US-Wahlkampf: Warum zwischen Harris und Trump noch alles offen ist
Am 5. November wählen die USA eine*n neue*n Präsident*in. Bis zum Wahltag ist Karsten Wenzlaff im Land unterwegs, trifft Harris- wie Trump-Unterstützer*innen und blickt hinter die Kulissen der Kampagnen. Hier berichtet er über seine Erlebnisse.
IMAGO / Bihlmayerfotografie
Hier entlang zur Wahl: In weniger als zwei Wochen entscheidet sich, wer in den USA künftig regiert.
Die Wahlen in den USA haben für mich eine hohe Faszination – nicht nur aufgrund der Auswirkungen für Europa, je nachdem, ob Kamala Harris oder Donald Trump gewinnt. Denn wie vor Ort Wahlkampf geführt wird, ist oft richtungsweisend dafür, in welche Richtung sich auch der Wahlkampf in Deutschland entwickeln wird.
Wahlkampf der Daten
Im Herbst 2008 konnte ich schon einmal die Wahlen in den USA beobachten. Für einige Wochen half ich der Kampagne von Barack Obama, die Wähler*innen von seinen Positionen zu überzeugen. New Hampshire, damals ein klassischer „Swing State“, war das Ziel aller amerikanischen Spitzenpolitiker*innen, natürlich Obama und Biden, aber auch Hillary Clinton, Bill Clinton, John McCain und Sarah Palin konnte ich aus nächster Nähe beobachten.
Für mich war aber noch etwas anderes spannend, nämlich wie viele Daten über die Wähler*innen den Wahlkämpfer*innen zur Verfügung standen. Die Kampagnenbüros der Demokrat*innen in Rochester, New Hampshire, wussten beispielsweise genau, wie viele Personen in einem Haushalt wohnten, wie das Durchschnittseinkommen in der Nachbarschaft war, ob es in einer Straße mehr registrierte Demokrat*innen oder mehr Republikaner*innen gab.
Ein wesentlicher Grund für die Polarisierung in den USA
Der Obama-Wahlkampf galt damals als besonders innovativ, weil er soziale Netzwerke und Online-Communities nutzte. Die Parteien in Deutschland, auch die SPD, haben in den Folgejahren ebenfalls viel mit Online-Kommunikation in sozialen Netzwerken und eigenen Online-Communities experimentiert.
16 Jahre später haben beide politischen Kampagnen-Teams in den USA wesentlich mehr Mittel zur Verfügung, um die Wähler*innen zu erreichen, aber auch um Wähler*innenprofile anzulegen. Das ist aus meiner Sicht der wichtigste Grund, warum es in den USA zu dieser starken Polarisierung kommt – es ist immer einfacher, Wahlwerbung mit bestimmten Themen und Anliegen genau an die Wähler*innen zu senden, die sich für diese Themen interessieren (oder sich über etwas besonders aufregen).
Wahlkampf-Vermessung in Echtzeit
Als ich 2008 in der Obama-Kampagne mithalf, hatten wir im Laufe der letzten vier Wochen ungefähr acht bis zehn unterschiedliche Flyer zur Verfügung, die auf bestimmte Zielgruppen, zum Beispiel Frauen, Senior*innen, Student*innen etc. ausgerichtet waren. Heutzutage werden pro Woche Hunderte von unterschiedlichen Online-Werbeanzeigen generiert, getestet, verworfen, neu erstellt, die genau auf eine Zielgruppe passen. Wie oft eine Anzeige oder ein politisches Meme geteilt wird, wird genau gemessen. Die Kampagnen haben fast in Echtzeit die Möglichkeit zu verstehen, wie die Wähler*innen auf die Vorschläge von Harris und Trump reagieren.
Hinzu kommt, dass nicht nur mehr Umfrage-Daten verfügbar sind, sondern es eine ganze Reihe von Webseiten gibt, die Wahrscheinlichkeitsmodelle auf der Basis von Umfrage-Daten und ökonomischen Daten erzeugen. Auch in Deutschland bekannt ist FiveThirtyEight.com, ursprünglich gegründet von Nate Silver. Silver hat mittlerweile beim amerikanischen Online-Dienst „Substack“ ein eigenes Online-Magazin gegründet (das „Silver Bulletin“), welches für alle, die sich mit amerikanischer Wahlforschung beschäftigen, eine Art heiliger Gral ist.
Die Stimmung hat sich wieder gedreht
Wenn man sich die Vorhersagen diese Wahlmodelle anschaut, dann war die Stimmung unter den Harris-Anhänger*innen in den vergangenen 12 Wochen sehr gut, weil die verbesserten Umfragewerte für die demokratische Kandidatin ihre Wahrscheinlichkeit zu gewinnen erhöhten. In der vergangenen Woche allerdings drehte sich die Stimmung und die Wahrscheinlichkeit eines Siegs für Trump nahm zu.
Nate Silver und viele andere Wahlforscher*innen werden nicht müde, zu betonen, dass die marginalen Veränderungen in die eine oder andere Richtung im Bereich der statistischen Fehler liegen. Wenn die Wahrscheinlich für einen Gewinn von Harris bei 51 und für Trump bei 49 Prozent liegt, dann wäre es nicht ungewöhnlich, dass Trump die Wahl gewinnen würde.
Der Kampf um die weißen, männlichen Amerikaner
Vor der Präsidentschaftswahl 2016 hatte ich in einer Analyse für das Online-Magazin „Carta“ beschrieben, dass Trump, der von allen politischen Beobachter*innen als Außenseiter eingeschätzt worden war, eine gute Chance hätte, die Wahl zu gewinnen. Mithilfe der weißen, männlichen Amerikaner ohne College-Abschluss schaffte er es damals, in den Staaten des Mittleren Westens die Mehrheit zu erzielen, und erzielte so auch eine Mehrheit im „Electoral College“, das den Präsidenten wählt.
Biden wiederum schafft es vier Jahre später, zumindest einen Teil dieser Wählergruppe zurückzuholen. Und viele Amerikaner*innen glauben, dass Tim Walz, Gouverneur von Minnesota, Football-Coach, Militärveteran, BBQ-Fan genau diese Arten von Wählern ansprechen kann.
Um mir selbst ein Bild zu machen, werde ich in den kommenden Tagen in den USA unterwegs sein. Ich starte an der Ostküste, fahre in den Mittleren Westen und werde pünktlich zum Wahltag am 5. November zurück an der Ostküste sein. Auch wenn es in Deutschland kaum jemand glauben mag, wie man bei einer Wahl zwischen Trump und Harris noch unentschieden sein kann – es gibt tatsächlich viele Amerikaner*innen, die sich erst am Wahltag selbst entscheiden werden. Es bleibt also spannend bis zum Schluss!
war Online-Redakteur bei vorwaerts.de und Social-Media-Manager im vorwärts-Verlag.
Irrtum
"Die Wahlen in Nordamerika" in Kanada und Mexiko sind gar keine Wahlen. Allein schon diese Formulierung deutet ein recht undifferenziertes Herangehen an die Wahlen in den USA an.
Ich wünsche mir besseren Journalismus.