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Steinmeier in der Türkei: neue Hoffnung für die türkisch-deutschen Beziehungen

Bundespräsident Steinmeier ist zu einem dreitätigen Besuch in der Türkei. Beide Länder hoffen auf eine Vertiefung ihrer Beziehungen. Die Liste von Steinmeiers Gesprächspartnern zeigt die verschobenen Kräfteverhältnisse in der Türkei.

von Kristina Karasu · 23. April 2024
Der kommende Präsident? In Istanbul traf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den gerade wiedergewählten Bürgermeister Ekrem Imamoglu.

Der kommende Präsident? In Istanbul traf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den gerade wiedergewählten Bürgermeister Ekrem Imamoglu.

Vor atemberaubender Kulisse lud der Bundespräsident am Montagabend in Istanbul zu seinem Empfang: in der Sommerresidenz der deutschen Botschaft am Bosporus, zwischen prächtigen Holzvillen und jahrhundertealten Bäumen. Ein gutgelaunter Frank-Walter Steinmeier trat vor sein Publikum, sprach über die vielfältigen deutsch-türkischen Beziehungen und vor allem über die Verdienste der Deutschtürk*innen, die mittlerweile „ein Teil unseres Wirs sind“, wie der Bundespräsident betonte. Anschließend schnitt er den obligatorischen Döner an, allerdings keinen Istanbuler, sondern mitgebracht von einem renommierten Dönerlokal aus Berlin. Etwas altbackene Türkei-Politik, könnte man meinen. Doch Steinmeier hatte mehr im Sinn.

Reihenfolge der Treffen mit enormer Symbolkraft

Auf der illustren Gästeliste standen am Montag der türkische Tourismusminister, aber auch der Erdogan-kritische Ex-Staatspräsident Abdullah Gül und der gerade wiedergewählte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu, der schon als nächster Staatspräsident gehandelt wird. Ihn traf Steinmeier sogar schon gleich am Montagmorgen. Der amtierende Staatspräsident Erdogan hingegen war verhindert – er ist derzeit auf Staatsbesuch im Irak, empfängt Steinmeier erst am Mittwoch. Auch wenn diplomatische Kreise eine politische Botschaft dieser Reihenfolge eifrig abstreiten, so ist ihre Symbolkraft enorm. Die herzlichen Gespräche zwischen Steinmeier und Gül ebenso wie die mit Imamoglu an diesem Abend sprechen Bände. 

Steinmeier ist das erste europäische Staatsoberhaupt, das nach dem überraschenden Sieg der Oppositionspartei CHP bei den Kommunalwahlen im März in die Türkei reist – und sich nun ein Bild macht über das neue politische Kräfteverhältnis im Land. Deutschland und die Türkei sind bereits seit Erdogans Wiederwahl im vergangenen Jahr bemüht, ihre Beziehungen nach Jahren der Krisen wieder zu verbessern. Außenministerin Baerbock hat sich bereits mehrmals mit ihrem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan getroffen, die Zusammenarbeit gilt als konstruktiv. Steinmeier ist nun das erste Mal in seiner Funktion als Staatspräsident in der Türkei, wird von Finanzminister Lindner begleitet – ein Zeichen dafür, wie sehr es hier auch um wirtschaftliche Themen gehen wird.

Bessere Beziehungen wären für beide Seiten ein Vorteil

Deutschland ist und bleibt der größte Handelspartner der Türkei, zigtausende deutsche Firmen sind in der Türkei aktiv. Über drei Millionen Menschen mit türkischer Herkunft leben in Deutschland, die türkische Tourismusbranche verbucht in diesem Jahr Rekordbuchungen aus Deutschland. Bessere Beziehungen wären also für beide Seiten nur von Vorteil – gäbe es da nicht die großen Krisenherde. 

Die größte Differenz offenbart sich derzeit beim Thema Gaza-Krieg. Erdogan empfing am Wochenende Hamas-Führer Ismail Haniyes in Istanbul. Er hielt sich mit Kritik am Führer der radikal-islamistischen Organisation zurück, teilte um so mehr gegen Israel aus. Es ist bekannt, dass Erdogan die Beziehungen Ankaras zur Hamas seit Jahren intensiviert, die Hamas betreibt in der Türkei sogar ein Büro. Seit Beginn des Gaza-Krieges bietet sich Erdogan zwar als Vermittler an – doch mit seiner Nähe zur Hamas stößt er dabei in Israel auf wenig Gegenliebe. Spätestens wenn Erdogan am Mittwoch Steinmeier empfängt, wird dieses kritische Thema zur Sprache kommen müssen.

Steinmeier ebenso wie Erdogan wissen: auch wenn das Miteinander schwierig ist, so geht es nicht ohne einander, ob beim Thema Migration oder in sicherheitspolitischen Fragen. Im Ukraine-Krieg etwa fährt Erdogan bisher eine zweischneidige Strategie: Er verurteilte den Krieg, lieferte Kampfdrohnen an Kiew, hält aber seine guten Beziehungen zu Putin weiter aufrecht. Den EU-Sanktionen gegen Russland schloss sich die Türkei nicht an, was dazu führte, dass viele Waren über die Türkei nach Russland gelangen. Die EU griff mit verschärften Sanktionen ein, die Türkei hat ihre Regeln für den Handel mit Russland mittlerweile angezogen.

Die Europäische Union geht auf die Türkei zu

Auch die EU will nach jahrelangem Stillstand ihre Gespräche mit der Türkei wieder aufnehmen. „DieEuropäische Union hat ein strategisches Interesse an einem stabilen Umfeld im östlichen Mittelmeer und einer für beide Seiten vorteilhaften Beziehung“, heißt es in einer Erklärung der Staats- und Regierungschefs aus der vergangenen Woche. Dabei soll mit Vorschlägen der EU-Kommission gearbeitet werden. Zur Debatte steht etwa die Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion, die Türkei hofft außerdem auf Visa-Liberalisierungen und eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche, die seit 2016 auf Eis liegen. 

Allerdings nennt die EU Bedingungen: Entscheidend sei, inwiefern sich Ankara konstruktiv beteilige, so die Erklärung. Zypern drängt außerdem auf eine Wiederaufnahme der Gespräche zur Wiedervereinigung der geteilten Insel. 

Diese Vorbedingungen sorgten dafür, dass man in der Türkei sehr verhalten auf die EU-Erklärung reagierte. Das türkische Außenministerium bewertete die EU-Erklärung als „weiteres Beispiel für die fehlende strategische Vision der EU“. Man werde niemals einen Ansatz akzeptieren, der Fortschritte mit dem Thema Zypern verknüpfe, hieß es aus Ankara. Auch kritische türkische Kommentatoren zweifelten an neuen Fortschritten in den Beziehungen, machen neben der EU Erdogans autoritären Kurs dafür verantwortlich. 

Barley sieht Signale für „eine andere Türkei“

Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl Katarina Barley schließt einen EU-Beitritt der Türkei aus, solange im Land die Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt und die Opposition unterdrückt wird. Zugleich sagte sie im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“: „Der Wahlsieg der CHP zeigt, dass ein politischer Wechsel trotz massiver rechtsstaatlicher Defizite und unfairer Wahlvoraussetzungen möglich ist.“ Das „großartige Ergebnis“ sei ein starkes Signal dafür, dass es „eine andere Türkei“ geben könne, fügte sie hinzu.

Diese „andere Türkei“ wird Steinmeier nun auf seiner Reise nun erkunden. Neben Imamoglu trifft er sich mit Masur Yavas, dem populären CHP-Bürgermeister von Ankara, sowie dem CHP-Chef Özgür Özel. Auch wenn Steinmeiers Amtskollege weiterhin Erdogan heißt, so bringt sich die Gegenseite bereits jetzt gekonnt in Stellung.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am So., 28.04.2024 - 07:51

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Also ich persönlich finde das peinlich wenn der Bundespräsident "den Türken" beibringt wie man Döner macht. Die Beschwörung solcher Stereotypen solte lieber unterbleiben um niemanden zu nahe zu treten.