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Streit in Brüssel: Warum die neue EU-Kommission noch nicht bestätigt ist

Am 17. September hat Ursula von der Leyen ihr Wunsch-Team für die neue EU-Kommission vorgestellt. Doch die Abgeordneten des Parlaments haben noch nicht alle der 26 Kandidierenden bestätigt. Worum es beim Streit um die Zustimmung geht.

von Kay Walter · 14. November 2024
Gebäude der EU-Kommission in Brüssel

Seit dem 4. November mussten die designierten Kommissarinnen und Kommissare den Abgeordneten des EU-Parlaments Rede und Antwort stehen. Mehr als einhundert Stunden dauerte das sogenannte „grilling“, die peinliche Befragung. Was viel klingt, aber praktisch nur drei Stunden pro Kommissar*in in spe sind. Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, am Abend des 12. Novembers durch zu sein. Da hätten alle Kandidat*innen eigentlich ein positives Zweidrittelvotum des sie befragenden Ausschusses erhalten haben sollen. Aber das hat nicht funktioniert. 

Es gibt weiterhin Klärungs- und Verhandlungsbedarf, insbesondere was den italienischen Rechtsradikalen Raffaele Fitto angeht, der auf dem herausgehobenen Posten eines „executive vicepresident“ für Kohäsion und Reformen zuständig werden soll. Auch über die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera wird noch diskutiert und schließlich über den Ungarn Olivér Várhelyi. 

Zustimmung zur Kommission: alle oder keine/r

Das EU-Parlament hat nur in Ausnahmefällen die Macht, die es gerne hätte. Bei der Besetzung der Kommission reden die Abgeordneten aber laut mit. Zwar entscheiden die Mitgliedsstaaten allein, wen sie vorschlagen, und nur die Chefin über Zuschnitt und Aufgaben der Ressorts, aber dann muss die Kommission in Gänze vom Parlament bestätigt werden. Da gilt dann: Alle oder keine/r. 

Und noch ist die Mehrheit des EU-Parlaments zur Bestätigung der gesamten Kommission eben nicht gesichert. Dabei war das Procedere der Befragungen in der ersten Woche ziemlich reibungslos gestartet. Bei den 20 Befragungen hatte lediglich die konservative Schwedin Jessika Roswall unglücklich agiert und gewackelt. Und ja, der Ungar Várhelyi war zum Nachsitzen verdonnert worden, sprich einer weiteren Befragungsrunde. Das war aber allen Beteiligten schon vorher klar. Es galt, ein Signal in Richtung Victor Orban zu schicken, um ihm vor weiteren pro-Putin und pro-Trump Alleingängen zu warnen.

Streit um Meloni-Kandidat Raffaele Fitto

Die Sitzungen mit den sechs Exekutiv-Vizepräsidenten in der zweiten Woche boten mehr Konfliktpotential. Zumindest bei Raffaele Fitto war das von vornherein zu erwarten. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale hatten lange schon angekündigt, den Parteigänger von Giorgia Melonis neofaschistischen Fratelli d‘Italia nicht zu wählen, oder genauer, ihn wenigstens nicht zum Vizepräsidenten machen zu wollen und auch Olivér Várhelyi abzulehnen. Aber die Stimmen der drei Parteienfamilien sind zwingend erforderlich, um der neuen Kommission eine Parlamentsmehrheit zu verschaffen. 

Natürlich ist klar, dass Ungarn und Italien wie jedem anderen Mitglied ein Posten in der Kommission zusteht - und Italien auch ein wichtiger Posten. Es geht vielmehr darum, ein politisches Zeichen an Ursula von der Leyen und ihre konservative EVP um Manfred Weber zu setzten, den Bogen nicht zu überspannen, sich nicht noch weiter den Rechtspopulisten und Nationalisten der EKR anzunähern, sondern die Verbündeten politisch-inhaltlich weiter in der demokratischen Mitte zu suchen. Alles andere könnte die Kommission die Mehrheit kosten. Das wollten Sozialdemokraten und Grüne deutlich machen.

 Frauen und Männer im Vergleich

Die Konservativen haben ihren Einfluss auf die EU-Institutionen enorm ausweiten können, sowohl über die Mehrheitsverhältnisse im Rat der Nationen als auch im Europäischen Parlament und daher nun auch in der neuen Kommission. 15 der 27 designierten Kommissare, einschließlich von der Leyen selbst, gehören der EVP. Trotzdem buhlen gerade einige deutsche CDU- und CSU- Abgeordnete weiter um die ultrarechte EKR um Meloni und die polnische PIS-Partei.  

Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis wird es in der Kommission nicht geben, elf Frauen stehen 16 Männer gegenüber. Allerdings sind von den sieben zentralen Positionen (Vorsitzende und ihre sechs Exekutiv-Vizepräsidenten) fünf mit Frauen besetzt, darunter zwei Sozialdemokratinnen. 

Roxana Mînzatu soll zuständig werden für Kompetenzen, Bildung und Kultur, hochwertige Arbeitsplätze und soziale Rechte, Teresa Ribera für die EU-Wettbewerbspolitik und die Ziele des Green Deals. Voraussichtlich, denn abgeschlossen ist der Prozess eben noch nicht.

Taktische Manöver der Konservativen

Denn weil Raffaele Fitto und Olivèr Várhelyi so umstritten sind, haben die Konservativen im Gegenzug Teresa Ribera unter Beschuss genommen. Während die beiden rechten Männer wegen ihrer politischen Positionen umstritten sind, geht es bei Ribera allein um taktische Manöver. Spanische Konservative griffen die amtierende Ministerin für ökologischen Wandel an, sie sei verantwortlich für die Unwetter-Katastrophe im Raum Valencia. 

Das ist objektiv falsch. Katastrophenschutz ist in Spanien – wie in Deutschland auch – keine Aufgabe der Zentralregierung, sondern fällt in die Zuständigkeit der Regionen. In Valencia ist das der konservative Regionalpräsident Carlos Mazón. Der hat versagt. Ribera hätte weder eingreifen können noch dürfen. Ganz abgesehen davon kandidiert sie in Brüssel für eine gänzlich andere Position. Nein, die (spanischen) Konservativen wollen einerseits von ihren eigenen Fehlern ablenken und andererseits eine Drohkulisse in Richtung Sozialdemokratie aufbauen: Wie-du mir-so-ich-dir. Oder anders formuliert: Gebt ihr uns Fitto (und Várhelyi), dann bekommt ihr auch Ribera.

Gedacht als taktisches Geplänkel, das in maximal einer Woche gelöst sein könnte – erst recht vor dem Hintergrund, handlungsfähig zu werden im Angesicht der zu erwartenden Angriffe seitens der Trump-Administration – zeigt dies Verhalten einiger konservativer Politiker, wie wenig gefestigt ihre demokratischen Überzeugungen sind, und wie weit sie bereit zu gehen sind. Kein gutes Omen für die neue Kommission.  

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