverhalten, vote útil, zu Gunsten des bestplatzierten unter den linken Kandidaten veranlasst. So erhielt Mélenchon mehr als doppelt so viele Stimmen wie die restlichen Kandidat*innen der Linken zusammen.

Mélenchon bei jungen Menschen und Muslimen vorne

Mit einem disruptiven Diskurs und einem Programm, das soziale und ökologische Themen gleichermaßen betont, war es ihm gelungen, besonders junge Wähler*innen der „Generation Klima“ für sich zu gewinnen. In der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen erhielt er etwa ein Drittel der Stimmen. Dabei ist es vor allem die junge Bildungselite, bei der er besonders gut punkten konnte. Sein Stimmenreservoir konzentriert sich auf die Metropolregion Île-de-France und auf all die Städte, in denen bei den Kommunalwahlen 2020 die Grünen vorne lagen. Doch auch in der organisierten Arbeiterschaft und bei Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen sind seine Stimmenanteile überdurchschnittlich hoch. Auffallend ist zudem, dass ein Großteil der muslimischen Bevölkerung für Mélenchon stimmte.

Während die Erosion der traditionellen Parteien anhielt und die französischen Sozialist*innen zu einer Marginalie der nationalen Politik degradiert wurden, gelang es Mélenchons La France Insoumise, sich neben Macrons „progressiver“ Mitte und Le Pens Rechtspopulist*innen als dritter Pol in der Parteienlandschaft zu etablieren. Erstmals ist es nun die radikale Linke, die im linken Lager dominiert.

Der „dritte Wahlgang“

Getragen von dem ehrenhaften Abschneiden als Dritter bei der Präsidentschaftswahl und der neu errungenen Hegemonie unter den linken Parteien riss Mélenchon die politische Initiative an sich und deklarierte die im Juni anstehenden Parlamentswahlen zum „dritten Wahlgang“. Für diesen gab er das Ziel aus, mit seiner union populaire die Mehrheit in der Nationalversammlung zu erringen und anschließend Präsident Macron zu zwingen, der republikanischen Tradition entsprechend, ihn als Vertreter der Mehrheit zum Premierminister zu ernennen. In der daraus resultierenden cohabitation will er dann legitimiert durch die Mehrheit in der Nationalversammlung sein Regierungsprogramm durchsetzen. Dies wäre laut Mélenchon ein Schritt zur Re-Parlamentarisierung der zur „präsidentiellen Monarchie“ verkommenen Fünften Republik.

Um eine solche Mehrheit zu erreichen, braucht Mélenchon gleichwohl Bündnispartner*innen. Deshalb machte er – anders als noch 2017 – einen Schritt auf die „Restlinke“ zu und forderte  aus seiner Position der Stärke heraus die anderen Parteien des linken Lagers, die Grünen EELV, die Kommunisten und nach anfänglichen Vorbehalten auch die Sozialistische Partei, zur Bildung eines Wahlbündnisses auf. Mit der Nouvelle union populaire écologique et sociale (NUPES) wurdedie von vielen linken Wähler*innen sehnsüchtig erwartete Einheit der Linken dann Realität. Dem Anspruch nach ist NUPES nicht nur ein Wahlbündnis, sondern soll nach der Wahl auch ein koordiniertes Vorgehen der linken Kräfte in der Nationalversammlung garantieren – eben bis hin zur Wahl Jean-Luc Mélenchons zum Premierminister und zur Umsetzung eines gemeinsamen Regierungsprogramms.

PS tritt nur in 70 Wahlkreisen an

Die neu gewonnenen Bündnispartner*innen von Mélenchons Insoumise – PS, EELV und PCF – mussten sich bei dem Schmieden dieser Allianz damit abfinden, dass sie nur in einem kleinen Teil der Wahlkreise eigene Kandidat*innen benennen konnten. Für die PS bedeutet dies, dass sie nur in 70 der insgesamt 577 Wahlkreise mit eigenen Kandidat*innen antritt, was ihren Status als nationale politische Kraft in Frage stellt. Darüber hinaus mussten die „kleinen“ Bündnispartner*innen sich auch stark der Programmatik von La France Insoumise annähern. Für Spannungen sorgte dabei insbesondere die LFI-Position des „Ungehorsams“ gegenüber EU-Regeln. Im Vereinbarungstext heißt es schließlich, dass die Umsetzung des gemeinsamen Programms notwendig zu Spannungen und Konflikten mit der EU-Politik führen werde, weshalb man bereit sein müsse, bestimmte Regeln nicht zu respektieren – wobei dies für die einen (La France Insoumise) „Ungehorsam“ bedeutet, für die anderen (Parti Socialiste) eine „vorrübergehende Außerkraftsetzung“ der EU-Regeln.

Die Zugeständnisse bei den Wahlkreisen ebenso wie die programmatische Annäherung an die radikale Linke führten innerhalb der Sozialistischen Partei, aber auch bei den Grünen, zu viel Kritik und Widerspruch bis hin zu offen erklärter Dissidenz. In einigen Wahlkreisen wird es PS-Kandidaten in Konkurrenz zu denen der NUPES geben. Die internen Kritiker*innen, darunter auch Ex-Präsident François Hollande, brandmarken die Allianz der PS als eine Kapitulation vor der radikalen Linken und als Aufgabe fundamentaler Werte der Sozialistischen Partei.

„Das Ende der PS, so wie sie existiert hat“

Während sie die Abwendung von dem sozialdemokratischen Legat der Hollande-Zeit als „das Ende der PS, so wie sie existiert hat“, beklagen, feiert die Strömung um den Parteivorsitzenden Olivier Faure das Bündnis mit der radikalen Linken als historische Richtungsentscheidung, die bewusst einen Bruch mit der Hollande-Zeit markiere. Nachdem die PS sich in dieser Zeit so sehr sozialdemokratisiert habe, dass sie laut Parteisprecher Pierre Jouvet „ätzend langweilig“ geworden sei, habe die PS nun wieder dorthin zurückgefunden, wo sie hingehöre, nämlich in die „große linke Familie“ an der Seite von Insoumise, der ökologischen Linken und der Kommunist*innen. Damit entspreche die PS nicht nur dem Wunsch der linken Wählerschaft, dem peuple de gauche, die in ihrer überwältigenden Mehrheit die Einheit der Linken wolle, sondern auch der Tatsache, dass diese neue PS, so Olivier Faure, keine unüberwindbaren programmatischen Differenzen zu Mélenchons Insoumise habe.

Die Entscheidung der PS, ebenso wie die der Grünen, sich auf ein Wahlbündnis mit der radikalen Linken einzulassen, folgte offenkundig nicht allein dem strategischen Kalkül, eine Mindestanzahl an Abgeordnetenmandaten in der Nationalversammlung zu bewahren, sondern durchaus auch einer programmatischen Neuausrichtung. Die Radikalität des gemeinsamen Programms wird als den sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit entsprechend verteidigt, angesichts derer die vermeintlich typisch sozialdemokratische Politik der kleinen Schritte und der Kompromisse nicht mehr ausreiche. Wie solide die gemeinsame programmatische Plattform ist, wird sich aber letztlich erst in der politischen Praxis nach den Wahlen erweisen. Mögliche Bruchstellen sind als programmatische Nuancen zwischen den beteiligten Parteien im Programm der NUPES durchaus benannt.

Ein Zweikampf mit Macrons Wahlbündnis

Auf jeden Fall hat die „kulturelle Revolution“, dass die oft so zerstrittene französische Linke sich zu einem Bündnis zusammengefunden hat, in beträchtlichen Teilen ihrer Wählerschaft euphorische Reaktionen ausgelöst. Genährt wird dadurch die Hoffnung auf eine neue politische Dynamik, die der lange marginalisierten „wahren“ Linken eine triumphale Rückkehr auf die politische Bühne ebnen könne. Vorerst hat das Bündnis zumindest erreicht, dass die Linke wieder zu einer relevanten Kraft im Ringen um die politische Macht in Frankreich geworden ist. Waren die Präsidentschaftswahlen von dem Duell zwischen Macron und Le Pen geprägt, zeichnet sich nun bei den Parlamentswahlen ein Zweikampf zwischen Macrons Wahlbündnis Ensemble Citoyens und NUPES ab.

Den Umfragen entsprechend liegen beide Lager nahezu gleichauf, bei um die 25 bis 26 Prozent der Stimmen. Dagegen liegt Le Pens Rassemblement National mit etwas mehr als 20 Prozent deutlich zurück. Da das französische Wahlsystem bei den Parlamentswahlen eine Mehrheitswahl in den Wahlkreisen vorsieht, übertragen sich die absoluten Stimmenanteile der Parteien jedoch nicht in eine entsprechende Sitzverteilung in der Nationalversammlung. Vielmehr fördert das Wahlsystem die politische Mitte.

Wahlsieg der Linken eher unwahrscheinlich

In den Projektionen der Sitzverteilung zeichnet sich dann auch erneut eine deutliche Mehrheit für Macrons Ensemble ab. Projektionen auf Basis der letzten Umfragen lassen allerdings offen, ob es abermals für eine absolute Mehrheit (von mindestens 289 Sitzen) reichen wird. Für EnsembleCitoyens werden zwischen 275 und 310 Sitze erwartet, für NUPES zwischen 170 und 205. Ein Wahlsieg der Linken, der eine cohabitation erzwingen könnte, ist damit zwar eher unwahrscheinlich, doch wäre dieses Ergebnis für die Linke, die zuletzt nur mit etwa 60 von insgesamt 577 Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten war, schon ein Erfolg. Sie wäre die stärkste Oppositionskraft.

Allerdings zeigen die Umfragen auch, dass, selbst wenn viele Wähler*innen durchaus eine cohabitation bevorzugen würden, die Erwartungen an eine von einem Premierminister Mélenchon geführte Regierung sehr verhalten sind. Zwar glaubt deutlich mehr als die Hälfte der Wählerschaft daran, dass er die Dinge ändern wolle, doch erwartet nur ein Drittel von einer Regierung Mélenchons eine Verbesserung der Situation im Land, dagegen gut die Hälfte, dass sich die Situation verschlechtern werde. Und lediglich ein Drittel vertraut darauf, dass Mélenchon das Land wieder vereinen könne; fast zwei Drittel finden ihn stattdessen zu autoritär.

Gelingt die Mobilisierung?

Mit dem Wahlbündnis NUPES ist die Linke zweifellos zurück auf der politischen Bühne; ob diese eine Etappe auf dem Weg zurück an die Macht ist, muss sich jedoch noch zeigen. Denn die zwar insgesamt positiven – allerdings bzgl. eines Wahlsieges letztlich ernüchternden – Umfragedaten lassen eine ernsthafte strukturelle Schwäche des neuen linken Bündnisses erkennen: Sie hat Schwierigkeiten, die gesamte gemäßigte Linke an sich zu binden. Ohne diese ist die Linke aber nicht mehrheitsfähig.

Nach einer Ipsos-Umfrage sind es nur gut 60 Prozent der PS-Sympathisant*innen, die das Wahlbündnis mit LFI gutheißen. Diese Reserviertheit schlägt sich dann auch in den Wahlintentionen nieder: Nur 58 Prozent derjenigen, die sich als der PS nahestehend erklären (immerhin noch 7,5 Prozent der Wählerschaft), und lediglich zwei Fünftel derjenigen, die sich als moderierte Linke einschätzen (etwa 30 Prozent der linken Wählerschaft), geben an, für Kandidat*innen des Wahlbündnisses NUPES stimmen zu wollen. Gleichwohl wird, wie Gilles Finchelstein von der Fondation Jean Jaurès betont, im Werben um diese gemäßigte linke Wählerschaft, die sich heute in den existierenden politischen Angeboten nicht wiederfindet, entschieden, ob die Linke in Frankreich den Weg zurück an die Regierung findet.

Am 9. Juni erschienen im IPG-Journal

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